- „Amazon ist kein Buchhändler“
Die Autorin Pia Ziefle hat ihrem Ärger über Amazon schon vor Monaten Luft gemacht. Im Interview erklärt sie, womit Kindle-Nutzer bei einer Konto-Auflösung rechnen müssen, warum gerade Schriftsteller den Online-Riesen boykottieren sollten und wie sich die Debattenkultur im Netz verändert
Frau Ziefle, können Sie sich an Ihre erste Bestellung
bei Amazon erinnern?
Das dürfte ungefähr 13 Jahre her sein. Ein Fachbuch vermutlich. Ich
habe damals als Autorin für Computerspiele gearbeitet. Dazu gab es
in Deutschland fast keine Fachliteratur, alles musste aus dem
Ausland bezogen werden. Dafür war Amazon natürlich toll.
Was hat Amazon damals attraktiv gemacht?
Ich hatte wahnsinnige Arbeitszeiten und kam tagsüber praktisch
nicht in die Buchhandlungen. Bei Amazon konnte man jederzeit
bestellen, die Bücher wurden innerhalb von ein, zwei Tagen
geliefert. Das war ein Riesenvorteil.
Ihr Ärger mit Amazon begann
letzten Sommer mit einem unerwünschten Newsletter.
Ich interessiere mich nicht für Schuhe und Handtaschen. Überhaupt
nicht. Trotzdem bekam ich den Newsletter eines Online-Händlers für
Schuhe und Handtaschen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich in diesen
Verteiler geraten war. Beim Versuch, mich abzumelden, sah ich dann,
dass das Unternehmen eine Tochterfirma Amazons war.
Sie waren also als Kunde bei einer Amazon-Tochter
registriert, obwohl sie dort noch nie bestellt hatten?
Genau. Und das geht nicht in Ordnung. Amazon kann doch nicht
einfach eigene Kunden, die vor zehn Jahren mal ein Fachbuch
bestellt haben, in die Kundenregister eines Schuh- und
Handtaschenhändlers transferieren! Was fällt denen ein?
Wie hat Amazon reagiert?
In den AGBs stand, dass Amazon das Recht hat, seinen kompletten
Kundenstamm auf einhundertprozentige Tochterfirmen zu übertragen.
Das mag rechtlich in Ordnung sein, als Kunde finde ich das einfach
unmöglich. Deshalb habe ich entschieden, mein Konto aufzulösen.
War die Kontoauflösung einfach?
Im Gegenteil. Es gibt nirgendwo einen Button; es gibt auch keine
Anleitung. Man muss dem Kundenservice eine Mail schreiben. Dann
kommt eine lange Antwort, in der geschildert wird, was die
Kontoauflösung so alles mit sich bringt: welche Daten man verliert,
und so weiter. Ein bisschen wie bei der Facebook-Kontolöschung,
wenn Fotos von Freunden eingeblendet werden unter dem Titel: „Diese
Menschen werden Dich vermissen“. In dieser Mail steht auch: Sie
verlieren den Zugriff auf die Kindle-Inhalte.
Was ist damit gemeint?
Das wusste ich auch nicht. Ich habe beim Kundenservice angerufen
und mich erkundigt. Ein Dutzend Servicemitarbeiter konnte mir nicht
weiterhelfen. Das hat mich stutzig gemacht. Ich frage mich, ob die
das bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt schon durchdacht hatten.
Was steht in den
Kindle-Nutzungsbedingungen?
Man erwirbt als Kunde nicht das eBook, sondern nur eine Lizenz für
eine bestimmte Nutzung. Das heißt, dass man die Kindle-Inhalte nur
lesen darf, wenn sie sich auf einem Kindle-Gerät befinden, das
einem aktivierten Konto zugeordnet ist.
Nach Löschung des Amazon-Kontos dürfen Kindle-Inhalte
also nicht mehr gelesen werden?
Tja. Ich habe mein Konto inzwischen gelöscht. Aber natürlich kann
Amazon nicht einfach so auf mein Kindle zugreifen und die Bücher
löschen. Die sind immer noch da. Darf ich sie jetzt noch legal
lesen? Keine Ahnung. Es gibt bei Amazon niemanden, der dazu etwas
sagt. Offensichtlich hat man die Möglichkeit, dass ein
Kindle-Nutzer sein Konto auflösen könnte, einfach nicht bedacht. Es
ist schon bezeichnend, wenn ein Konzern überhaupt nicht für den
Fall plant, dass eine Kundenbeziehung endet.
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Auch als Autorin kritisieren Sie Amazon scharf.
Warum?
Normalerweise bleiben zwischen 30 und 40 Prozent des
Verkaufspreises eines Buches beim Buchhändler. Da liegt Amazon mit
den jetzt kommunizierten 50 Prozent deutlich drüber; zusätzlich
werden Gebühren erhoben. Weil die Preise aber marktfähig bleiben
müssen, wird dann eben bei anderen Posten gespart – bei Autoren,
Druckern, Verlegern. Obendrauf kommt der (legale) Gewinn durch die
Umsatzsteuerdifferenz. Wir Autoren sollten das nicht auch noch
durch massenhafte Verlinkung oder durch Partnerprogramme mittragen.
Amazon versteht sich bis heute nicht als Teil des Literaturbetriebs
– eben als Buchhändler – sondern bloß als Logistikunternehmen.
Was meinen Sie genau?
