Der braune Schatten
Warum schweigt Gunter Sachs, Deutschlands erster und einziger Playboy, in seinen Memoiren weitgehend über seinen Vater Willy Sachs? Die Geschichte eines schwierigen Erbes.
Altplayboy Gunter Sachs erinnert sich – und vergisst und verschweigt. Ausführlich plaudert der 73-Jährige in seiner Autobiografie („Mein Leben“, November 2005) oder in Interviews und lässt doch vieles ungesagt. Dass er zum Leidwesen vo-yeuristisch-neugieriger Beobachter weder über Brigitte Bardot noch andere oft prominente Gefährtinnen Erotisches ausplaudert, gehört zum wohlgepflegten Image des Gentleman, der über Genossenes zu schweigen versteht. Aber er schweigt auch über die Geschichte seiner Familie, in der freilich weniger schöne Frauen denn mächtige Männer in prächtigen Uniformen das Bild bestimmen. Verblüffend karg sind die Auskünfte über das, was Gunter Sachs zu dem gemacht hat, der er ist: ein millionenschwerer Erbe.
Nur ein paar Sätze sind dem „Opa“ gewidmet, dem Großvater Ernst Sachs, der als einfacher Handwerker in der württembergischen Provinz begann, sich als kraftvoller Radfahrer im „Frankfurter Velocipedclub“ auf der gesellschaftlichen Leiter nach oben strampelte und als Inhaber der Firma „Fichtel & Sachs“ in Schweinfurt zum Millionär wurde. Als Erfinder und Entwickler der legendären „Torpedo“-Rücktrittnabe für Fahrräder schuf er ein weltweit mit Monopolanspruch vertretenes Erfolgsprodukt „Made in Germany“, wurde zu einem paradigmatischen Vertreter wilhelminisch-gründerzeitlichen Unternehmertums.
Als sichtbare Krönung des Erfolgs kauft er sich in Mainberg vor den Toren Schweinfurts ein burgähnliches Schloss von herrschaftlichen Ausmaßen – und dies mitten im Ersten Weltkrieg. Der Gewinn, den Ernst Sachs mit der fast explosionsartig gesteigerten Rüstungsproduktion einfährt, will angelegt und soll nach außen gezeigt werden. Mit einiger Kaltblütigkeit wird das Lazarett im Schloss Mainberg geschlossen, erfolgt trotz kriegsbedingter Materialknappheit ein nicht immer geschmackssicherer luxuriöser Ausbau. Zur selben Zeit steht der 1896 geborene Sohn Willy Sachs, der Vater von Gunter Sachs, an der Westfront, erlebt die Hölle von Verdun. Gerade für ihn, für zukünftige Generationen ist der ausladende Wohnsitz gedacht. Eine Industriellendynastie soll hier für Generationen ihre Heimstatt finden.
Aber schon in der zweiten Generation, in der Gestalt von Willy Sachs, verdüstert sich der Traum der lang währenden erfolgreichen Geschlechterfolge. Nicht einmal die Eintragung ins Geburtsregister will gelingen. Vater Ernst Sachs weiß auf dem Standesamt keinen Namen für seinen Sohn anzugeben. Erst Wochen später wird der „Wilhelm“ nachgetragen, aus dem bald der etwas modische „Willy“ wird. Als einzigem Kind ruhen auf ihm alle Hoffnungen der Eltern, die zunehmend enttäuscht werden. „Was soll ich denn machen, ich habe keinen anderen Sohn“, klagt Ernst Sachs zu Vertrauten und müht sich unermüdlich, am nur begrenzt tauglichen Objekt, einen Erben großzuziehen.
