
- „Diktat der Finanzmärkte beenden“
Die unregulierten Finanzmärkte sind mit der Demokratie unvereinbar, glaubt der Fraktionsvorsitzende der Linken, Gregor Gysi. Auch ver.di-Chef Frank Bsirske und Moderator Ulrich Wickert fordern strengere Regeln für die Finanzwelt.
„Sind Sie der Auffassung, dass die immer noch weitgehend unregulierten Finanzmärkte den Wohlstand und die Demokratie bedrohen? Falls ja, welche konkrete Forderung würden Sie an die Politik stellen, um diese Entwicklung zu stoppen?“
Ulrich Wickert, Moderator
Aktienhandel besteuern
Für
die Finanzwelt sollten die gleichen Regeln gelten wie für die Welt
der „Realwirtschaft“, also des produzierenden Gewerbes. Wer ein Ei
kauft, zahlt MWSt, wer eine Aktie (also einen Anteil an einem Ei)
kauft, der sollte auch MWSt (oder eine Finanztransaktionssteuer)
zahlen. Jeder Click einer Computertransaktion kostet also Steuer.
Kreditinstitute und Investmentbanken müssen wieder getrennt werden,
Spekulationen dürfen nur noch mit dem eigenen Geld getätigt werden
und auch einer „Eiersteuer“ unterliegen. Die Politik muss die
Richtlinien bestimmen und das Heft des Handelns in die Hand nehmen.
Und: Wenn ein Euro-Land pleite geht, dann sollte es die gleichen
Hilfen erhalten wie eine Bank, die pleite geht.
Roger Willemsen, Autor
Moralfrei
Die
Marktwirtschaft kann nur frei oder sozial sein. Also ist sie lieber
frei, auch von Moral, und fordert es als Sozialleistung ein,
ihrerseits getragen zu werden. Wer wollte sie hindern? Angela
Merkel? Soll ich nun fordern, dass der Staat die ideologische
Abhängigkeit von Marktkonzepten unterbreche? Soll ich wünschen,
dass die Politik nicht die Struktur der delegierten Verantwortung
vertiefe, nicht die Verantwortungslosigkeit reproduziere, die die
Finanzmärkte meinen, wo sie schicksalhaft tun? Soll ich
protestieren gegen den Triumph des Rentabilitätsprinzips in
Bereichen, die an ihm scheitern müssen – von der Gesundheit bis zur
Kultur? Das Kapital ist mit dem Staat verwachsen und kann ihn auf
jeder Ebene treffen. Theoretisch läuft jeder valide Einspruch gegen
den Status Quo auf den guten alten Begriff der „Systemveränderung“
hinaus, praktisch auf den ebenso ehrwürdigen der
„außerparlamentarischen Opposition“.
Klaus F. Zimmermann, Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn
Stückwerk
Als
2008 die Weltwirtschaft in Schockstarre lag, haben die G20 -
Staaten feierlich erklärt, „alle Finanzmärkte, Finanzprodukte und
Finanzmarktteilnehmer einer Regulierung oder angemessenen
Überwachung“ zu unterwerfen. Doch dies blieb Stückwerk. Etwa das
Versprechen einheitlicher Wettbewerbsregeln. Oder das Ziel einer
leistungsfähigen Aufsicht und die Zertifizierung von Bankprodukten.
Zwar sind in Europa seit Januar 2011 drei neue Behörden für Banken,
Versicherungen und Wertpapiere zuständig, doch konkrete
Durchgriffsmöglichkeiten fehlen. In Deutschland operieren immer
noch Bundesbank und Bankenaufsicht nebeneinander. Es fehlt weiter
ein Frühwarnsystem, wenigstens wird zaghaft eine Europäische
Rating-Agentur diskutiert. Und die deutsche Bankenkonsolidierung
bleibt Dauerbaustelle. Wenn die Politik versagt, verbindliche
Regeln zu setzen, darf es niemand wundern, wenn das Vertrauen in
die Märkte weiter sinkt.
Die Umfrage mit weiteren Antworten lesen Sie in der Oktober-Ausgabe des Magazins CICERO. Dort finden Sie auch Texte von Colin Crouch, Carl Christian von Weizsäcker oder Hamed Abdel-Samad. Jetzt am Kiosk oder hier bestellen.