Wer steht als Ansprechpartner für Autoren zur Verfügung? Wer
organisiert Lesungen? Wer berät Kunden? Wer mischt aktiv im
Literaturbetrieb mit? Wer vernetzt sich mit Bibliotheken und
anderen Kulturbetrieben? Die stationären Buchhändler. Amazon hält
sich aus diesen Dingen heraus.
Amazon verweigert sich weiten Teilen des klassischen
Buchhandelsgeschäfts?
Ja. Aber natürlich hat Amazon ein paar Tricks, um Autoren zu
verführen. Vor allem Zahlen. Amazon liefert
stündlich aktualisierte Verkaufsränge für Bücher. Für viele Autoren
ist dieses Instrument sehr wichtig. Aber im Prinzip wäre es für die
Verlage sehr einfach, da reinzugrätschen und ihren Autoren von sich
aus wöchentliche Verkaufszahlen mitzuteilen. Ein anderes Instrument
sind die Kundenrezensionen, die sind natürlich auch verführerisch.
Gerade für jemanden wie mich, die sozusagen aus dem Internet kommt
und Resonanz in Echtzeit gewöhnt ist.
Es gibt zurzeit 82 Kundenrezensionen ihres Debütromans
„Suna“. Im Schnitt bekommt er fünf Sterne.
(Lacht) Ich bin eben gut vernetzt, aber für die
Bewertungen kann ich nichts. Es gab Leserunden auf lovelybooks, und
die internetaffinen Leser haben oft nicht nur in ihren
Literatur-Blogs über das Buch geschrieben, sondern ihre Texte auch
bei Amazon reinkopiert. Das ist natürlich ein nettes
Marketinginstrument, wegen der Sichtbarkeit. Aber: Amazon leistet
hier eigentlich nichts. Die stellen bloß eine Plattform zur
Verfügung. Die Arbeit machen andere.
Amazon steht seit der Ausstrahlung einer ARD-Reportage,
in der die Arbeitsbedingungen der Leiharbeiter kritisiert wurden,
in der Kritik. Waren Sie von der Heftigkeit der Reaktionen
überrascht?
Nein. Amazon, das betrifft uns im Netz einfach alle. Jeder bestellt
da. Aber bislang haben wir uns immer als die Guten gefühlt – die
Internet-Avantgarde, die kapiert hat, wo es hingeht. Und jetzt
stellen wir fest: Diese schöne neue Businesswelt funktioniert nach
Gesetzmäßigkeiten, die old school sind. Mindestens. Wenn nicht 15.,
16. Jahrhundert. Das ist der Hauptgrund für das Ausmaß der
Empörung. Außerdem sind viele schreibende Leute online unterwegs –
Autoren, Journalisten, und so weiter. Die sind häufig mehrfach
betroffen, als Autoren, Leser, vielleicht auch als Verleger. Und da
sie nicht auf den Mund gefallen sind, machen sie bei so einer
Debatte kräftig mit.
Die ARD-Reportage wurde bislang 1,5 Millionen mal in der
Online-Mediathek angeklickt. Sie wird ein Jahr lang abrufbar sein.
Potenziert sich der Einfluss der Medien durch das
Internet?
Nein, das würde ich nicht sagen. Bei der Amazon-Debatte ist die
persönliche Betroffenheit ausschlaggebend.
Amazon hat inzwischen die Zusammenarbeit sowohl mit
einer umstrittenen Sicherheitsfirma als auch mit einer Firma, die
für die Unterbringung der Leiharbeiter sorgte, beendet. Zeigt diese
Reaktion, dass auch ein Branchenriese sich öffentlichem Druck
beugt?
Nein. Die Leute bei Amazon sind ja vernünftig. Dass man
Rechtsradikale nicht beschäftigt, das ist ja nicht nur eine
PR-Frage, das ist ganz einfach eine Prinzipienfrage. Ich bin mir
deshalb nicht sicher, ob man jetzt sagen kann, Amazon beugt sich
dem Druck. Vielleicht ziehen sie einfach die offensichtlichen
Konsequenzen. Wir sollten uns jedenfalls nicht einbilden, wir
hätten ein großes Unternehmen in die Knie gezwungen.
Immer mehr werden gesellschaftliche Debatten im Netz
ausgetragen. Wie verändert sich dadurch die
Debattenkultur?
Früher waren die Netzdebatten eher kurz, Strohfeuer. Heute laufen
sie länger. Das ist die wesentliche Veränderung. Man darf jetzt
auch fünf Tage später einen Blogeintrag schreiben, und er wird
immer noch gelesen. Früher war das total verpönt. Man kann auch
heute noch was zum #aufschrei machen. Manchmal entwickelt sich aus
diesen Debatten auch etwas Größeres, zum Beispiel ein Themenblog.
Es gibt da eine neue Nachhaltigkeit in den Netz-Debatten, die es
noch vor ein paar Jahren nicht gab. Ich gehe davon aus, dass in
einem Vierteljahr Leute da sein werden, die fragen werden, wie
sieht es jetzt aus bei Amazon?
Frau Ziefle, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Pia Ziefle hat im Frühjahr 2012 ihren Debütroman „Suna” bei Ullstein veröffentlicht. Ihre Erlebnisse mit dem Online-Versandhändler Amazon hat sie - neben ganz anderen Themen - auf ihrem Blog Denkding geschildert.
Das Gespräch führte Christophe Braun.
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