- Antisemitismus unter Muslimen
Nicht erst der Überfall auf den Berliner Rabbi hat gezeigt: Antisemitismus unter Muslimen hat Konjunktur. Dabei arbeitet sich der islamisierte Antisemitismus vor allem am Nahostkonflikt ab
Es ist keine 14 Tage her, da der 54-jährige Rabbiner Daniel Alter in Berlin von mutmaßlich arabischstämmigen Jugendlichen zusammengeschlagen wurde. Was folgte war die übliche Betroffenheitsspirale: Es wurde sich empört, solidarisiert, Gedenkfeiern wurden abgehalten. Doch die Halbwertszeiten solch gängiger Solidaritäts-Rituale werden immer kürzer.
Nicht erst dieses Ereignis zeigt, Antisemitismus ist Alltag und hat in besonderem Maße in der arabisch-muslimischen Community Konjunktur. „Jude“ kursiert nicht nur im Fanblock von Dynamo Dresden als Schimpfwort, sondern ist mittlerweile auch auf deutschen Schulhöfen negativ konnotiert. Darüber hinaus verdeutlichen Angriffe auf jüdische Institutionen in ganz Europa, dass es innerhalb arabischer und türkischer Milieus offene antisemitische Tendenzen gibt.
Nach einer Studie des Innenministeriums aus dem Jahr 2007 ist antisemitisches Gedankengut unter muslimischen Schülern fast drei mal so häufig verbreitet wie in der nichtmuslimischen Vergleichsgruppe. Entsprechend tendierten muslimische Schüler überdurchschnittlich stark zu antisemitischen Vorurteilen. Von 500 Befragten jungen, in Deutschland aufgewachsenen Muslimen stimmten 15,7 Prozent dem Satz zu „Menschen jüdischen Glaubens sind überheblich und geldgierig“. Bei den Nichtmuslimen mit Zuwanderungsgeschichte liegt diese Quote bei 7,4 Prozent und bei Deutschen ohne Migrationshintergrund bei 5,4 Prozent.
Auch eine jüngere Studie aus dem Jahre 2010 (Spaiser und Mansel) bestätigt zunächst die Vermutung, „dass einige Formen abwertender Einstellungen, u.a. der israelbezogene Antisemitismus bei Jugendlichen aus muslimisch geprägten Sozialisationskontexten, häufiger anzutreffen sind als bei anderen Jugendlichen“. Die Forscher stellten fest, dass die Jugendlichen ihre eigenen Erfahrungen von Diskriminierungen, insbesondere aufgrund ihrer muslimischen Religionszugehörigkeit, in einem größeren transnationalen Zusammenhang stellen. In einen globalen Kontext also, bei dem die Juden, aber auch die USA als Widersacher global verfolgter und gedemütigter Muslime gesehen werden.
Antisemitismus hat keinen Migrationshintergrund
Bei aller spezifischen Problematik wäre es zwar fatal, Antisemitismus als „Migrantenproblem“ zu deuten. Antisemitismus hat keinen Migrationshintergrund. Es ist ein quer durch alle Bevölkerungsschichten weit verbreitetes Phänomen, das sich nicht auf Muslime beschränken lässt. Nach wie vor sind verschiedene Erscheinungsformen des Antisemitismus in Deutschland virulent. Antisemitismusexperten gehen seit Langem davon aus, dass es einen antisemitischen Bodensatz von 15 Prozent gibt. Und doch zeigt sich, dass der unter muslimisch geprägten Menschen vorkommende Antisemitismus eine eigene Qualität besitzt.
Der Antisemitismus unter muslimisch Sozialisierten unterscheidet sich insofern vom Antisemitismus bei Deutschen ohne Migrationshintergrund, als er sich ein anderes Bezugsfeld wählt. Antisemitische Einstellungen bei Deutschen weisen weniger einen Israelbezug auf, als sie vielmehr einen geschichtsrelativierenden Charakter haben.
