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NSU-Ausschuss - Otto Schilys Erinnerungslücken

In Otto Schilys Amtszeit als Bundesinnenminister fielen die meisten Morde der Jenaer Terrorzelle. Was konnte er im Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Ermittlungspannen beitragen?

Autoreninfo

Christian Tretbar ist stellvertretender Redaktionsleiter des Tagesspiegels Online. Er arbeitet außerdem in der Berliner Parlamentsredaktion der Zeitung.

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In seiner Amtszeit ist das rechtsextreme Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe untergetaucht. Sie haben sich zur rechtsextremen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zusammengeschlossen und unter anderem neun Menschen mit Migrationshintergrund ermordet sowie eine Polizistin. Sieben der zehn Morde fallen in seine Amtszeit, ebenso zwei Sprengstoffanschläge mit mehreren Verletzten. Otto Schily (SPD) war von 1998 bis 2005 Bundesinnenminister. Am Freitag musste er die Zeit rekapitulieren – als Zeuge vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages.

Wie ist Schily im Ausschuss aufgetreten?

Stark angefangen und stark nachgelassen.

So kann man den Auftritt des 80-Jährigen beschreiben. Einen Aktenordner und eine Packung Taschentücher vor sich liegend, fand Schily zunächst deutliche Worte und übernahm die politische Verantwortung für die zahlreichen Versäumnisse bei den Ermittlungen. „Dass es den Sicherheitsbehörden nicht gelungen ist, der Mörderbande auf die Spur zu kommen, ist höchst schockierend und bedrückend“, sagte er. Das belaste ihn sehr. Für ihn sei der Fall NSU eine „schwere Niederlage des Rechtsstaates“. Schily sprach sich deshalb für eine stärkere Zentralisierung der deutschen Sicherheitsarchitektur aus. Die Landesämter des Verfassungsschutzes müssten in das Bundesamt integriert werden.

Ihn berühre das Versagen in zweifacher Hinsicht. Denn der Kampf gegen den Rechtsextremismus sei eine der wichtigsten Aufgaben von Rot-Grün gewesen, aber auch „persönlich mein vorrangiges Anliegen“. Es mag an einer Erkältung gelegen haben, vielleicht auch am fortgeschrittenen Alter, dass Schily, der bekannt war für seine mitunter ruppigen Auftritte, ruhig und an einigen Stellen reumütig wirkte. Doch als es bei der Befragung ins Konkrete ging, verließ ihn die Klarheit. Viele seiner Antworten leitete er mit dem Satz ein: „Ich kann mich nicht mehr genau erinnern.“

Hat er eigene Fehler eingestanden?

Zumindest dauerte es eine Weile, bis er persönliche Versäumnisse zugab. Auf die Frage, warum niemand die vielen Mordfälle zur Chefsache gemacht habe, sagte Schily: „Den Vorwurf, dass ich selbst hätte aktiver werden müssen, muss ich mir gefallen lassen.“ Allerdings verwies er darauf, dass nicht jede Mordserie an den Minister weitergegeben werde, vor allem dann nicht, wenn auf Länderebene ermittelt werde. Schily konnte sich auch nicht mehr erinnern, ob er mit den Morden dienstlich einmal zu tun hatte. „Eine Mordserie mit diesem Ausmaß hätte zur Chefsache erklärt werden müssen“, sagte CDU-Obmann Clemens Binninger. Schily sieht die konkreten Fehler eher aufseiten der Ermittler. Er gab zu, dass der Fahndungsdruck nach den drei 1998 untergetauchten Neonazis nicht groß genug gewesen sei. Außerdem seien nicht alle kriminalistischen Mittel ausgeschöpft worden. Schily fühlt sich also im großen Ganzen politisch verantwortlich, nicht aber im konkreten Detail.

Erbrachte die Anhörung neue Erkenntnisse?

Der Erkenntnisgewinn war, vor allem wegen Schilys Erinnerungslücken, nicht besonders groß. Intensiv wurde vor allem der Sprengstoffanschlag am 9. Juni 2004 in der vor allem von Türken bewohnten Kölner Keupstraße diskutiert. Dabei detonierte ein Sprengsatz mit hunderten Zimmermannsnägeln vor einem Friseurladen. 22 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Schily hatte damals am Tag nach dem Anschlag gesagt, dass „die Erkenntnisse nicht auf einen terroristischen Hintergrund deuten, sondern auf ein kriminelles Milieu“. Dem heute 80-Jährigen wird vorgeworfen, damit die Richtung der Ermittlungen vorgegeben zu haben. Das wies er aber zurück. Allerdings gab er, wie bereits vor einigen Monaten im Tagesspiegel, zu, dass es ein „schwerwiegender Irrtum“ war, fremdenfeindliche Hintergründe bei den Taten ausgeschlossen zu haben.

Im Fall des Nagelbombenanschlags in Köln habe er den Sachstand wiedergegeben, den es zu jenem Zeitpunkt gegeben habe. Woher dieser Sachstand gekommen sei, könne er nicht mehr rekonstruieren. Er vermute, dass es der Lagebericht seines Hauses war. Doch Schily musste zugegeben, dass er die Erkenntnisse weder kritisch hinterfragt noch den Sprengstoffanschlag anschließend intensiv weiterverfolgt habe. CDU-Obmann Binninger wies darauf hin, dass es bei dem Sprengstoffanschlag in Köln wie kaum bei einer anderen NSU-Tat einige Hinweise auf einen fremdenfeindlichen Hintergrund gegeben habe.

War Schilys Auftritt politisch aufgeladen?

Auch die Ausschusssitzung am Freitag verlief wie die bisherigen in sachlicher Atmosphäre. Nur einmal gerieten Ausschussvorsitzender Sebastian Edathy (SPD) und Grünen-Obmann Wolfgang Wieland hart aneinander. Wieland warf Edathy vor, der „Verteidiger von Herrn Schily“ zu sein und versucht zu haben, eine Ausführung Wielands umzuinterpretieren, um Schily zu schützen. Edathy wies das zurück. Und Schily, ganz Jurist, fragte Wieland, ob er jetzt Angeklagter sei. Minutenlang diskutierten beide. Anschließend nannte Wieland das Verhalten Edathys „beispiellos“. Edathy wollte das nicht kommentieren.

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