Lesen Sie weiter, was ver.di-Chef Frank Bsirske und der Künstler Thomas Demand zur Krise sagen.
„Sind Sie der Auffassung, dass die immer noch weitgehend unregulierten Finanzmärkte den Wohlstand und die Demokratie bedrohen? Falls ja, welche konkrete Forderung würden Sie an die Politik stellen, um diese Entwicklung zu stoppen?“
Patrick Adenauer, Unternehmer
Zocken verbieten
Die
Demokratie und unsere Wirtschaftsordnung sind gefährdet, wenn – wie
in der Finanzwirtschaft geschehen – Risiko und Haftung getrennt
werden.
Der Schlüssel zur Verhinderung einer neuen Finanzkrise liegt in der Eigenkapitalunterlegung von Finanzgeschäften. Nur mit einer direkten Haftung für eingegangene Risiken können die irrwitzigen Spekulationen, die sich völlig von der Realwirtschaft abgekoppelt haben, unattraktiver gemacht werden. Notfalls müssen zumindest in Europa solche Geschäfte strenger reguliert oder wie Leerverkäufe ganz unterbunden werden. Jeder Familienunternehmer haftet für seine Geschäftsrisiken mit seinem Haftungskapital. Es ist nicht einzusehen, weshalb Teile der Finanzwirtschaft ihre Risiken sozialisieren und nach dem Staat rufen.
Wir müssen ernüchtert feststellen: die bisher getroffenen Regulierungsmaßnahmen sind nicht nur unzureichend sondern verstärken sogar krisenverschärfende Anreize. Das Zocken wird gegenüber dem klassischen Kreditgeschäft mit der Realwirtschaft immer noch begünstigt. Die Regulierungen konzentrieren sich zu stark auf normale Banken und lassen das Schattenbankensystem wie Hedge-Fonds völlig unbeeinträchtigt. Schädlich ist, dass insbesondere durch die geplanten Basel-III-Regeln und die zeitgleichen anderen unkoordinierten nationalen Regulierungen in der Regel risikoarme Unternehmenskredite zukünftig verteuert werden. Hier müssen und können die Bundesregierung über den EU-Rat und die Europaparlamentarier noch nachsteuern.
Frank Bsirske, Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (verdi)
Vertrauen zerstört
Der
entfesselte Finanzkapitalismus bringt Wohlstand und Demokratie in
akute Gefahr. Deregulierung, Privatisierung und rücksichtslose
Profitmacherei haben uns in eine schwere und anhaltende Krise
geführt. Und es droht eine weitere Zuspitzung mit der weltweiten
Abschwächung der Konjunktur. Verbunden damit ist eine tiefe
moralische Krise. Das Vertrauen der Menschen in die soziale
Marktwirtschaft wurde zerstört. Das Grundversprechen, dass
diejenigen, die sich anstrengen, auch vorankommen, dass Leistung
sozialen Aufstieg möglich macht, gilt nicht mehr. Und zunehmend
stellt sich die Frage: Wer regiert und entscheidet tatsächlich –
Banken oder Parlamente? Nötig sind eine strikte Re-Regulierung der
Finanzmärkte, eine Transaktionssteuer als Bremse fürs
Spekulationskarussell, ein Verbot von Finanzprodukten ohne Nutzen.
Nur dann kann das Primat der Politik über die Märkte wieder
hergestellt werden.
Thomas Demand, Künstler
Utopisches Konzept?
Die
angesprochenen Maßnahmen mögen Linderung bringen, das Problem von
faktisch unkontrollierbaren Buchgeldern, die von Banken in die Welt
gesetzt werden können, lösen sie nicht. Eine Modernisierung
der Idee von “Geld”, wie beispielsweise Hans- Christoph
Binswanger’s Konzept von “Schwundgeld”, das nur bei Einsatz
zu sozialen oder kulturellen Zwecken seine Kaufkraft über einen
gewissen Zeitraum nicht verliert, scheint zwar utopisch, aber das
schien die “Ökosteuer” anfangs ja auch.
Bedrohte Demokratie: Lesen Sie das Statement von Gregor Gysi auf der nächsten Seite.