Willy Sachs gleicht einem Korken, der zwar torkelt, aber vom väterlichen Erbe getragen immer obenauf schwimmt, selbst wenn ihn der Strudel der Ereignisse hinwegzureißen droht. Als eher harmloses Vorspiel zu weit dramatischeren Verwicklungen im Dritten Reich muten im Ersten Weltkrieg Turbulenzen rund um den Leutnant Willy Sachs an. Mit höchster Befürwortung durch väterliche Freunde erworben, droht ihm seine Leutnantswürde gleich wieder verloren zu gehen. Vor einem Ehrengericht wird er mit dem Vorwurf konfrontiert, sich in einer Wirtshausrauferei mit einem einfachen Gefreiten geprügelt, von diesem möglicherweise einige Ohrfeigen bezogen zu haben. Dem jungen Mann werden seine Unschuldsbeteuerungen abgenommen, auch wenn seine von einer Freundschaft mit Max Schmeling gekrönte Freude am Boxsport die Unbeteiligtheit an dem Scharmützel fraglich erscheinen lässt.
Noch einmal droht ihm Ungemach, als das Bayerische Kriegsministerium dahinterkommt, dass sich Willy Sachs beim Begehren um den Leutnants-titel fälschlich als Abiturient ausgegeben hat. Wie sein Vater, wie seine Söhne lernte auch Willy Sachs nicht so recht für die Schule, sondern eher für das Leben, vor allem durch das Leben, durch das er sich auch in diesem Fall geschickt hindurchlaviert. Entschuldigung für die Angabe über das angemaßte Abitur: Ein bevorstehender Fronteinsatz habe seine Konzentration beim Ausfüllen des Bewerbungsbogens gemindert.
Etwas ewig Unfertiges, Unreifes kennzeichnet Willy Sachs zeit seines Lebens und nicht nur in den jugendlichen Umtrieben in den goldenen Zwanzigern der Weimarer Republik. Als wollte er das Playboyleben seines Sohnes vorwegnehmen, wird der Millionärssohn in seiner Berliner Zeit, die eigentlich der Ausbildung in einem Bankhaus dienen soll, auf den Rennbahnen und an den Boxringen zur bekannten Figur im Gesellschaftsleben der vergnügungssüchtigen Reichshauptstadt. Aber auch als er 1932, Jahre nach dem überraschend frühen Tod seines Vaters, das Erbe übernimmt, wird ihm, der sich mit dem Titel eines königlich-schwedischen Konsuls schmücken darf, noch allzu große Unreife bescheinigt und damit auch der folgenreichste Schritt des jungen Fabrikherren gerechtfertigt. Noch 1933 tritt er nämlich in die NSDAP ein und schließt sich im selben Jahr der SS an. Zu jung, wie von seinen Verteidigern behauptet, um die Folgen abzusehen? Willy Sachs ist älter als Himmler oder Goebbels, gleich alt wie Göring.
„Politische Unerfahrenheit“ lautet eine andere Erklärung, die wenig überzeugen kann beim Sohn eines Industriellen, der politisch aktiv war und sich in Stresemanns „Deutscher Volkspartei“ engagiert hatte. Freilich ist es ein politisches Milieu, das keinen Halt bietet. Die ihm noch vom Vater auf dem Sterbebett als Berater zugewiesenen Männer sind alle national-bürgerlich gesinnt und wechseln schleunigst ins Lager der NSDAP, ob es nun Robert Allmers ist, der Biograf von Ernst Sachs und Chef des „Reichsverbands der Automobilindustrie“ oder Franz Ritter von Epp, Jagdfreund von Ernst Sachs und nach 1933 Reichsstatthalter in Bayern. Er habe in wirtschaftlich schwieriger Zeit seinen Arbeitern zu Lohn und Brot verhelfen wollen, heißt es nach 1945 im Entnazifizierungsverfahren, worauf der vorsitzende Laienrichter sarkastisch bemerkt: „Das hat der Führer auch gesagt. Nur von der Wurst hat er nichts gesagt.“
