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Flüchtlingskrise - Juristenstreit über die „Herrschaft des Unrechts“

Als Horst Seehofer von der „Herrschaft des Unrechts“ in Bezug auf Merkels Flüchtlingspolitik sprach, erntete er viel Kritik. Doch auch Rechtswissenschaftler sind sich über diesen Begriff uneins. Das Magazin Cicero dokumentiert die Debatte

Autoreninfo

Ulrich Vosgerau ist Privatdozent für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht sowie Rechtsphilosophie an der Universität Köln.

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Staatsrechtslehrer Ulrich Vosgerau hatte schon in unserer Dezember-Ausgabe die Zerstörung des Rechtsstaates mit diesem Ausdruck kritisiert. In der aktuellen März-Ausgabe des Cicero finden Sie die Gegenmeinung zu diesem Stück, verfasst von Rechtsprofessor Tonio Klein.

 

 

An der Grenze zwischen Bayern und Österreich findet seit Wochen ein staatlich initiierter Rechtsbruch statt. Die an der Grenze eingesetzten Polizisten betätigen sich auf Anweisung der Bundesregierung als Schleuser, und die Bundeskanzlerin steht an der Spitze eines organisierten Machtapparats, der täglich offenbar bis zu 10 000 Menschen illegal nach Deutschland bringt.

Zur Rechtslage: Seit Wochen verkünden Mitglieder der Bundesregierung und Vertreter der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten – eingedenk wohl des Erfahrungssatzes, nach dem das einzige wirkungsvolle rhetorische Mittel eben die Wiederholung sei – den Satz, das Asylrecht kenne „keine Obergrenze“. Der Satz stimmt aber nicht. Bei dem Individualgrundrecht auf Asyl handelt es sich nicht um ein Abwehrrecht – ein reines Abwehrrecht würde in der Tat keine Obergrenze kennen, willkürliche Einkerkerung etwa ist immer verboten, unabhängig davon, ob der Staat einen oder tausend Menschen willkürlich einkerkern will. Sondern um ein Leistungsrecht. Wer Asyl beantragt, will nicht, dass der Staat ihn in Ruhe lässt, sondern er will etwas vom Staat, das er bisher nicht hatte, wie beispielsweise einen Studienplatz.

Nur individuelle politische Verfolgung ist ein Asylgrund
 

Jedes Leistungsrecht aber unterliegt einem stillschweigenden „Vorbehalt des Möglichen“. Wenn mehr Menschen studieren wollen, als Studienplätze da sind, muss der Staat auch nicht so viele Universitäten neu gründen, bis alle einen Platz haben; sondern er muss nur die vorhandenen Kapazitäten ausschöpfen und darf Bewerber, die alle Voraussetzungen erfüllen, nicht völlig willkürlich abweisen. Dies könnten Politiker, Journalisten und übrigens auch Staatsrechtslehrer in jedem Anfängerlehrbuch schnell nachlesen. Wenn also alle Turnhallen voll sind, dann wäre schon von Rechts wegen Schluss auch mit dem individuellen Asylrecht (selbst wenn man unterstellt, dass zum Zweck der Asylgewährleistung die schulischen Turnhallen einfach requiriert werden dürfen – denn selbstverständlich ist das nicht).

Indessen kommt es auf die Frage nach der zahlenmäßigen Obergrenze des Asylrechts rechtlich gar nicht an. Denn fast niemand, der aus Syrien zu uns kommt, ist in Deutschland asylberechtigt. Dies liegt daran, dass nur individuelle politische Verfolgung, der man sich anders – etwa durch Umzug im Lande – nicht entziehen könnte, einen Asylgrund bildet. Krieg und Bürgerkrieg, auch die allgemeine Gefährdung durch staatliche Gewalt und Willkür im Heimatland und erst recht wirtschaftliche Perspektivlosigkeit wegen Korruption und hoher Arbeitslosigkeit sind keine Asylgründe. Dies kann man zynisch oder inhuman finden. Wäre es aber anders, dann hätten gut 80 Prozent der derzeitigen Weltbevölkerung einen Anspruch auf Asyl in Deutschland.

