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ZDF-Urteil - Karlsruher Parteienverachtung

Erneut glorifiziert das Bundesverfassungsgericht das öffentlich-rechtliche Gebührenfernsehen. Dabei ist Staatsnähe das geringste Problem von ZDF und ARD. Wichtiger Journalismus findet bei Print und Online statt

Autoreninfo

Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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Hartnäckig hält sich die Mär vom „politischen Opfer Brender“. Schwarze Seilschaften, so geht die Legende, hätten den aufrechten Chefredakteur des ZDF 2009 zu Fall gebracht. Mithin habe der konservative Freundeskreis um den damaligen CDU-Ministerpräsidenten Koch den „unabhängigen Journalismus“ auf dem Lerchenberg gemeuchelt. Selbst das Bundesverfassungsgericht strickt nun an dieser Verschwörungstheorie. Und nahezu alle Medien beten es brav nach: Dem Einfluss der bösen Politik muss dringend Einhalt geboten werden.

ZDF verlor unter Brender an Bedeutung


Die Karlsruher Richter bleiben mit ihrem aktuellen Urteil zum ZDF ihrer Tradition treu: Sie überhöhen die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Gebührenfunks – und erniedrigen die Parteien. Auch in der Aufkündigung der Drei-Prozent-Hürde zur Europawahl steckt die Botschaft, dass das Gestaltungsmonopol der Parteien gebrochen werden müsse. Die Billigung der Verträge zu Bankenunion und Rettungspolitik (ESM) ist ebenfalls ein Affront gegen den Bundestag. Fast könnte man meinen, die obersten Richter rächen sich mit diesen Nasenstüpern für die Anmaßung der Abgeordneten, sich bei den Diäten an ihnen zu orientieren.

Diese Parteienverachtung findet im Volk viel Beifall. Doch diese Geringschätzung ist wohlfeil. In der Causa Brender, die den Anstoß für das aktuelle Urteil gegeben hat, wird allenfalls die halbe Wahrheit verbreitet.

Die andere Hälfte fällt gerne unter den Tisch: Dass nämlich das ZDF in der Ära Brender massiv an Bedeutung verloren hat. Privatsender wie RTL und Sat1 haben die Mainzer sogar bei den Nachrichtensendungen überholt. Wer, wenn nicht der zuständige Chefredakteur soll dafür zur Verantwortung gezogen werden? Und wer soll über dessen Leistung und die Qualität einer „öffentlich-rechtlichen Anstalt“ richten, wenn nicht gewählte Politiker, die sich auf ein breites Mandat berufen können? Der Bundesverband der Kleintierzüchter etwa? Oder die Vertreter von Sinti und Roma, die derzeit auf Geheiß der Politik die Vertriebenenverbände aus den Rundfunkräten drängen? Oder am besten gleich die PR-Strategen von Greenpeace, die ohnehin einen direkten Draht in die Redaktionen haben und dort willige Abnehmer für den alltäglichen Alarmismus finden?

Lieber ADAC in den Fernsehrat?


Politiker und Parteien müssen sich regelmäßig allgemeinen Wahlen stellen. Sie müssen sich an das strenge Parteiengesetz halten und werden von den Medien in der Regel streng beäugt. Für die „gesellschaftlich relevanten Gruppen“, die dank Karlsruhe nun zwei von drei Vertretern in den Rundfunk- und Fernsehräten stellen dürfen, gilt das nicht. Sie sind schlicht Lobbygruppen, die allenfalls darauf achten, dass ihre Interessen nicht durch allzu kritische Berichterstattung beeinträchtigt werden. Der Allgemeinheit verpflichtet sind sie nicht.

Zudem: Wer entscheidet, welche von den vielen Vereinen, Verbänden oder Organisationen über die Programme und Personal bei ARD und ZDF mitreden dürfen? Geht es nach Mitgliederzahlen, hätte der ADAC die klare Mehrheit.

Nikolaus Brender war leitender Mitarbeiter mit einem befristeten Vertrag. Das Kontrollgremium hat diesen 2009 nicht verlängert. So etwas kommt in der freien Wirtschaft alle Tage vor. Nur bei den Zwangsgebührensendern wird daraus der Niedergang des „unabhängigen Journalismus“ gestrickt. In der Folge bedeutet die Karlsruher Entscheidung: Neben den normalen Redakteuren sind nun auch die leitenden Angestellten von ARD und ZDF unkündbar. So wird das Beamtenfernsehen durch die Hintertür eingeführt – und dann auch noch als besonders „staatsfern“ drapiert.

Pilcher statt Politik


Kein Wunder, dass man auf dem Lerchenberg jubelt: Nun braucht man nur noch die Vertreter der „gesellschaftlich relevanten Gruppen“ gegeneinander ausspielen – und kann sonst versenden, was gerade beliebt.

Am liebsten Volksmusik und Rosamunde Pilcher. Die Nachrichten sind nichts weiter als filmisch unterlegte Agenturmeldungen, die von hochbezahlten „Moderatoren“ wortreich angekündigt werden. Die wenigen Sendeminuten für Politik füllt man am liebsten mit Interviews mit den immer gleichen Politikern oder mit Talkrunden, in denen nachgeplappert wird, was Magazine und Zeitungen, die ihre Löhne selbst erwirtschaften müssen, mühsam recherchiert haben. Würde das ZDF morgen den Sendebetrieb einstellen, kein Bürger würde einen Verlust an demokratischer Aufklärung verspüren. Anders als zu dessen Gründung 1961 ist die mediale Vielfalt heute gesichert. Der Lerchenberg ergänzt allenfalls durch gefälligen Mainstream. Oder gibt publizistischen Geleitschutz für staatliches Handeln.

ZDF: Staatsfernsehen mit Ewigkeitsgarantie


Dafür dürfen die insgesamt 3600 Mitarbeiter jährlich über 1,8 Milliarden Euro verbraten, die jeder Haushalt zwangsweise anteilig aufbringen muss. Entschieden haben das die Parlamente der 16 Bundesländer, also die Politik. Doch hier vernimmt man keinen Ruf nach „Staatsferne“. Wenn es darum geht, die Kassen zu füllen, wird das politische Mandat gerne akzeptiert. Auch von Karlsruhe. Nur der Bürger, der sich nun über den „Sieg der Unabhängigkeit“ (ZDF-Intendant Bellut) freuen soll, hat hier nichts zu melden. Weder bei der programmatischen Qualität, noch beim Preis.

Niemand hat das Recht, auf das Zweite Deutsche Fernsehen schlicht zu verzichten. Es ist Staatsfernsehen mit Ewigkeitsgarantie. Auch das haben wir dem Bundesverfassungsgericht zu verdanken, das offenbar noch nicht ganz mitbekommen hat, wie sehr sich die Mediennutzung im digitalen Zeitalter wandelt.

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