„Sind Sie der Auffassung, dass die immer noch weitgehend unregulierten Finanzmärkte den Wohlstand und die Demokratie bedrohen? Falls ja, welche konkrete Forderung würden Sie an die Politik stellen, um diese Entwicklung zu stoppen?“
Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender Die Linke
Bedrohte Demokratie
Die
unregulierten Finanzmärkte, die ja nicht anonym sind, sondern auf
denen große Banken, Versicherungen, Investment- und Hedgefonds
agieren, bedrohen in der Tat Demokratien und Wohlstand und sind, da
sie durch nichts und niemanden legitimiert sind, mit Demokratien
unvereinbar. Sie untergraben das kapitalistische System als
Ganzes.
Deshalb müssen die Hedge- und Vermögensfonds endlich geschlossen und die großen Banken dezentralisiert und in öffentlich-rechtliche Institutionen überführt werden, um das Diktat der Finanzmärkte über die Politik, über Regierungen und über Gesellschaften zu beenden.
Gertrud Höhler, Unternehmensberaterin
Rachefeldzug
Finanzmärkte
und Politik tragen einen Machtkampf aus, der auf beiden Seiten auch
als Rachefeldzug aufgrund der Finanzkrise unausweichlich scheint:
Die sehr unterschiedlichen Kenntnisstände der beiden
Weltmächte-Politik und Finanzwirtschaft -erschweren die Erreichung
der Kriegsziele beider Seiten.
Über Jahrhunderte in geheimer Allianz unterwegs, gefährden nun beide Mächte den Wohlstand, weil es ihnen nicht gelingt, ihr Know-How so zu koordinieren, dass der destruktive Trend gestoppt werden könnte.
Michael Kemmer, HGF Bundesverband Deutsche Banken
Nicht bedrohlich
Zunächst
ist der in Ihrer Frage als Feststellung enthaltenen Behauptung zu
widersprechen, die Finanzmärkte seien immer noch weitgehend
unreguliert.
Die Finanzindustrie gehörte bereits vor der Finanzkrise zu den am intensivsten regulierten Branchen. Seit 2008 sind hier noch erhebliche zusätzliche Leitplanken eingezogen worden. Zu nennen sind hier in erster Linie die unter dem Stichwort Basel III geführten Regelungen (quantitativ und qualitativ höhere Eigenkapitalanforderungen, neue Liquiditätsregeln, Leverage-Ratio etc.), daneben Regelungen zur Abwicklung von Banken und der Erhebung einer Bankenabgabe, Reglungen zur Ausrichtung der Vergütung an langfristigen Erfolgskomponenten und einiges mehr.
Die Finanzmärkte bedrohen auch nicht Wohlstand und Demokratie. Monolithisch handelnde Finanzmärkte existieren nur in der Phantasie. Was wir täglich an Kursentwicklungen sehen, ist die Summe von Einzelentscheidungen vieler Investoren, die im Regelfall rational handeln. Sie sind natürlich auch anfällig für positive oder negative Stimmungsänderungen, Nervosität und andere psychologische Effekte. Der Politik obliegt es deshalb, Rahmenbedingungen zu setzen, die nachhaltig und berechenbar sind, die marktwirtschaftlichen Mechanismen von Angebot und Nachfrage respektieren und signifikante Fehlentwicklungen begrenzen. Diese Aufgabe stellt sich im Zeitalter der Globalisierung, in dem Kapital weltweit nach lukrativen Investitionsgelegenheiten sucht, selbstverständlich anders als in einer Welt mit weitgehend geschlossenen Grenzen. Der Wirtschafts- und Finanzpolitik ist es noch nicht vollständig gelungen, sich auf diese Rahmenbedingungen einzustellen. Ihr Ziel muss es in erster Linie sein, das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates und die Fähigkeit, aufgenommene Verbindlichkeiten begleichen zu können zu stärken bzw. dort, wo dieses abhanden gekommen ist wieder herzustellen.
Markus Lüpertz, Maler
Welche Krise?
Für
mich gibt es keine Krise. Diese Art der Hysterie ist Terror, womit
die Notwendigkeit der Verwalter aus Politik und Finanzwelt bewiesen
werden soll.
Fotos: picture alliance
Die
Umfrage finden Sie in der Oktober-Ausgabe des Magazins CICERO. Dort
finden Sie auch Texte von Colin Crouch, Carl Christian von
Weizsäcker oder Hamed Abdel-Samad. Jetzt am Kiosk oder hier
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