Der „subsidiäre Schutz“
 

Selbst bei Vorliegen eines individuellen Asylgrunds hat jedoch kein Recht auf Asyl, wer über einen sicheren Drittstaat oder gar aus einem Mitgliedstaat der EU nach Deutschland eingereist ist (Artikel 16a Absatz 2 Grundgesetz). Dies war ja gerade der Inhalt des „Asylkompromisses“ von 1992, der seinerzeit verfassungsrechtlich umgesetzt wurde und nun von der Politik als nicht existierend behandelt wird. Wer aus einem EU-Land ohne Einreisetitel einreisen will, heißt es dort, dem „ist die Einreise zu verweigern“ (nicht etwa: „dem kann die Einreise verweigert werden“). Wer trotzdem einreist und grenznah angetroffen wird, ist „zurückzuschieben“ (Paragraf 18 Asylgesetz).

An dieser Rechtslage ändert sich auch durch das europäische Unionsrecht nichts, das heute das nationale Recht und auch Verfassungsrecht überformt. Richtig ist: Durch das Unionsrecht wurde entgegen dem deutschen Verfassungsrecht der „subsidiäre Schutz“ eingeführt; die Bundesrepublik hat die entsprechende Richtlinie in Paragraf 4 des Asylgesetzes umgesetzt. Nach dem geltenden Unionsrecht sollen auch Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtlinge in den Mitgliedstaaten der EU Zuflucht finden. Das bedeutet für die Bundesrepublik jedoch nur, dass sie denjenigen Personen subsidiären Schutz gewährleisten muss, die in Deutschland einen Asylantrag stellen durften, der aber erfolglos blieb, weil keine individuelle Verfolgung bestand. Personen hingegen, die – wie es eben auch die Dublin-III-Verordnung vorsah und unverändert vorsieht, denn sie ist ja nicht aufgehoben worden – einen Asylantrag in Ungarn oder in Österreich, in Italien oder in Griechenland hätten stellen müssen und die nie nach Deutschland hätten einreisen dürfen, erhalten auch keinen „subsidiären Schutz“ in der Bundesrepublik Deutschland.

Zum Teil wird auch behauptet, Deutschland sei zur Aufnahme von illegalen Einwanderern aus Drittstaaten verpflichtet, weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in der Vergangenheit die Abschiebung erfolgloser Asylbewerber aus Deutschland etwa in griechische Aufnahmelager als Menschenrechtsverletzung gerügt habe. Das ist zwar richtig, betrifft aber nur Asylbewerber, die in Deutschland zunächst Aufnahme gefunden hatten und mithin der völkerrechtlichen Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland unterlagen. Es gibt jedoch gewiss keinen menschenrechtlichen Anspruch von Ausländern aus anderen Kulturkreisen, ausgerechnet in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen.

Daher ist rechtlich eher das Gegenteil richtig: Gerade wegen der teils einigermaßen rigiden Rechtsprechung des EGMR (dessen Richter zumeist von Staaten entsandt worden sind, die selbst keine Einwanderung dulden und auch kein Asyl gewähren) dürfte man die Kriegseinwanderer gar nicht erst ins Land lassen. Denn dann ist man für sie verantwortlich, und dies unter Umständen ein Leben lang. Im Falle Afghanistans zeichnet sich ab, dass man dort die als Asylbewerber in Deutschland abgelehnten Landsleute nicht zurücknehmen will. Dann könnte man sich allerdings in Deutschland schon aus Kostengründen das Asylverfahren auch gleich sparen – weil jeder Afghane bleiben wird.

Die Ehre Europas gerettet?
 

Natürlich würde die Beachtung geltenden Rechts eine gewaltige Belastung für EU-Grenzländer wie Ungarn, Italien oder Griechenland bedeuten. Diese haben aber das geltende Recht ohnehin einfach als nicht existierend behandelt und die Asylbewerber in Richtung Deutschland weitergeleitet. Dies ist politisch begreiflich, wenn es auch vollkommen illegal war. Politisch unbegreiflich ist hingegen, dass in der Folge auch die Bundesrepublik – und zwar ohne durchgreifenden Protest etwa der öffentlich-rechtlichen Hochschullehre – das geltende Recht und Verfassungsrecht ebenfalls als nicht existierend behandelt und die unter Umständen subsidiär schutzberechtigten Ausländer anderer EU-Mitgliedstaaten stellvertretend aufnimmt. Dies wird von Sympathisanten so beurteilt, Deutschland habe „die Ehre Europas gerettet“.