Ein wenig rätselhaft scheinen die Gründe für die NS-Mitgliedschaft von Willy Sachs, so wenig hat der Millionenerbe auf Schloss Mainberg mit dem nationalsozialistischen Milieu im heimatlichen Unterfranken zu tun, wo Ärzte, Lehrer, Angestellte den Ton angeben und der örtliche Gauleiter obsessiv an jüdische Ritualmorde glaubt. Eine Erklärung gibt die Mitgliedschaft im Schwarzen Orden der SS, in deren Folge wohl auch die Aufnahme in die NSDAP erfolgte. Willy Sachs kennt aus Studententagen in Hessen Karl Wolff, den Adjutanten von Heinrich Himmler; der wieder ist mit dem Ritter von Epp bekannt, dessen Adjutant er war, ehe ihn Himmler abwarb. Epp seinerseits weiß, dass Willy Sachs von seinem Vater das 600 Hektar große Jagdrevier Rechenau in Oberbayern geerbt hat, was wiederum Wolff Gelegenheit gibt, Himmler einen Jagdausflug in der Rechenau vorzuschlagen. Nach der Jagd werden einige Bocksbeutel geleert, die Stimmung steigt und Heinrich Himmler zeigt ein einnehmendes Wesen: „Herr Konsul Sachs, Sie gefallen mir. Ich ernenne Sie hiermit zum Unterscharführer.“ Willy Sachs ziert sich etwas, verweist darauf, dass er aus Zeitgründen keinen SS-Dienst machen könne. Darauf Himmler: „Ihre Ernennung ist nur ehrenamtlich, irgendwelcher Dienst in der SS kommt für Sie nicht in Frage.“
Willy Sachs findet Gefallen an seiner Mitgliedschaft im Schwarzen Orden, tritt in SS-Uniform vor seine Gefolgschaft, registriert genau seine Beförderungen, freut sich über Himmlers kleine Geschenke und die Sorgfalt bei der Verleihung des SS-Totenkopfringes, wofür das Vorzimmer von Heinrich Himmler extra im Sekretariat von Willy Sachs die Fingerstärke des inzwischen zum Sturmbannführer beförderten Kameraden ermittelt.
Willy Sachs revanchiert sich mit Einladungen zur Jagd und vor allem 1936 zur Einweihung des neuen Stadions in Schweinfurt. Dieses hat Willy Sachs mit einer Million Reichsmark finanziert, wofür das Stadion den Namen des Spenders und dieser die Ehrenbürgerwürde der Stadt erhält. Mit einem dreifachen Heil-Ruf auf Adolf Hitler krönt Willy Sachs eine etwas unbeholfene Eröffnungsrede und Heinrich Himmler klatscht in die zunehmend blutbefleckten Hände, die in weißen Zwirnhandschuhen stecken. Ebenfalls Gast bei der Einweihung des Willy-Sachs-Stadions: Hermann Göring. Auch er ein Jagdfreund von Willy Sachs und dies nach Meinung von Sohn Gunter schon lange vor 1933. Willy Sachs selbst aber beteuert nach 1945 vor dem amerikanischen Vernehmungsoffizier, erst 1933 Göring kennen gelernt zu haben. In der für ihn typischen Großzügigkeit schenkt ihm Willy Sachs eine Jagdhütte auf der Rechenau, die Göring allerdings nie nutzt.
Goldene Jahre durchlebt Willy Sachs in der ersten Zeit des braunen Reichs und sein Wohlstand ist nur bedingt den guten Beziehungen zu den NS-Größen zu danken. Er profitiert von Hitlers Leidenschaft für die Motorisierung, die unter anderem mit Steuerbefreiungen für Neuwagen gefördert wird. Auf der Berliner Automobilausstellung erntet Willy Sachs ein freundliches Schulterklopfen von Hitler für die zur Schau gestellten Kleinmotoren, doch ist „Fichtel & Sachs“ vor allem als Zulieferer für die Autoindustrie erfolgreich, die das Schweinfurter Werk mit Kupplungen und Stoßdämpfern versorgt. Rücksichtslos wird dabei dem jüdischen Ingenieur Max Goldschmidt sein Kupplungspatent weit unter Wert abgekauft. Bemühungen des Ingenieurs, sein Recht durchzusetzen, werden mit Hinweis auf die guten Beziehungen von Willy Sachs zu den Nazi-Führern unterdrückt. Ironie der Geschichte: Praktisch sämtliche Panzer der deutschen Wehrmacht sind mit Kupplungen von „Fichtel & Sachs“ bestückt, die auf Entwicklungen des emigrierten Max Goldschmidt zurückgehen. Nach Kriegsende muss Willy Sachs dem nach London emigrierten und nun Mac Goldsmith heißenden Patentinhaber mit einer Million D-Mark Wiedergutmachung leisten.
