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(picture alliance) China, der größte Emittent von Treibhausgasen weltweit, spürt selbst den Klimawandel: Frühere Agraranbauflächen sind mittlerweile Wüsten.

Klimawandel - „Weniger Al Gore und etwas mehr Wissenschaft“

Ob Stürme, Dürren oder die Entdeckung eines zweiten Ozonlochs – wenn es um Klimaveränderungen geht, berichtet die Presse dramatisch. Als „Propaganda“ und „Untergangsterror“ bezeichnete der Wirtschaftsjournalist Wolf Lotter teils die Debatte. CICERO ONLINE ließ den Klimaskeptiker auf einen Klimaforscher los.

Thomas Jung ist stellvertretender Direktor der Abteilung Klimawissenschaften am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Dort erforscht er Wetteranomalien und Veränderung in den Strömungen. Sein Kontrahent Wolf Lotter ist Mitgründer und Leitartikler des Wirtschaftsmagazinsbrand eins. Er äußerte sich in mehreren Publikationen kritisch über den Stil der Klimadebatte.

 

Die erste Frage geht an den Meteorologen und Klimaforscher: Herr Jung, wie empfanden Sie das Wetter im November?

Jung: Als ausgesprochen trocken. Persönlich hat es mir gut gefallen, da wir Umbauarbeiten hatten. Wenn Sie aber wissen wollen, ob man diese Zirkulationsanomalie auf anthropogen [menschlich, Anm. der Redaktion] veränderte Klimabedingungen zurückführen kann, würde ich ganz klar sagen: nein. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass dieses Wetter direkt mit der Klimaveränderung zusammenhängt. Vor zehn Jahren, als ich nach England ging, gab es dort eine ähnliche Diskussion. Damals beobachtete man den nassesten November seit Jahrzehnten. Erst zu nasse, dann zu trockene Monate – das zeigt, wie variabel das Klima sein kann.

In einer viel beachteten Studie haben Wissenschaftler – darunter auch Forscher Ihres Instituts – in diesem Jahr auf ein Ozonloch über der Arktis hingewiesen. Wie sehr muss uns das beunruhigen?

Jung: Das ist was anderes, die Wetteranomalie im November fand unabhängig von den Veränderungen in der Ozonschicht statt. Der Rückgang des Ozons ist natürlich etwas, was schon bedenklich ist. Wir haben höhere UV-Werte im Frühjahr, wo die UV-Belastungen normalerweise geringer sind, festgestellt.

Herr Lotter, Sie haben die Diskussion um den Klimawandel gemeinsam mit Klimaskeptikern als „Untergangsterror“ und „Angstdebatte“ bezeichnet. Würden Sie das im Zusammenhang mit diesen Befunden auch tun?

Lotter: Die Erkenntnisse guter Naturwissenschaftler bezweifle ich gar nicht. Schon die erste Antwort von Herrn Jung zeigt mir, dass er zu den nicht-spekulativen Forschern gehört – und ganz klar sagt, dass nicht jede Temperaturschwankung eine Katastrophe ist, die sich medial leicht verkaufen lässt. Gute Naturwissenschaftler haben mit guten Journalisten eines gemeinsam: Sie dienen der Aufklärung. Das Problem, das die Klimaforschung hat – und die Menschen, die mit ihr zu tun haben – ist weniger die Forschung selbst, sondern deren Interpretation. Die meisten Medien freuen sich wahnsinnig, wenn es möglichst hart und knackig hergeht, wenn der Untergang nochmals getoppt wird. Das erleben wir jetzt seit 20 Jahren. Stattdessen sollte man in die Diskussion lieber wieder Sachlichkeit, Ruhe und Kühle einkehren lassen. Es stellt sich die Frage, wie sehr man wissenschaftliche Arbeit und ein Thema wie die Klimaforschung überhaupt noch bezweifeln darf – in einem konstruktiven Sinn natürlich. Da liegt für mich Vieles im Argen, denn es kann nicht sein, dass man eine Diskussion einfach verbieten will und skeptische Bürger, Journalisten und Forscher diffamiert. Wer Andersdenkende als „Leugner“ diskreditiert, ist für Dogmen und Unfehlbarkeit. Das sind gefährliche, falsche Antworten.

Welche Antwort würden Sie sich selbst auf diese Frage geben?