Man mag das aus moralischen Gründen unterstützen; dann muss man aber auch dazusagen, dass diese Ehrenrettung durch einen Putsch von oben geschah, in dessen Folge täglich gegen geltendes Recht und Verfassungsrecht verstoßen wird. Und man muss ergänzen, dass die Bundesregierung lügt, wenn sie täglich aufs Neue behauptet, Deutschland sei wegen des grundgesetzlichen Asylrechts verpflichtet, eine unbegrenzte Anzahl syrischer Auswanderer dauerhaft aufzunehmen.

Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts
 

Wie konnte es in Deutschland, das bis vor wenigen Jahren noch ein geradezu perfekter Rechts- und Verfassungsstaat war und in der ganzen Welt als Vorbild galt, zu dieser haarsträubenden Entwicklung kommen, die nichts anderes ist als völlige Rechtsblindheit und Rechtsfeindlichkeit staatlicher Stellen? Der Grund dafür dürfte in einer popularisierten, missverstandenen Wahrnehmung eines der zentralen Rechtsinstitute des Europarechts liegen, nämlich dem Rechtsgedanken des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts. Um dies vorab klarzustellen: Der Rechtsgedanke des Anwendungsvorrangs ist weder per se verkehrt, noch muss er notwendig die Rechts- und Verfassungsstaatlichkeit in Deutschland zerstören.

Was aber die Rechts- und Verfassungsstaatlichkeit Deutschlands in den vergangenen Jahren nachhaltig beschädigt hat, sind die ganz eigene Wahrnehmung und Verarbeitung des Anwendungsvorrangs durch Politik und Medien, die Veränderung des Rechtsgefühls politischer und medialer Eliten in diesem Lande.

Es wäre auch nicht das erste Mal, dass ein rechtswissenschaftlicher Fachbegriff, eine spezifisch juristische Denkfigur durch ihre halb verstandene Popularisierung und Rezeption zumal durch politische Entscheidungsträger eine ganz andere Gestalt gewinnt, die die Fachwelt dann zunächst kaum wiedererkennt. Als Egon Bahr angesichts von Mauer und Schießbefehl die „normative Kraft des Faktischen“ als zentrale Kategorie des Völkerrechts evozierte, meinte er freilich etwas ganz anderes als seinerzeit Georg Jellinek.

Meine These: Die Rechtsfigur des „Anwendungsvorrangs“ hat sich inzwischen verselbstständigt und zerstört den Rechts- und Verfassungsstaat. Dies scheint übrigens auch die Memtheorie zu bestätigen, nach der Bewusstseinsinhalte sich analog zu Genen verhalten können, sich durch Kommunikation in der Gesellschaft ausbreiten, andere Gesellschaftsbereiche erobern, neu prägen und dabei ihren eigenen Bedeutungsgehalt merklich verändern können.

Was bedeutet „Anwendungsvorrang“? Bis Anfang der sechziger Jahre hielt man die Römischen Verträge, durch die die Europäischen Gemeinschaften und vor allem die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft begründet worden waren, ganz einfach für multilaterale völkerrechtliche Verträge. Das Europarecht oder Unionsrecht im heutigen Sinne wurde dann durch die bisher wichtigsten beiden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) begründet: die Entscheidung Van Gend en Loos (1963) und die Entscheidung Costa/ENEL (1964). In der Entscheidung Van Gend en Loos urteilte der EuGH, jeder Bürger könne sich (anders als beim Völkerrecht) vor jedem Gericht auf das Gemeinschaftsrecht berufen, und dieses gehe im Prinzip dem nationalen Recht vor.

Europarechtswidrige Gesetze einfach beiseitelassen
 

In Costa/ENEL präzisierte der EuGH die Rechtsnatur dieses Vorgehens: Dem Europarecht komme ein „Anwendungsvorrang“ (im Gegensatz zu einem „Geltungsvorrang“) zu. Das heißt: Jedes nationale Gesetz (auch die Verfassung), das einer Bestimmung des Europarechts widerspricht, wird deswegen zwar nicht „nichtig“; aber es wird von dem entscheidenden Gericht einfach nicht angewendet – so, als existiere es gar nicht. Weil das fragliche nationale Recht aber eben nicht „vernichtet“ werden soll (sondern nur „weggelassen“), fallen auch alle Regeln unter den Tisch, die ansonsten das Beiseitedrängen parlamentarischer Gesetze oder gar der Verfassung selber in einer Demokratie erschweren: Etwa, dass in Deutschland nur das Bundesverfassungsgericht Gesetze für ungültig erklären kann, oder aber, dass zum Beispiel das Parlament irgendwie involviert werden müsste, wenn seine Gesetze nicht mehr gelten sollen.