Sachs gehört trotz aller Vorteile nicht zu den großen Profiteuren des NS-Regimes wie Neckermann, Flick oder Quandt. Er will das Erbe seines Vaters vor allem bewahren, weniger ausbauen. Ihm genügen die millionenschweren Gewinne seiner Schweinfurter Betriebe – und an ihnen lässt er Göring und Himmler teilhaben. Eine Million Reichsmark spendet er an die NSDAP und die SS, übertrifft damit etwa die Mitglieder des „Freundeskreis Reichsführer SS“ bei weitem. Die Bemühungen der Spruchkammern im Entnazifizierungsverfahren, diesen Spendenfluss aufzuklären, scheitern. Willy Sachs relativiert sie, verweist auf seine generell hohe Spendenbereitschaft. Ideologische Gründe dürfen ausgeschlossen werden bei einem Mann, dem sein Jagdfreund Heinrich Himmler weltanschauliche Ahnungslosigkeit attestiert und über dessen NS-Treiben es heißt: „Bei einer Gaudi war der Konsul immer dabei.“ Die Mütze mit dem Totenkopf keck und schräg aufgesetzt, als ginge es um die Mitgliedschaft in einer Studentenverbindung, lässt sich Willy Sachs ablichten und schickt das Bild seinem „verehrten Reichsführer“ mit besten Grüßen vom „Bayern-Willy“. Reichlich fließt Geld für die NS-Freunde, aber Beginn und Ende der exorbitanten Zahlungen sowie Aktionen von Himmler und Göring verweisen darauf, dass sich Willy Sachs mit den Zuwendungen Hilfe in privaten Nöten einhandelte.
1926 hatte Willy Sachs die zwölf Jahre jüngere, noch unmündige Elinor von Opel geheiratet. Die von den befreundeten Vätern Ernst Sachs und Wilhelm von Opel gestiftete Ehe verlief unglücklich und endete desaströs. Der Ehemann galt als notorischer Frauenheld, schätzte mehr die Jagdaufenthalte in Oberbayern als das Familienleben mit seiner Frau und den Söhnen Ernst Wilhelm und Gunter. Schließlich wurde die Ehe aus beiderseitigem Verschulden geschieden und das Sorgerecht für die Söhne dem Vater zugesprochen, doch behielt Elinor von Opel die Kinder bei sich, zog mit ihnen in die Schweiz. In der Darstellung von Gunter Sachs handelte es sich um eine Flucht, weil seine Mutter wegen einer öffentlichen abträglichen Äußerung über die Protektion ihres Mannes durch seine NS-Freunde belangt werden sollte. Gerichts- und Amtsakten erzählen mehr und anderes. Danach war Elinor von Opel bei Heinrich Himmler denunziert worden – und zwar von ihrem geschiedenen Ehemann. Allerdings war sie rechtzeitig vom Himmler-Adjutant Karl Wolff gewarnt worden.
Im romantischen Graubünden, in Lenzerheide, findet Elinor von Opel im „Chalet Gentiane“ eine recht angenehme Bleibe. SS-Späher melden an ihren Chef Reinhard Heydrich nach Berlin, dass sie ein großes Haus führe und dieses offensichtlich dank der guten Beziehungen der Familie Opel trotz der strengen Devisenbewirtschaftung problemlos finanzieren kann. Heydrich ist Willy Sachs wegen eines Darlehens für einen Hausbau zu besonderem Dank verpflichtet und stattet diesen in sehr eigener Form ab. Er schickt ein Rollkommando von vier SS-Leuten in die Schweiz, denen es gelingt, die Kinder Ernst Wilhelm und Gunter für kurze Zeit in ihre Gewalt zu bringen, sich aber dann so ungeschickt verhalten, dass die Entführung vereitelt wird.