Lotter: Ich würde nach den Interessen fragen. Wem nützt es, wenn Dinge besonders oft und besonders intensiv diskutiert werden? Ich bin Wirtschaftsjournalist, und ich stelle diese Fragen genauso, wenn es um andere Themen geht. Das ist mein Job, dafür werde ich bezahlt. Zweifeln ist der Weisheit Anfang, sagt Descartes – und damit hat er die erste Bürgerpflicht schon benannt. Konstruktives Zweifeln, versteht sich, nicht einfach Ablehnung. Das ist zu billig.

Freut Sie eine solche Aussage des Zweifelns, Herr Jung?

Jung: Ja, auf jeden Fall. Zweifeln ist das Geschäft der Wissenschaften. Das Problem beginnt dann, wenn Klimaskeptiker wiederholt Argumente anführen, die physikalisch nicht plausibel sind. Da gibt es natürlich im Rahmen von Diskussionen eine gewisse Grenze.

Lesen Sie auch, warum Lotter Verschwendung für richtig hält – und Jung nicht an Verhaltensänderungen glaubt.

Herr Lotter hat ja mit dem Buch „Verschwendung - Wirtschaft braucht Überfluss“ mehr oder weniger zur Maßlosigkeit aufgerufen. Er kritisierte, dass die Deutschen alles, was reduziert, einspart, weglässt, schlanker und übersichtlich macht, als gut bezeichnen. Wenn wir aber nicht sparen, sondern verschwenden sollen – heißt das dann nicht auch, dass wir die Umwelt weiter verschmutzen dürfen?

Lotter: Darf ich ganz kurz vorher noch etwas korrigieren: Ich habe nicht zur Maßlosigkeit aufgerufen, sondern dazu, möglichst in Varianten und Vielfalt zu denken. Die Frage ist, ob wir unsere Zukunft gestalten wollen, indem wir sagen: „Diese Erde wird schlechter werden als sie zurzeit ist.“ Es gibt ein gemeinsames Angstszenario. Ich schlage vor, in der Klimapolitik nicht nur auf Prävention und auf die Organisation der Forschung setzen. Stattdessen sollten wir über die Neuverteilung von Ressourcen und eine andere Form der Entwicklungszusammenarbeit nachdenken und vor allem Dingen auch, was man tut, wenn sich das Klima verändert. Wir müssen vor allen Dingen auch die Anpassung im Auge haben. Ich finde es albern, wie die deutsche Politik – federführend auch Frau Merkel – ausruft, man sei technisch in der Lage, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Das ist wirklich unseriös. Ich würde mir weniger Show wünschen; ein bisschen weniger Al Gore und etwas mehr Wissenschaft.

Wie soll ein Verzicht auf weitere CO2-Emissionen aus Ihrer Sicht dann konkret aussehen? Wie können wir die Umweltzerstörung verhindern?

Lotter: Man muss zunächst einmal diskutieren, was die Welt eigentlich will. Da wird ein moralischer Druck auf Regierungen von Schwellenländern aufgebaut – beispielsweise auf China – der aus meiner Sicht schwer nachzuvollziehen ist und vor allen Dingen unrealistisch ist. Letztlich verbirgt sich hinter der Forderung, gemeinsam die Welt zu retten, immer auch die Forderung, ein bisschen langsamer zu wachsen. Wer gegen das Wachstum in Schwellen-und Entwicklungsländern redet, ist zutiefst unmoralisch. Solche Leute sind gegen Teilhabe, Gerechtigkeit und soziale Verbesserung. Es ist typisch, dass es westliche Wohlstandskinder aus gutem Haus sind, die fordern, andere müssten nun Diät halten. Muss man den Aufsteigernationen des 21. Jahrhunderts tatsächlich das verbieten, was die westlichen Staaten sich in den vergangenen 200 Jahren erlaubt haben? Es gibt da auch starke politische und ökonomische Interessen, am Thema „Weltuntergang qua anthropogenem Treibhauseffekt“ festzuhalten: Die Wohlstandsnationen haben natürlich wenig Interesse am Aufstieg der Schwellenländer. Ich habe dazu auch keine Lösung. Aber ich bin dafür, dass man das mitdiskutiert.

Sehen Sie das auch so, Herr Jung?