Daher ist der Anwendungsvorrang nur auf den allerersten Blick der „kleine Bruder“ des Geltungsvorrangs; in Wahrheit wirkt der Anwendungsvorrang viel tiefgreifender und effektiver. Denn nach der allseits akzeptierten Doktrin des EuGH kann jedes Gericht und vom Grundsatz her sogar jede Behörde europarechtswidrige Gesetze einfach beiseitelassen. Das Bundesverfassungsgericht oder auch der Deutsche Bundestag werden hierüber noch nicht einmal amtlich informiert; die Mitglieder dieser demokratischen Institutionen erfahren allenfalls aus der Zeitung, dass sie in dieser oder jener Hinsicht keine Rolle mehr spielen.

Europäische Werte hebeln nationales Recht aus
 

Freilich widersprechen – wie gezeigt – das deutsche Verfassungsrecht und das einfachgesetzliche Asylrecht nicht den europäischen Vorgaben, sondern sie erfüllen diese vorbildlich (die deutsche Rechtslage spiegelt genau die Dublin-III-Verordnung), und ein schlichtes Beiseitelassen des deutschen Rechts und Verfassungsrechts, wie es derzeit geschieht, wäre niemals durch den europarechtlichen Anwendungsvorrang zu rechtfertigen. Aber darum geht es auch nicht, sondern um etwas anderes: Wie wird wohl die Lehre vom Anwendungsvorrang von der Politik und von den Massenmedien aufgenommen und verstanden, wenn sie mit ihr in Berührung kommen? Inwiefern verändert sich dieses gedanklich-kommunikative Mem in den Köpfen der Politiker und Kommentatoren, und inwiefern ändert es auch deren Mentalitäten und deren allgemeines, vielleicht laienhaftes Rechts- und Verfassungsbewusstsein?

Jedem Spitzenpolitiker ist der „Anwendungsvorrang“ im Laufe seiner Karriere natürlich immer wieder von beratenden und fachlich qualifizierten Beamten erklärt worden. Was mögen sie aus diesen Rechtsvorträgen ihrer Fachbeamten, vielleicht halb unterbewusst, gelernt und geschlossen haben? Vermutlich, dass das Recht, auch das Verfassungsrecht, in der Praxis nicht einfach so gilt und unbedingt zu beachten ist trotz des geltenden Vorrangs des Gesetzes und der Verfassung.

Sondern, dass es nur und insoweit gilt, wie es höherrangigen politischen Grundentscheidungen nicht widerspricht. Weiter: Dass diese höherrangigen Grund­entscheidungen – wie das Europarecht – eher allgemeinpolitischen und wertgebundenen, allenfalls prinzipiellen Charakter haben, aber nicht einfach nur „Regeln“ (mit präzise anzugebendem Inhalt) sind. Die heutigen Propagandareden darüber, dass eben „europäische Werte“ die asyl- und verfassungsrechtliche Lage in Deutschland überformen würden, treffen diesen Gedanken ganz gut.

Was sie in formeller Hinsicht gelernt haben werden, ist vor allem: Es bedarf keines besonderen Prozederes, wenn man Rechtsnormen oder gar die Verfassung nicht mehr einhalten will. Parlament oder Bundesverfassungsgericht müssen nicht einmal informiert werden. Man kann Gesetze, man kann die Verfassung einfach weglassen, wenn dies „hilfreich“ (Angela Merkel) erscheint. Man handelt dann auch nicht rechts- oder gar verfassungswidrig, sondern wertgebunden und „europäisch“. Die Frage ist in praktischer Hinsicht nur noch, ob und wie lange die Massenmedien und die Internetgemeinden, welche Parlament und Bundesverfassungsgericht heute teilweise funktionell ersetzt haben, dies „mitmachen“. Das juristische Mem, das vom EuGH 1964 in die Welt gesetzt wurde, hat sich allerdings gründlich selbstständig gemacht. Wo diese Mentalität sich aber ausbreitet, ist der Rechts- und Verfassungsstaat am Ende.

