
- Der Werte-Erhalter
Ist der scheidende Haniel-Chef in Duisburg gescheitert? Er selbst legt da ganz eigene Maßstäbe an
Wie lange Jürgen Kluge seine Arbeit als Vorstandsvorsitzender von Haniel noch versehen wird, weiß der 58-Jährige selbst nicht genau. Im vergangenen November hat er lediglich verkündet, dass er seinen noch bis Ende des Jahres laufenden Vertrag nicht verlängern wird – seine Gegner sagen, Kluge hätte ohnehin kein neues Angebot erhalten. Spätestens im Dezember wird er also seinen Schreibtisch in der Zentrale Duisburg-Ruhrort räumen, nach nur drei Jahren an der Spitze des Familienunternehmens. Den Aufsichtsrat rund um das Familienoberhaupt Franz Markus Haniel hat Kluge aber bereits gebeten, so schnell wie möglich einen Nachfolger zu suchen. Dass er deswegen „ein Chef auf Abruf“ sei, findet Kluge nicht: „Mein Arbeitstag hat sich auch keinen Deut geändert. Das Verhältnis zur Familie ist professionell und gut, wie es immer war.“
Am Anfang klang das alles aber etwas euphorischer. In den ersten Monaten seiner Amtszeit hatte er noch selbstbewusst verkündet, er werde das Duisburger „Dornröschen wachküssen“ und Unternehmens-„Perlen“ suchen, um das Portfolio der Familie Haniel neu zu mischen. Sein Selbstbewusstsein hat sich Kluge bis heute bewahrt: „Natürlich haben wir die kleinen Unternehmensperlen identifiziert, aber wir haben nicht investiert, weil oberste Priorität der Abbau der Verschuldung ist“, sagt er und guckt einen freundlich lächelnd durch seine große randlose Brille an, „und was die Portfoliobereinigung angeht: Ich wollte bestimmt nicht in die Unternehmensgeschichte eingehen als derjenige, der Beteiligungen auf den Tiefstständen der Kurse verkauft“.
Wachgeküsst wurde eine der reichsten Unternehmensdynastien Deutschlands in Kluges Amtszeit tatsächlich, aber sehr viel unsanfter, als es sich die 650 Gesellschafter des zurückhaltenden Familienclans gewünscht hätten, lautet doch ein Familienmotto: „Schweigen und Verdienen“. Die Haniels können auf eine 256-jährige Tradition zurückblicken. Aus dem einstigen Kolonialwarenladen und späteren Stahlhändler hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten eine Art Familien-Private-Equity-Unternehmen entwickelt. Die Haniel & Cie GmbH verwaltet als Holding von Duisburg aus die Beteiligungen an mehreren Hundert Unternehmen. 58?000 Mitarbeiter hat die Haniel-Gruppe, im Jahr 2010 erzielte sie einen Umsatz von 27,4 Milliarden Euro. Die beiden wichtigsten Vermögenswerte sind das Handelsunternehmen Metro und der Pharmagroßhändler Celesio.
Kluges Problem ist, dass dort in den vergangenen zwei Jahren wenig verdient und nur selten geschwiegen wurde. Die Aktienkurse der beiden Unternehmen sind abgestürzt, der Metro-Kurs hat sich zeitweilig halbiert, die Celesio-Papiere verloren bis zu 80 Prozent. Ganz unschuldig war die Familie daran aber auch nicht. Franz Markus Haniel hatte vor fünf Jahren den ehemaligen Daimler-Manager Eckhard Cordes an die Haniel-Konzernspitze geholt. Dieser, ein typisches Dax-Alphatier mit großem Ego, stockte schuldenfinanziert den Metro-Anteil auf und übernahm anschließend den Vorstandsvorsitz beim Handelskonzern in Düsseldorf in Personalunion.
Die Ämterhäufung gefiel den Familienaufsehern schon nach kurzer Zeit nicht mehr. Dem aufmüpfigen Cordes setzten sie daher Anfang 2010 Jürgen Kluge als Haniel-Boss und Metro-Aufsichtsratschef vor die Nase. Spricht man mit Vertretern der Familie über die teilweise öffentlich ausgetragene Auseinandersetzung, zeigen sie sich noch heute entsetzt. Wie oft Franz Markus Haniel dann anschließend die Seiten zwischen seinen beiden Topmanagern wechselte, können nicht einmal professionelle Beobachter sagen. Das Ende vom Lied: Sowohl Cordes als auch Kluge verkündeten im Herbst 2010 ihren vorzeitigen Abgang. Auch für die Auswechslung des gesamten Celesio-Vorstands erntete Kluge familienintern nicht nur Lob.
Jürgen Kluge hat eine ganz andere Sicht auf die Dinge. Zu Celesio sagt er lediglich: „Wir haben im Aufsichtsrat Ergebnisse, Planung und strategische Ausrichtung diskutiert. Und wir haben gemeinsam mit dem Vorstand festgestellt, dass das notwendige Vertrauensverhältnis nicht mehr bestand. Daraus sind die Konsequenzen gezogen worden.“ Und in Bezug auf Cordes und die Metro versteht er die ganze Aufregung nicht: „Es wurde in den Medien ja oft und gerne als Machtkampf dargestellt, aber es gab keinen Machtkampf.“ In diesem Moment kommt der Unternehmensberater in Kluge durch, der vor seinem Engagement bei Haniel 25 Jahre bei McKinsey, davon acht Jahre als Deutschland-Chef, gearbeitet hat. Er analysiert nüchtern wie ein externer Dienstleister die Situation. Die Umsetzung können dann andere machen.
Man kann als Familie auch die Kontrolle über einen Dax-Konzern behalten...