Jung: Viele Regionen werden sich in den nächsten Jahren schwerer an diese Änderung anpassen können, wenn man etwa davon ausgeht, dass der Meeresspiegel ansteigen wird. Da gibt es eine große Unsicherheit.

Lotter: Das kann ich gut verstehen.

Jung: Ich halte es für eher unwahrscheinlich, dass Menschen ganz erheblich ihren Lebensstil ändern werden – und beispielsweise die Anzahl ihrer Flügen reduzieren. Aber es ist wichtig, dass wir unsere Emissionen reduzieren. Dafür sollten wir die bestehenden Ressourcen effizient nutzen – und die Forschung zu alternativen Energien vorantreiben. Damit kann man obendrein Geld sparen und möglicherweise einige weltpolitische Konflikte eindämmen.

Da steckt ja ein Widerspruch: Sie beide glauben, dass die Menschen nicht ihren Lebensstil ändern und sparen werden – gleichzeitig sollten aber die Emissionen reduziert werden. Herr Lotter, können Sie erklären, wie das möglich sein soll?

Lotter: Ich habe eine ganz einfache Einstellung zum Thema Verbrauch fossiler Energien, die ich seit 25 Jahren gebetsmühlenartig wiederhole: Wenn wir eine so hochwertige Energieressource wie die fossilen Energien – die uns in der Emission Probleme machen, aber in der Verwendung für viele Grundstoffe, wie etwa Medikamente, wichtig sind – so rausballern, dann ist das eigentlich doof. Wir können aber den Individualverkehr nicht zurückbauen, das ist eine Illusion. Stattdessen muss man versuchen, nach alternativen Energieträger zu suchen. Und das müssen nicht immer nur regenerierbare oder grüne Technologien wie Windkraft und Solar sein, für die es große Lobbys und in Deutschland jede Menge politischer Bevorzugung gibt. Wir brauche den Mut, weiter zu denken. Das ist irgendwie unmodern geworden. Und das liegt auch am Pessimismus, den die Klimaberichte des Weltklimarates IPCC zeichnen. Da wird mit Angst Politik gemacht. Es geht aber darum, nachzudenken statt Panik zu machen.  Das ist aber vor allem ein Persönlichkeitsproblem bei einigen Klimaforschern...

Lesen Sie auf der dritten Seite, warum Lotter den Klimaberater der Bundesregierung für einen Propagandisten hält.

Sie denken da immer noch an den Physiker Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, gegen den Sie 2007 eine Stellungnahme in der Frankfurter Allgemeinen verfassten?

Lotter: Bei Klimakatastrophe denke ich natürlich immer an  Stefan Rahmstorf. Ich habe kein Problem mit der Klimaforschung, ich habe ein Problem mit einem Klimaforscher, der alle Kritiker angreift und sich etwa damit brüstet, „schwarze Listen“ mit Journalisten zu führen, die nicht schreiben, was ihm gefällt. Ich habe das selbst erlebt: Er geht nicht den direkten Weg, sondern interveniert gegen unliebsame Kritiker bei Chefredaktionen und macht Druck. Leider geben manche Verlage dem Druck nach, der hier erzeugt wird, etwa vor kurzem die Frankfurter Rundschau im Fall einer Autorin, die von Rahmstorf in einem Blog angegriffen wurde. Die Kollegin hat zwar vor Gericht gewonnen, ihr Verlag steht aber nicht zu ihr. Wer die Bundeskanzlerin in Klimafragen berät, ist offenbar so mächtig, dass keine Kritik an ihm erlaubt wird. Solches Verhalten führt zum Gesinnungsterror. Und dagegen muss man sich wehren, als Journalist, Bürger und übrigens auch Klimaforscher.

Jung: Ich habe zehn Jahre in England gelebt und diese Diskussion nicht direkt verfolgt. Was ich sagen muss, ist, dass Rahmstorf sicher nicht in jeder Hinsicht den Standpunkt aller Klimawissenschaftler vertritt. Der IPCC-Bericht ist eine Zusammenfassung von Hunderten von Wissenschaftlern. Unabhängige Wissenschaftler, die Sachen kritisch sehen und Fragen mit kritischen Leuten aus der Bevölkerung diskutieren.

Lotter: Uneingeschränktes Ja von meiner Seite.