Die Wirkung des Mems konnte man bereits 2010 in großer Klarheit beobachten. Schon länger herrschte Streit über das „Zugangserschwerungsgesetz“. Es ging um die Frage: Blockieren oder Löschen unliebsamer Internetseiten? Das unter Federführung der damaligen Familienministerin von der Leyen („Zensursula“) entwickelte Modell geheimer Sperrlisten traf in den Medien wie auch bei zahllosen Internetaktivisten auf wütende Kritik. Ein formelles Gesetz war also da, aber die Medien „machten nicht mit“. Was nun? Nachdem CDU/CSU Ende 2009 eine Koalition mit der FDP eingegangen waren, die sich ebenfalls strikt gegen das Gesetz ausgesprochen hatte, verkündete die Bundesregierung, sie werde das Gesetz – vorerst ein Jahr lang – „nicht anwenden“. Dies wurde dann auch dem Bundespräsidialamt auf dessen erstaunte Nachfrage hin ausdrücklich bestätigt. Kann aber die Regierung formlos entscheiden, an welche Parlamentsgesetze sie sich noch gebunden sieht? Im Rechts- und Verfassungsstaat sicher nicht. In der Bundesrepublik Deutschland des Jahres 2010 aber faktisch wohl schon.

Rechtslage interessierte auch in der Eurokrise nicht
 

Von Frühjahr 2010 an stand dann auch schon die Griechenlandrettung in schließlich drei Paketen an. Es konnte im März 2010 kein vernünftiger juristischer Zweifel daran bestehen, dass der Vertrag von Lissabon (Artikel 125 AEUV) das Eintreten von EU-Staaten für die Staatsschulden anderer EU-Staaten eindeutig und ausnahmslos verbot. Die brüsseltreuesten unter den deutschen Europarechtlern versuchten sich gleichwohl vereinzelt an teils abenteuerlichen Rechtskonstruktionen zumeist teleologischer (oder doch schon theologischer?) Natur, die beweisen sollten, dass das, was nun einmal verboten war, richtigerweise eigentlich doch erlaubt gehörte. Diese Versuche endeten dann allerdings, als allen Beteiligten klar geworden war, dass weder die Bundesregierung noch die übrigen europäischen Regierungen an der Rechtslage im Entferntesten interessiert waren. Insofern waren die juristischen Hilfsdienste auch des getreuesten Eckermann überhaupt nicht mehr gefragt. Das Weitere ist nicht Geschichte, sondern Gegenwart.

Und nun also die Asylkrise. Die Politik hat beschlossen, Deutschland „zu fluten“, wie es der Philosoph Rüdiger Safranski formuliert hat. Nur noch beschämend ist hier das Verhalten oder besser gesagt die Untätigkeit des Deutschen Bundestags zu nennen. Der Bundestag hat die Regierung zu kontrollieren. Die Regierung wiederum hat hinreichend deutlich werden lassen, dass sie in der Flüchtlingsfrage beim Regieren auf die Rechts- und Verfassungslage in Deutschland keine Rücksicht mehr nimmt.

Der Bundestag schaut tatenlos zu
 

In dieser Situation könnte der Bundestag entweder versuchen, die Rechts- und Verfassungslage durch entsprechende Gesetze der faktischen Regierungspolitik anzupassen („Jeder Bewohner des Mittleren Ostens, der das möchte, darf mit seiner Familie nach Deutschland übersiedeln und bekommt ALG II, Kindergeld und Wohngeld. Versprochen!“). Oder aber er müsste einen Kanzlerkandidaten nominieren und die Bundesregierung durch ein konstruktives Misstrauensvotum aus dem Amt wählen. Aber der Bundestag schaut dem Unrecht einfach nur tatenlos zu.

Jeden Tag, jede Nacht lassen die österreichischen Behörden Bus um Bus auffahren, sie halten 500 Meter vor der deutschen Grenze, damit die Fahrer keine Schlepperei begehen – das müssen dann die deutschen Polizisten machen. Bürger, die das Agieren der Bundesregierung als das sehen, was es ist und wie es teilweise im europäischen und außereuropäischen Ausland wahrgenommen wird – nämlich als staatspolitischen Wahnsinn –, werden zunehmend kriminalisiert. Die Medien bezichtigen Kritiker und Dissidenten (solange es die DDR noch gab, fand man ostdeutsche Dissidenten ja irgendwie gut) umstandslos als „Nazis“ – dies gilt dann als Grundrechtsgebrauch in einer Demokratie. Die Kritik an der Flüchtlingspolitik der Regierung jedoch nicht.

Und unwillkürlich fragt man sich: Welche Gesetze, welche Verfassungsbestimmungen wird die Bundesregierung in nächster Zeit wohl noch ignorieren, wenn die Lage sich weiter zuspitzt?

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