Seinen Hang zur Außenseitermeinung erklärt der promovierte Physiker mit der Kultur seines Studienfachs: „In der Physik kann ein einziges Experiment ausreichen, um die gesamte herrschende Lehrmeinung zu kippen. Genau dann gibt es die riesigen Fortschritte.“ In der Politik und in Unternehmen gäbe es den Hang zum Kompromiss, sagt Kluge: „Dabei ist doch schon sprichwörtlich: In größter Gefahr und Not bringt der Mittelweg den Tod.“
Zu seinen Lieblingsthemen gehören Unternehmensführung und -werte. Kluge unterscheidet zwischen Orthodoxien, die immer wieder hinterfragt und an die Zeit angepasst werden müssen, und Regeln mit Ewigkeitsanspruch. Haniel scheut beispielsweise kapitalintensive Branchen, weil sie als nicht börsennotiertes Unternehmen keine Kapitalerhöhungen mithilfe der Märkte durchführen können. Andere Unternehmen, wie Henkel, machen allerdings vor, dass man als Familie auch die Kontrolle über einen Dax-Konzern behalten kann. Ewigkeitsanspruch genießt laut Kluge folgende Regel: „Als Erstes kommt die Firma, dann die Familie, dann das Management. Immer wenn es von dieser Entscheidungshierarchie Abweichungen gibt, kann man sicher sein, dass etwas schiefläuft.“ Dass darin eine Spitze gegen Eckhard Cordes versteckt ist, muss der Zuhörer schon selbst herausfinden.
Kluge definiert als Exberater auch seine Erfolge anders. „Dass in der Familie jetzt über externe Aufsichtsräte diskutiert wird, freut mich sehr. Wir haben als Vorstand immer auf diesen Entwicklungsschritt gedrängt. Das wird rückblickend sicher als Erfolg gewertet werden“, sagt er. Übersetzt heißt das: Dass die Familie den Aufsichtsrat für Experten öffnet, ist aus Kluges Sicht ein Quantensprung, weil das Gremium wertvolle, neue Anregungen erhält und professioneller wird. Und aufgrund der Verschuldung, die Cordes ihm hinterlassen hat, und der Situation an den Finanzmärkten waren ihm bei der Portfoliobereinigung die Hände gebunden.
Das Sympathische an Kluge ist, dass er über sich und seinesgleichen lachen kann. Er amüsiert sich dann über den Powerpoint-Folien-Wahnsinn bei McKinsey oder lacht über die Maßstäbe, an denen die Vorstandschefs von Dax-Konzernen gemessen werden: „Oft sind die Zeiträume viel zu kurz. Die Entwicklung eines neuen Modells in der Autoindustrie braucht mindestens vier Jahre. Die Erfolge, die ein neuer Vorstandsvorsitzender dann einheimst, sind mit Sicherheit von seinem Vorgänger initiiert worden, genauso wie die Misserfolge.“
Romantisierende Vorstellungen über Familienunternehmen hat Kluge spätestens in den vergangenen zwei Jahren verloren. Dass sie mehr Arbeitsplätze schafften, sei auch nur eingeschränkt richtig: „Man darf nicht Korrelation und Wirkung verwechseln. Es ist eher so, dass kleine Unternehmen häufiger einstellen als große, die schon lange im Markt sind. Unter den kleinen gibt es eben viele Familienbetriebe.“ Ohnehin sind ihm platte Vereinfachungen zuwider. Kluge führt dann ein Zitat von Albert Einstein an, nach dem man alles so einfach wie möglich, aber so komplex wie nötig erklären müsse.
So richtig schwer wird Kluge der Abschied aus der Haniel-Zentrale, in der es viel Marmor gibt und Teile der Kunstsammlung der Familie hängen, wohl nicht fallen. Schon bei McKinsey machte er einst Platz und ging zurück in die zweite Reihe. Kluge wird weiterhin genug zu tun haben, sich um seine Aufgaben als Honorarprofessor an der TU Darmstadt kümmern, Politikberatung machen, wie er es bereits als Mitglied der Reformkommission für die Bundeswehr getan hat, oder weitere Bücher zum Thema Bildungsreform verfassen.
Härter trifft ihn wohl schon, dass alte Wegbegleiter sich von ihm distanzieren, wie Dieter Rickert, der Grandseigneur unter den deutschen Headhuntern, der dem Vernehmen nach Kluge von McKinsey zu Haniel vermittelt haben soll. In der FAZ stufte Rickert diese Vermittlung kürzlich als „Missgriff“ ein. In Kluges Umfeld wird vermutet, es handele sich dabei um eine Retourkutsche Rickerts wegen einer Honorarstreitigkeit. Rickert soll Kluge eine Kandidatin als Ersatz für den scheidenden Haniel-Finanzvorstand vorgeschlagen haben. Später wurde dieselbe Kandidatin auf Vorschlag einer anderen Personalberatung Finanzvorstand bei Celesio. Rickert soll danach Haniel seine Dienste vergeblich in Rechnung gestellt haben.
Seinen Optimismus hat Kluge deswegen noch lange nicht verloren und will in Zukunft die ganz dicken Bretter bohren. Statt große Aufregung um kleine Themen zu entfachen, sollte man sich hierzulande lieber mal um die wirklich großen Probleme kümmern, findet Kluge: Demografie etwa, das Gesundheitswesen, die Finanzmärkte oder den Zusammenhalt der Eurozone. Am Ende wird er dann sogar leicht pathetisch: „Wir werden die Gesellschaft doch nur nach vorne bringen, wenn sich jeder vernünftig, rational und menschlich verhält. Und wenn man das selbst macht, kann man das auch von den nächsten zehn verlangen.“
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