Um mal von dieser Personalie wegzukommen und hinein in die Debatte um die Klimakonferenz in Durban: Wenn Sie einen Wunsch hätten – wie würde Ihr neues Kyoto-Protokoll aussehen? Herr Jung?

Jung: Wenn man sich das Kyoto-Protokoll einmal anschaut – da haben sich die Länder verpflichtet, die Emissionen bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 1990 zu verringern. Die meisten Länder der Europäischen Union haben das geschafft. Das ist doch erst einmal außerordentlich positiv. Es wäre sicherlich wünschenswert, so weiterzumachen. Vielleicht müsste man sich international mal überlegen, wie man Forschung im Bereich der alternativen Energien entlang der Idee des Manhattan-Projekts organisieren könnte, wie das Ende der dreißiger und vierziger Jahre in den USA für den Bau der Atombombe getan wurde. Damals brachte man die klügsten Köpfe zusammen und schuf Anreize für das zentrale Forschungsergebnis.

Könnte als solches Manhattan-Projekt nicht etwa der Iter-Forschungsreaktor zur Kernfusion in Südfrankreich, an dem sieben internationale Projektpartner beteiligt sind, herhalten?

Jung: Da kenne ich mich nicht mit den Details aus. Aber ich denke, es müsste breiter aufgestellt sein. Kernfusion ist nur ein Element, Solarenergie wäre ein anderes, es braucht viele alternative Formen. Ich denke auch, dass das die Lebensqualität vieler Menschen erhöhen würde.

Lotter: Ich bin ganz bezaubert von der Vorstellung des Manhattan-Projekts. Wir müssen anfangen, konstruktiv zu denken und nicht in Untergangsszenarien, wo alle die Zukunft der Menschheit für einen Roland-Emmerich-Film halten. Es gibt Projekte wie beispielsweise Desertec. Dieses Großprojekt der Solarenergie wurde von vielen Umweltschutzorganisationen und NGOs immer wieder ganz hart attackiert, weil es eine Konkurrenz darstellt. Auf diesem Weg gibt es sehr viele Partikularinteressen. Darauf müssen wir Journalisten auch immer wieder hinweisen. Wichtig ist, dass ein solches Projekt in internationalen, großen Strukturen organisiert wird, die transparent, demokratisch legitimiert sind und kontrolliert werden. Also keine NGO-Strukturen.

Eine Frage haben Sie damit aber nicht beantwortet: Wie stellen Sie sich ein Nachfolgeprotokoll von Kyoto vor? Es ging ja auch um die Festlegung auf bestimmte Emissionsgrenzen.

Lotter: Ich glaube, dass die Emissionsgrenzen nicht unser Problem sind. Da merkt man schon, wie bürokratisiert diese ganze Debatte ist. Ich glaube, dass auf diesen Klimagipfeln nichts herauskommt. Da entsteht eine globale Mega-Bürokratie, die sich selbst ernährt und sich auch selbst legitimiert. Zu dieser Legitimation braucht sie die Angst, die den Bürgern untergejubelt wird. Das neue Protokoll müsste also einen Handlungskatalog aktiver Problemlösungen beinhalten – und nicht der Angstmache.

Herr Jung, sehen Sie die Klima-Bürokratie auch so kritisch?

Jung: Wir müssen mit neuen Konzepten kommen, wie wir effizienter mit den Ressourcen umgehen. Das ist das Wesentliche. Es gibt viele Beispiele erfolgreicher internationaler Zusammenschlüsse. Das Manhattan-Projekt ist unter sehr unglücklichen Umständen zusammengekommen, aber es war sehr erfolgreich. Es gibt aber auch andere Beispiele. Es stimmt, es wird schwierig, die Gewohnheiten der Menschen zu verändern. Aber man muss es nicht – wenn man sich etwa die Isolierung von Häusern anschaut. Bei schlechter Isolierung verbraucht man viel Energie, um das Haus auf 20 Grad zu erwärmen. In einem gut isolierten Haus ändert sich nichts an meinem Wohlbefinden. Man nutzt die Ressourcen allerdings deutlich besser, das ist das Wesentliche.

Herr Jung, Herr Lotter, vielen Dank für das Gespräch.

Das Streitgespräch moderierte Petra Sorge.

Fotos: privat (Thomas Jung), Wolfgang Schmidt (Wolf Lotter)

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