Nun machen die von Willy Sachs so großzügig mit Spenden bedachten Herren Himmler und Göring bei den Schweizer Behörden Druck, damit die Kinder nach Deutschland verbracht werden. Dazu wird ein gewisser Axel Reinhardt festgenommen, der mit Elinor von Opel im Haushalt lebt und von dem Gunter Sachs als „Mutters Großonkel Reinhart“ spricht. Der Schweizer Außenminister Motta nennt ihn „Liebhaber der Frau von Opel“. Gunter und Ernst Wilhelm werden in ein Kinderheim gebracht, doch verhindert ein politisch einflussreicher Anwalt in der Schweiz, dass dem Druck von Göring und Himmler nachgegeben und die Kinder nach Deutschland gebracht werden.
Erst jetzt besinnt sich Willy Sachs des ordentlichen Rechtsweges und kann am Ende den älteren Sohn Ernst Wilhelm in Schweinfurt in seine Obhut nehmen, von wo dieser nach dem Umweg über ein Internat in Thüringen doch wieder in die Schweiz zu seiner Mutter zurückkehrt, nachdem die Bombenangriffe in Deutschland immer bedrohlicher werden. Die Rückholung seines älteren Sohnes markiert einen Wendepunkt für Willy Sachs. Sein Verhältnis zum NS-Regime kühlt in dem Maße ab, wie ihm Himmler und Göring kriegsbedingt weniger Aufmerksamkeit schenken können. Die Spenden für die -NSDAP und SS werden auf ein Minimum zurückgefahren, „Fichtel & Sachs“ wird die Auszeichnung zum Nationalsozialistischen Musterbetrieb verweigert. NS-Funktionäre intrigieren gegen den zum Wehrwirtschaftsführer ernannten Industriellen, der sich immer mehr auf seine Latifundien in Oberbayern zurückzieht und sich immer weniger um das von verheerenden alliierten Luftangriffen zunehmend verwüstete Werk kümmert.
Bei Kriegsende fühlt sich der noch 1943 zum SS-Obersturmbannführer beförderte Willy Sachs derart wenig in den Nationalsozialismus verstrickt, dass er auf der Rechenau davon fantasiert, den amerikanischen Truppen zwecks friedlicher Übergabe der Heimatgemeinde entgegenzugehen. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Willy Sachs wird von US-Militär festgenommen und bei Stuttgart interniert. Allerdings beweist er auch in dieser Situation seine Korkenqualität, befindet sich selbst unter derart widrigen Umständen schnell wieder obenauf. Er darf in bayerischer Tracht im Internierungslager herumlaufen, nennt die Amerikaner seine besten Freunde und verfügt derart reichlich über Lebensmittel, dass er noch einem Schweinfurter Landsmann manche Leckerei zukommen lassen kann.
Nach der Entlassung wartet auf Willy Sachs das Entnazifizierungsverfahren, das darüber entscheidet, ob er wieder über sein Vermögen verfügen darf. Zur Seite steht ihm ein findiger und trickreicher Anwalt, der selbst SS-Mann und ein Freund von Hitlers Kurzzeit-Schwager Hermann Fegelein war und nun dafür sorgt, dass sich die einstige schwarze SS-Uniform in eine weiße Weste verwandelt. Ein gutmütiges Laiengericht, das in Schweinfurt dem einst mächtigen Industriellen fast devot entgegentritt, vermag an Willy Sachs nichts Arges zu entdecken. In einer Gerichtsposse nach Art des Komödienstadls wird festgestellt, dass so hohe Spenden an die Nazis nicht hätten sein müssen. Das mit der SS-Uniform sei auch nicht gut gewesen. Aber, so der Vorsitzende: „Sie müssen sich nicht genieren.“ Willy Sachs findet es nun auch nicht mehr so gut, dass er so kräftig mitgemacht hat und gleicht seinem Opern-Jagdkameraden Max im „Freischütz“, der mitleidheischend beteuert: „Schwach bin ich, obwohl kein Bösewicht!“ Das Urteil, das Willy Sachs als „Mitläufer“ einstuft, wird zwar von der US-Aufsichtsbehörde kassiert. Aber auch in zweiter Instanz schafft es der Anwalt, dass kein strengeres Urteil zustande kommt, wobei er sich der infamen Methode bedient, den Täter zum Opfer zu machen und Willy Sachs wider die Fakten als rassisch Verfolgten darzustellen.
