() Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko.
Die Kämpferin aus New Orleans
Aufgeben liegt ihr nicht. Deswegen hat die amerikanische Köchin Susan Spicer BP verklagt. Per Sammelklage fordert sie Schadenersatz vom britischen Ölkonzern, weil für die Anwohner am Golf von Mexiko nach der ökologischen jetzt eine ökonomische Katastrophe droht.
Austern mit gratinierter italienischer Wurst“ und „gegrillte Shrimps mit einem Kuchen aus schwarzen Bohnen“. Noch stehen die Spezialitäten des Hauses auf der Karte des Gourmet-Restaurants Bayona im berühmten French Quarter von New Orleans. Noch, denn Chefköchin und Eigentümerin Susan Spicer weiß nicht, wie lange ihre Lieferanten sie infolge der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko noch mit qualitativ hochwertigen Meeresfrüchten und Fischen aus der Region versorgen können.
Auch wenn das Bohrloch inzwischen verschlossen werden konnte, sind die Folgen für Mensch und Natur noch überhaupt nicht absehbar. Nach offiziellen Angaben sind insgesamt 780 Millionen Liter Öl ins Meer geströmt – das ist die größte Ölpest aller Zeiten. Wenn Susan Spicer von der Katastrophe spricht, spürt man ihre Wut: „BP muss für sein grob fahrlässiges Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden“, sagt sie. Deswegen hat Spicer den Ölkonzern verklagt.
Die durch ihre Kochbücher und zahlreichen Fernsehauftritte bekannte Köchin hat sich an die Spitze einer Sammelklage gestellt. Gemeinsam mit anderen Restaurantbesitzern und fischverarbeitenden Betrieben fordert sie Schadensersatz für bereits entgangene Gewinne und zukünftige Einkommenseinbußen. Ihre Anwälte argumentieren, dass die Ölpest die wichtigsten Ressourcen der Kläger vernichtet, weil ihre Reputation und ihr Geschäft auf dem Verkauf und der Zubereitung von regionalen Fischen und Meeresfrüchten beruhen.
Spicer selbst spürt die Folgen bereits beim Einkauf: „Austern sind fast überhaupt nicht mehr zu bekommen, und auch das Angebot an frischem Fisch schrumpft zusammen.“ Im Gegenzug schießen die Preise in den Himmel. Es geht ihr bei der Klage aber nicht in erster Linie um Geld. „Ich bin nicht mal sicher, dass wir überhaupt auch nur einen Dollar bekommen“, sagt sie. Sie wolle damit vor allem Solidarität mit New Orleans demonstrieren. „Schon jetzt spielen sich bei uns überall menschliche, wirtschaftliche und kulturelle Tragödien ab.“
Spicer selbst ist ein Kind der Region. Sie wurde als eines von sieben Kindern eines US-Navy-Offiziers auf Key West geboren, einer Insel im Golf von Mexiko vor der Südküste Floridas. Als sie sieben war, zog die Familie nach New Orleans. Hier begann sie mit 26 Jahren auch ihre Karriere als Köchin. Nach Stationen in Paris, London und Bangkok arbeitete sie als Chefköchin in verschiedenen Restaurants in New Orleans, bevor sie dann 1990 das Bayona eröffnete.
Spicer hat die Restaurantszene in New Orleans von Anfang an aufgewirbelt. „Als Susan Ende der Siebziger anfing, gab es hier keine Frauen in professionellen Restaurantküchen“, sagt Poppy Tooker. Die Restaurantkritikerin, Autorin und Essensaktivistin, die eine wöchentliche Radioshow über die kulinarische Szene in New Orleans moderiert, beobachtet Spicers Karriere schon lange. Heute gehört Spicer zu den einflussreichsten Köchen in New Orleans. Sie habe dafür nie einen Posten im Berufsverband gebraucht, sagt Tooker, sondern immer durch ihre lebhafte, umgängliche Art alle für sich eingenommen. Viele von ihren Lehrlingen arbeiten heute selbst als Küchenchefs oder haben ihre eigenen Restaurants.
Dass Aufgeben für Spicer keine Option ist, hat sie 2005 unter Beweis gestellt, als der Hurrikan Katrina fast ganz New Orleans überflutete. Das Hochwasser zerstörte sowohl Spicers Wohnhaus als auch die Weinvorräte des Restaurants, weil der Strom zu lange abgeschaltet war. Trotzdem feierte das „Bayona“, das keine Flutschäden davongetragen hatte, drei Monate nach Katrina seine Wiedereröffnung. Und das, obwohl Spicer in dieser Zeit zwischen New Orleans und der 300 Kilometer entfernten Stadt Jackson hin- und herpendeln musste, wo sie mit ihrem Mann bei den Schwiegereltern Zuflucht gefunden hatte.
Für New Orleans und Umgebung könnte das BP-Desaster aber noch schlimmer werden als Katrina. In die Stadt, in der jeder sechste Arbeitsplatz vom Tourismus abhängt, kommen viele Gäste eigens wegen der kulinarischen Spezialitäten. „Die weltberühmte Küche Louisianas ist aber ohne Meeresfrüchte und Fisch kaum denkbar“, sagt Poppy Tooker.
Wenn die 57-Jährige nach Katrina aufgrund ihrer Widerstandsfähigkeit ein Vorbild für viele Leute war, ist sie es heute wegen ihrer Trotzhaltung. Sie und ihre Mitstreiter sind längst nicht die Einzigen, die gegen BP geklagt haben. Mehr als 250 Klagen sind vor US-Gerichten gegen das britische Unternehmen anhängig. Mittlerweile gibt es auch einen Entschädigungsfonds, für den BP 20 Milliarden Dollar zur Verfügung stellen will. Neben Fischern, Restaurantbesitzern und Hotels melden Immobilienmakler Ansprüche an, weil die Umweltkatastrophe die Nachfrage nach Grundstücken schmälert. Menschen, die an den Aufräumarbeiten beteiligt sind, wollen wissen, ob sie eine finanzielle Kompensation für eventuell später auftretende Gesundheitsschäden erhalten. Und Mitarbeiter anderer Ölfirmen, die wegen des von US-Präsident Barack Obama verfügten Bohr-Moratoriums zurzeit arbeitslos sind, verlangen Ersatz für ihren Verdienstausfall.
Die vielen verschiedenen Berufsgruppen, die auf unterschiedlichen Wegen Schadensersatz verlangen, zeigen, welch weitreichende ökonomische Folgen die Ölpest für die Anwohner hat.
Spicer gibt sich weiter kämpferisch. Ihr bleibt auch nichts anderes übrig. Im Juni hat sie ihr zweites Restaurant eröffnet, das Mondo. Zum Abschied sagt sie: „Ich bin stolz, ein Teil dieser unverwüstlichen Stadt zu sein.“
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