Dass der Sekundäre Antisemitismus unter Deutschen nach wie vor keine Randerscheinung ist, zeigen immer wieder Studien: So äußerten sich 63 Prozent der Befragten in einer Umfrage des Instituts für interdisziplinäre Konflikt und Gewaltforschung der Universität Bielefeld (2009) zustimmend gegenüber der Aussage „Ich ärgere mich darüber, dass den Deutschen auch heute noch die Verbrechen an den Juden vorgeworfen werden“ . Und 38,3 Prozent waren der Meinung, dass „viele Juden versuchen, aus der Vergangenheit des Dritten Reiches heute ihren Vorteil zu ziehen“.
Während bei Deutschen ohne Migrationshintergrund vor allem der sekundäre, der geschichtsrelativierende, Antisemitismus eine Rolle spielt, steht der Antisemitismus bei Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund eher im Kontext des Nahostkonflikts.
Diese Erfahrung teilt auch Anne Goldenbogen, von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA e.V), die sich mit Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft auseinandersetzt und tagtäglich mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund arbeitet. Fragwürdige Äußerungen von muslimisch sozialisierten Jugendlichen würden sich fast ausschließlich auf den Nahost-Konflikt beziehen, sagt Goldenbogen. Das Bild, das die Jugendlichen vom Juden hätten, sei eher ein Bild vom Nahostkonflikt. Jedoch sei für die antisemitische Einstellungen die Herkunft weit weniger entscheidend als andere Faktoren, wie Bildungsgrad oder der Art und Weise, wie autoritär Religion gelebt werde.
Letztlich werden in Folge einer Überidentifikation mit dem Konflikt im Nahen Osten unter dem Deckmantel des Antizionismus antisemitische Stereotype postuliert. Fragt man Jugendliche mit arabischem, türkischem oder palästinensischem Migrationshintergrund nach den Gründen ihrer anti-jüdischen Äußerungen, beziehen sie sich fast immer auf den Nahost-Konflikt. Sie würden aussprechen, was sich die Deutschen aufgrund ihrer Geschichte nicht auszusprechen wagen, heißt es häufig.
Das Problem wird auch dadurch verschärft, dass gerade israelbezogener Antisemitismus in schulischen Kontexten häufig toleriert wird. Den Jugendlichen werden dann die grenzüberschreitenden Äußerungen in Bezug auf Israel als Reaktion zugestanden, da sie sich ja auf einen real existierenden Konflikt beziehen würden. Oftmals auch deshalb, da die verantwortlichen Lehrer selbst ein negatives Israelbild besitzen und aus dem Glauben heraus, Partei für die vermeintlichen Opfer – die Palästinenser – zu ergreifen, das Antisemitismusproblem verharmlosen oder ausblenden.
Extremismus-Expertin Claudia Dantschke weist außerdem auf einen „intensiven Ideologietransfer“ zwischen der antizionistischen Linken und islamistischen Gruppen hin. Und in der Tat dient der Antizionismus nicht selten als ideologisches Bindeglied zwischen radikalen Linken und Islamisten, was sich regelmäßig auf zahlreichen, gegen Israel gerichtete Demonstrationen beobachten lässt. Immer dann, wenn linke und arabischen Gruppierungen das Existenzrecht Israels in Frage stellen; immer dann also, wenn Ché Guevara neben Palästina-Flaggen weht.
