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Große Koalition - Merkel und ihre sozialdemokratischen Vollstrecker

Angela Merkel dominiert die Große Koalition mit dem scharfen Schwert des Schweigens. Ungeachtet der Edathy-Affäre droht diese Regierung zu einem Post-Politics-Club zu verkommen und die Wähler in Allparteien-Einigkeit einzulullen

Autoreninfo

Gertrud Höhler ist Publizistin, Glücksforscherin und Beraterin für Wirtschaft und Politik. Sie studierte Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte.

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Auch Politik ist Storytelling, Geschichten erzählen. Wer die beste Story liefert, wird siegen. Und nach dem Sieg schreiben Sieger und Besiegte gemeinsam die neue Story. So auch im postdemokratischen Deutschland. In dieser Story wechselt quasi über Nacht der Erzähler: die siegreiche Chefin LÄSST jetzt arbeiten. Der Erzengel Gabriel darf die ersten Fanfaren ins Land schmettern. Seine schwarzlockige Fortuna leert das Füllhorn der sozialpolitischen Jahrhundertträume mit kühnem Schwung.

Im Schatten seines Auftaktspiels in der neuen Story hat der Vizekanzler Gabriel bereits unauffällig Boden abgegeben. Die Industrie muss wettbewerbsfähig bleiben. Sein Start als Erzähler einer neuen Energie-Story trägt aber weiter, weil er zuerst die andere Seite, die Stromkostenzahler, mit der Kostensenkungs-Story ins Boot geholt hatte. Nun hat er beide auf seiner Seite, die Profiteure und ihre Opfer. Energiewende als Small Talk: „Wir schaffen das!“

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Die Kanzlerin hat delegiert. Wer fragt, warum sie so still ist, sollte sich nicht täuschen: Sie praktiziert das Powerplay mit dem scharfen Schwert des Schweigens. Die Gegner von gestern arbeiten jetzt für sich, wenn sie für die Chefin arbeiten. Keiner fragt mehr, ob das nicht Merkels Husarenstreich war, dieses aus dem Ruder laufende E-Projekt. Der Heiler ist am Zug, die Sozialfee an seiner Seite. Die Kanzlerin blickt mit stillem Vergnügen auf das journalistische Missverständnis, die SPD habe das Gesetz des Handelns an sich gerissen. Die SPD ist in Wahrheit als Vollstrecker einer siegreichen Ankunft auf vorher nie betretenem Terrain unterwegs. Auch wenn es so aussieht, als erledigten die Sozialdemokraten jetzt ihr Traumprogramm, so bleibt das Powerplay doch in der Hand der Kanzlerin.

Festlegungen sind schon immer schädlich
 

Dass die Thementransfers der Vorjahre den politischen Gegner zwangsläufig zum Partner gemacht haben, ist die Story von gestern. Die neue Story darf der kleinere Partner erzählen. Dass er die staatswirtschaftliche Schlagseite der „Energiewende“ mit noch mehr Staat bekämpft, verwundert schon niemanden mehr. So sieht die Ankunft im Zielgebiet aus: Auch die Wähler verlangen nicht mehr nach Parteiprofilen. Sie haben sich in ein Post-Politics-Milieu eingewählt, einen Markenshop, in dem es von allem etwas gibt. Und nun regiert der Post-Politics-Club, auch wenn es noch nicht alle Regierenden wissen.

Aber die Kanzlerin weiß es. Schließlich ist es ihr Projekt. Sie fand Festlegungen schon immer schädlich. Und ihr Spielraum ist noch einmal gewachsen – was erst die Wenigsten bemerken. „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben“, sagte einer ihrer Vorgänger. Die neuen Spielräume im Post-Politics-Club erlauben noch mehr wechselseitige Landnahme; sie taugen auch für letzte oder erste Erkundungen beider Parteien im gedachten Gelände anders besetzter Bündnisse: Für die SPD der gedachte Trip an die Spitze; für die Kanzlerin der Plan, auch die draußen wartenden grünroten Minderheiten thematisch aufzusaugen und damit zu entmachten. Die neue Story der beiden großen Parteien zeigt, wie das geht: Sie öffnet einen neuen Sprachbaukasten; tabuisiertes Heimweh-Vokabular mit wertneutralen Sprachbrocken gemischt.

Der Vizekanzler liefert den neuen Slogan, der den sozialpolitischen Salto mortale der Regierung ethisch veredelt. Das „gute Leben“, der legitime Glückstraum aller Kellerkinder der Moderne, wird Staatsraison. Wer fragt, was denn das „gute Leben“ ausmacht, ob es eher moralisch oder ökonomisch funktioniert, hat die erweiterte Spielwiese der „ethischen Gestaltungsaufgaben“ noch gar nicht betreten. Die Regierungserklärung der Kanzlerin ist das Dokument der Ankunft im Zielgebiet der Quasi-Einheitspartei; hier wird das Text-Erbe der alten CDU dekontaminiert. „Unsere Werte und Interessen“ bestimmen, dass die Regierenden „im Zweifel für den Menschen“ entscheiden. Wer da die Gerichtsmelodie im Kopf hat „im Zweifel für den Angeklagten“, hat das neue role model des Mittelpunktsmenschen noch nicht verstanden.

„Der Mensch steht im Mittelpunkt“, sagt die Kanzlerin, und auch die Verteidigungsministerin bestätigt es. Dass die Staatswirtschaft auch anderswo so spricht, macht den schönen Satz nicht unwahr: „Wahrlich“, so weiland der Staatsratsvorsitzende Honecker in schönstem Lutherdeutsch, „der Mensch steht im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit und unseres Handelns.“

Der deutsche Wettbewerbsvorteil
 

Die Kanzlerin hat alle Türen und Fenster aufgemacht, nun, da das interparlamentarische Haus gebaut ist. „Wer ein Herz hat“, lautet ihr Widerspruchsblocker für den sozialpolitischen Hochseilakt der Koalition. Die Herzlosen schweigen seither. Die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik ist auch so ein Revival aus Honeckers Staatsphilosophie. Aber die Kanzlerin hat soeben auch die älteste aller Vermutungen entkräftet: Sie sei ohne Kompass unterwegs. Der „Kompass ist die soziale Marktwirtschaft“. Die neue Story mischt die Handschriften. Der Allparteien-Einigkeit steht nichts im Wege. Nur eine Frage bleibt offen, und sie muss nicht den Regierenden gestellt werden, sondern den Bürgern.

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Deutschland ist unterwegs mit einem Erfahrungsvorsprung, einem Wettbewerbsvorteil, den seine Nachbarn nicht teilen: Deutschland hat die doppelte Erfahrung mit Diktatur und Planwirtschaft. Und wieder bietet der Staat sich an, zum Vollstrecker aller Bürgerträume und zum Alleinherrscher eines Entwurfs vom „guten Leben“ zu werden. Während ein Tugendrausch die Republik erschüttert, setzt sich die Brutalisierung des Rettungsgeschäfts in Europa fort. Der Wirtschaftskrieg im wankenden Europa läuft mit virtuellen Waffen.

„Der Mensch im Mittelpunkt“ ist im Zweifel eher nicht Grieche, nicht Portugiese, nicht Spanier. Die Fachkräfte, die wir diesen Ländern absaugen, fehlen dort. Nicht unser Reichtum ist der entscheidende Wettbewerbsvorteil, sondern unsere Erfahrung mit Planwirtschaft und Unfreiheit. Niemand in Deutschland hat die Absicht, neue Mauern zu errichten.

 

 

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