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() Zukünftig wird Rechtsanwalt Johann Schwenn (links) Kachelmann vor Gericht verteidigen.
Kachelmann-Prozess: Die Pest unserer Tage

Der Strafprozess gegen Jörg Kachelmann droht zu entgleisen. Die Staatsanwälte verlassen sich auf „posttraumatische Belastungsstörungen“ des angeblichen Vergewaltigungsopfers, das sich in Widersprüche seiner polizeilichen Aussagen verheddert hat.

Vom mutmaßlichen Opfer zum mutmaßlichen Täter ist der Weg manchmal nicht weit: Beruht der Verdacht eines Sexualdelikts vor allem auf der Aussage des vermeintlichen Opfers, sind außerdem Spuren des angeblichen Delikts nicht vorhanden und gibt es obendrein noch ein plausibles Motiv für eine falsche Verdächtigung oder gar Hinweise auf eine psychische Störung der Aussage­person – dann ist ein Rollentausch für Kenner der einschlägigen Materie keine Überraschung. Wer mit der Zeit geht, hält den sexuellen Missbrauch für die Pest unserer Tage. Da mögen die fallenden Zahlen der Kriminalstatistik sagen, was sie wollen: Gegen den Glauben an den Missbrauch scheint kein Kraut gewachsen. Dass dieser Glaube inzwischen auch jene erfasst hat, die es von Amts wegen besser wissen sollten, ist im Verfahren gegen Jörg Kachelmann zu besichtigen. Dort kämpft die Staatsanwaltschaft für die Verurteilung des Angeklagten Seite an Seite mit Alice Schwarzer, die sich zuvor mit der Bild-Zeitung verbündet hatte. Inzwischen scheint immerhin die Koalition des Massenblatts mit der ergrauten Berufsfeministin beendet: Wer sich beim Bilden der eigenen Meinung von ihr helfen lassen wollte und auf die Fortsetzung ihrer Kommentare in der sogar für sie ungewohnten Umgebung gespannt war, wurde in den vergangenen Wochen enttäuscht. Denn Bild hat dem angeklagten TVWettermann Gelegenheit gegeben, seinem früheren gefahrgeneigten Lebenswandel öffentlich abzuschwören und für die Zukunft Besserung zu geloben. Wollte er damit das Landgericht Mannheim beeindrucken, so traute er offenbar dessen Berufsrichtern zu, seinen promisken Lebenswandel als Indiz für die Bereitschaft zum Verbrechen zu erkennen – ganz wie die Staatsanwaltschaft. Mit dieser Befürchtung könnte er richtig liegen: Statt sich von dem auf Demontage des Angeklagten angelegten Verfahren der Staatsanwaltschaft abzusetzen, haben es die Richter der Strafkammer ihr gleichgetan und eine frühere Kachelmann-Gespielin nach der anderen vernommen. Auf diesem Wege, so heißt es, hätte man sich ein Bild von der Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Verhalten Frauen gegenüber verschaffen wollen. Die Strafkammer hielt es außerdem für möglich, der Angeklagte Kachelmann und die Nebenklägerin seien einander durch eine dysfunktionale narzisstische Paarbeziehung verbunden gewesen. So stand es in ihrem später vom Oberlandesgericht Karlsruhe aufgehobenen Haftfortdauerbeschluss. Gestützt war jener Beschluss unter anderem auf Vermutungen einer von der Staatsanwaltschaft beauftragten aussagepsychologischen Sachverständigen, Luise Greuel. Zwar hatte sie ihre Auftraggeberin enttäuscht und den Realitätsgehalt der Aussagen des angeblichen Kachelmann-Opfers nicht bestätigen können. Stattdessen lieferte sie aber der Staatsanwaltschaft mit der Erklärung, Kachelmann leide an einem ausgeprägten Narzissmus und einer psychischen Störung im Sinne eines Jekyll-and-Hyde-Syndroms einen Vorwand, die bereits erhobene Anklage aufrechtzuerhalten und die Nebenklägerin vorsorglich vor der Strafverfolgung zu schützen: Ein durch das angeklagte Verbrechen hervorgerufenes massives Trauma könnte Greuel zufolge nämlich erklären, warum die Nebenklägerin an Behauptungen festhielt, die bereits widerlegt waren. Derlei psychische Störungen zu diagnostizieren, ist allerdings nicht die Aufgabe von Psychologen, sondern Sache eines Psychiaters. Zumindest dies erkannte die Staatsanwaltschaft Mannheim. Deshalb wollte sie von einem privaten Traumatherapeuten der Nebenklägerin, den sie als Zeugen ansprach, nicht nur Einzelheiten über Inhalt und Verlauf der Behandlung erfahren, sondern auch wissen, ob Erinnerungslücken über Details eines Erlebnisses oder Widersprüche typisch für traumatisierte Opfer sexueller Gewalttaten sind. Der Zeuge sah sich als Gutachter gefragt und bejahte die Frage erwartungsgemäß. Die Staatsanwaltschaft fand sich bestätigt. Und die Strafkammer meinte auch deshalb, die ausgedehnte Untersuchungshaft des Angeklagten dürfe fortdauern. Ob sich der Traumatherapeut bei seiner Einvernahme in der Hauptverhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit als Gutachter aufspielen durfte, wird das Urteil ergeben. Der Kunstgriff der Staatsanwälte, sich selbst und dem Gericht die fehlende Sachkunde auf dem Gebiet der forensischen Psychiatrie durch einen unabhängigen Sachverständigen zu verschaffen, ist nicht neu und hat noch in jedem einschlägigen, vom Verfasser durchgeführten Wiederaufnahmeverfahren dazu geführt, das frühere Fehlurteil zu kassieren: Stets hatten Traumatherapeuten entweder dazu beigetragen, falsche Aussagen zu generieren oder sie durchzuhalten. Immer musste die angebliche „posttraumatische Belastungsstörung“ des scheinbaren Opfers dazu dienen, nachgewiesene Falschaussagen als Folgen der angeblichen Tat zu missdeuten. Am Ende blieb vom Trauma nie etwas übrig. (Im jüngsten Fall dieses Typs ging die „Traumatisierung“ einer Nebenklägerin so weit, dass sie mit einem selbst gemachten falschen Krebsattest, das ihr ein Ovarialkarzinom bescheinigte, die Freisprechung der beiden Angeklagten verhindern wollte.) Lesen Sie im zweiten Teil des Artikels, welche Rolle Alice Schwarzer in dem Prozess spielt und warum der Staatsanwaltschaft Mannheim mehr droht als ein Gesichtsverlust.

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