Bezugsfeld Nahost: Der Jud ist schuld
Der Glaube (auch gerade in der Deutschen Linken), dass die Ausbreitung des Antisemitismus in der arabischen Welt eine Folge des Nahostkonfliktes sei, die Gleichung „Ohne Nahostkonflikt kein Antisemitismus unter Muslimen“, ist die wohl gängigste Fehldeutung. Denn, der Antisemitismus im arabischen Raum, seine radikalsten Ausläufer in Gestalt terroristischer Organisationen wie Hamas oder Hisbollah, sind mitnichten die Folge israelischer Politik. Wer glaubt, Israel müsse einfach seine Politik ändern, um antijüdisches Gebaren zu verhindern, hat das Wesen des Antisemitismus vollständig verkannt. Dieses tausendjährige Phänomen braucht kein Bezugsfeld. Jean-Paul Sartre formulierte diese Erkenntnis wohl am eindrücklichsten: „Nicht die Erfahrung schafft den Begriff des Juden, sondern das Vorurteil fälscht die Erfahrung. Wenn es keinen Juden gäbe, der Antisemit würde ihn erfinden.“
Gegen die Behauptung, der Antisemitismus in der arabischen Welt sei Folge des Nahostkonfliktes, spricht auch, dass es bereits weit vor der israelischen Staatsgründung Antisemitismus im arabischen Raum gab. Schon im Jahre 1894 erschien die erste arabische Übersetzung der antisemitischen Schrift „Der Talmud-Jude“ von Eugen Dühring, in der die vermeintliche „Bedrohung durch Juden“ propagiert wurde und den modernen arabischen Antisemitismus bis heute prägt.
Eine zentrale Rolle bei der Ausbreitung des modernen Antisemitismus im arabischen Raum spielte vor allem aber der als Großmufti von Jerusalem bekannte Amin al-Husseini. Unter ihm entstand die regsame Zusammenarbeit zwischen islamistischen Antisemiten und Nationalsozialisten. Al-Husseini war Mitglied der SS, betrieb Propaganda für Nazi-Deutschland in arabischer Sprache und beteiligte sich auf dem Balkan bei der Mobilisierung von Moslems für die Waffen-SS. Al-Husseini war es auch, der bereits 1937 durch sein Veto die Gründung eines palästinensischen Staates neben einem jüdischen verhinderte, nach dem der gemäßigte Flügel der Palästinenser, angeführt vom Clan der Nashashibis, diesem Angebot bereits zustimmte.
Der Konflikt im Nahen Osten, ist also weniger, wie oft suggeriert, ein Konflikt um Land, Gebiet und Territorium, als sich dahinter vielmehr ein ideologischer Kampf um Werte, den richtigen Glauben, ja um den Umgang mit der Moderne generell verbirgt. Es ist ein Konflikt, geprägt von einem Schwarz-Weiß-Denken, das die verhassten Zionisten als imperialer Teil des ungläubigen Westen, den unterdrückten und Frommen gegenüberstellt.
Auch muss darüber zu reden sein, wie viel Antisemitismus aus dem Islam selbst kommt. Immerhin finden sich neben einschlägigen Koranversen, in denen Juden als „Schweine“ und „Affen“ gelten, die oft zitierten Sure 5, Vers 82, derzufolge „die Juden unter allen Menschen […] den Gläubigen am meisten Feind seien“. (Gleichwohl gelten orthodoxe Juden aufgrund ihrer Frömmigkeit und Gottestreue vielen Islamisten weniger verachtenswert, als säkularisierte Israelis. Der säkulare Zionismus ist insofern das größere Feindbild, da er all die abzulehnenden westlichen Werte verkörpert.)
Eingang in westliche Gesellschaften, in die Gedankenwelt muslimisch Sozialisierter, findet die antisemitische Propaganda aus den arabischen Ländern via Satellitenfernsehen und über radikale Islamisten. Einige arabische Satellitenkanäle wie der auch in Deutschland populäre Sender der Hisbollah, „Al-Manar“ zeichnen mitunter fürchterlich antisemitische Zerrbilder und stellen Israel und den Nahostkonflikt in ein zum Teil abstruses Licht.
Warum wir darüber reden müssen
Grundsätzlich gilt: Es darf keine Toleranz für antisemitische Äußerungen geben – auch nicht gegenüber Angehörigen einer in der Gesellschaft oft diskriminierten Minderheit. Gerade weil muslimisch Sozialisierte oftmals Opfer alltäglicher Diskriminierung sind, muss das Problem in aller Offenheit thematisiert werden.
Viel zu oft wird verharmlost, weil israelbezogener Antisemitismus nicht selten auf fruchtbaren Boden einer Mehrheitsgesellschaft fällt, die stillschweigend antisemitische Entgleisungen in Kauf nimmt.
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