Wieder im Besitz von Fabrik und Vermögen beteiligt sich Willy Sachs nur noch begrenzt an der Unternehmensführung, darf aber erleben, wie „Fichtel & Sachs“ mit Zweitaktmotoren an der Mobilisierung der bundesrepublikanischen Gesellschaft partizipiert und wieder reichlich Gewinn abwirft. Mit dem Bundesverdienstkreuz wird der Wirtschaftswunderkapitän geehrt, der nun in schwerer Mercedes-Limousine zwischen dem Werk in Schweinfurt und dem Jagdsitz in Oberbayern pendelt. Aber wieder ist der öffentliche Glanz von privatem Unglück grundiert. Die einst als „vulkanisch“ gerühmten Kräfte von Willy Sachs nehmen ab. Er, der sich gerne „Stier vom Inntal“ nennen ließ, wird von Zuckerkrankheit heimgesucht gepaart mit deren grauer Schwester, der Depression.
Ein drohendes Gerichtsverfahren lässt das Unglück von Willy Sachs in den fünfziger Jahren eskalieren. Er war erpresst worden und der Erpressung ist nun unter anderem sein ehemaliger Entnazifizierungs-Anwalt angeklagt. Das Gerücht taucht auf, dass dieser mehr über die NS-Verstrickung wisse, als bisher bekannt geworden ist. Aber es sind nicht braune Schatten, die in dieser Zeit einem angesehenen Mann zum Verhängnis werden können, wohl aber die repressiven Gesetze einer restaurativen Epoche. Von einer Abtreibung der Lebensgefährtin von Willy Sachs ist die Rede, zu der er angestiftet haben soll. Solches würde in dem Prozess zur Sprache kommen, zu dem Willy Sachs geladen ist.
Ehe es so weit kommt, erschießt sich Willy Sachs im Herbst 1958 in seinem Jagdhaus. In Schweinfurt wird um den Tod und seine Umstände Diskretion gewahrt, ist von einem „tragischen Unglücksfall“ die Rede. Nichts soll die Trauerfeier stören, mit der sich die Stadt von einem ihrer großen Industriellen verabschiedet. Hinter dem Sarg im endlosen Trauerkondukt gehen die Söhne Ernst Wilhelm und Gunter, um die der Vater einst mit den brachialen Methoden des Dritten Reiches gekämpft hatte. Sie sind, keine dreißig Jahre, mit einem Schlag Millionäre. Während sich der Ältere recht und schlecht darum bemüht, den väterlichen Betrieb zu lenken, tritt der Jüngere seinen Höhenflug zum Playboy an.
Der Phönix, der hier emporsteigt, lenkt mit seinem bunten Gefieder schnell von aller dunklen Vergangenheit ab, die auf dem Erbe lastet, lässt nichts von der Glut und Asche erkennen, aus der er sich erhebt. Nachdem Bruder Ernst Wilhelm unter einer Lawine zu Tode kam, Gunter Sachs viel von seiner geliebten Mutter und kaum vom Vater spricht, und das Werk längst verkauft ist, kündet letztlich nur noch das Sachssche Familiengrab auf dem Schweinfurter Friedhof vom früheren Geschick. Die überdimensionale Statue eines segnenden Christus erhebt sich über der Gruft, in der Firmengründer Ernst Sachs und sein Sohn Willy liegen. Schwarze Bahnen hat der Regen im Laufe der Jahrzehnte unter den Augen der Christusfigur hinterlassen und den tröstlich gemeinten Zügen die Düsternis einer Schreckgestalt aus einem Stummfilm verliehen. So erzählt das Denkmal auf bizarre Weise von jenem Heil und Unheil einer Familie, das vom Nachfahren beschwiegen wird.
Wilfried Rott war Redakteur des SFB/RBB und ist seit 1999 Kolumnist (FAZ, Welt, Berliner Morgenpost). 2005 erschien „Sachs – Unternehmer, Playboys, Millionäre“ (Karl Blessing Verlag)
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