- Was geschah auf der Wannsee-Konferenz?
Vor 70 Jahren wurde auf der Konferenz in der Villa am Wannsee die Deportation und Ermordung von Millionen Juden geplant. Laut Einladungsschreiben galt es, die „mit der Endlösung der Judenfrage zusammenhängenden Fragen“ zu klären
Am 20. Januar 1942 fand die ursprünglich schon für den 9. Dezember 1941 terminierte Konferenz in der Villa Am Großen Wannsee 56-58 statt. Thema waren laut Einladungsschreiben die „mit der Endlösung der Judenfrage zusammenhängenden Fragen“.
Worin besteht die historische Bedeutung der Wannsee-Konferenz?
Wegen des Themas der Konferenz hielt sich lange Zeit der falsche Eindruck, die „Endlösung“, also die Vernichtung des europäischen Judentums, sei am Großen Wannsee beschlossen worden. Tatsächlich war das Mordprogramm längst im Gange.
Bei der Wannsee-Konferenz ging es vor allem um die Koordination der verschiedenen beteiligten Behörden und die organisatorische Umsetzung des Vernichtungsprogramms.
Unmittelbar nach der Konferenz setzten flächendeckende Deportationen in Deutschland ein und außerdem wurde das Mordgeschehen mit einem umfassenden Zwangsarbeitsprogramm verzahnt.
Welche Bedeutung hat das Protokoll der Tagung?
Von dem von Eichmann verfassten und von Heydrich überarbeiteten Protokoll wurden 30 Exemplare hergestellt und an die Teilnehmer sowie ihre jeweiligen Dienststellen versandt. Das Protokoll galt als „Geheime Reichssache“ und die Adressaten sollten es nach erfolgter Lektüre vernichten. Tatsächlich hat sich nur ein einziges Exemplar erhalten, dasjenige des Unterstaatssekretärs Martin Luther, der für das Auswärtige Amt an der Konferenz teilgenommen hatte. Zum Zeitpunkt des Hauptkriegsverbrecherprozesses in Nürnberg war das Protokoll noch unbekannt. Eine Mitarbeiterin des Anklägers Robert Kempner entdeckte es 1947, als Kempner den Wilhelmstraßen-Prozesses vorbereitete, der als letzter der zwölf Nachfolgeprozesse 1948 stattfand.
Die Tarnsprache des Protokolls gab immer wieder Anlass zu Diskussionen. So wurden die Deportationen als „Umsiedlung“ bezeichnet, die Ermordung als „Sonderbehandlung“. Heydrich hat den Text sorgfältig redigiert, damit ihn auch alle Ministerialbürokraten mittragen konnten. Adolf Eichmann berichtete 1961 in Jerusalem während des Eichmann-Prozesses, dass auf der Konferenz selbst sehr offen über das Mordprogramm gesprochen worden sei.
Zentral ist der Abschnitt III des Protokolls, in dem es heißt: „Anstelle der Auswanderung ist nunmehr als weitere Lösungsmöglichkeit nach entsprechender vorheriger Genehmigung durch den Führer die Evakuierung der Juden nach dem Osten getreten. (...) Im Zuge dieser Endlösung der europäischen Judenfrage kommen rund 11 Millionen Juden in Betracht.“ Es folgt eine Länderliste, die vom „Altreich“ mit 131 800 Juden bis zur UdSSR mit fünf Millionen Juden reicht. Bei einem Land, Estland, war vermerkt, dass es bereits „judenfrei“ sei.
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Welches Schicksal hatten die Konferenzteilnehmer?
Reinhard Heydrich kam 1942 bei einem Attentat um, der Präsident des „Volksgerichtshofs“ Roland Freisler bei einem Bombenangriff kurz vor Kriegsende. Der Vertreter der Gestapo Heinrich Müller kam vermutlich bei der Einnahme Berlins ums Leben. Martin Luther verstarb und zwei Teilnehmer begingen Selbstmord. Zwei weitere Teilnehmer wurden nach der Entdeckung des Protokolls von den Briten beziehungsweise in Polen zum Tod verurteilt und hingerichtet. Adolf Eichmann floh nach Argentinien. Von dort wurde er von einem Kommando des israelischen Geheimdienstes Mossad entführt, nach Israel gebracht und 1962 in Israel, nach einem weltweit beachteten Prozess, hingerichtet.
Später wurden einige der anderen Konferenzteilnehmer in der Bundesrepublik vor Gericht gestellt, keiner aber wegen seiner Teilnahme an den Beratungen über die Ermordung von elf Millionen Juden verurteilt. Georg Leibbrandt, einer der Vertreter des Ostministeriums, trat im Wilhelmstraßen-Prozess als Zeuge auf, wo er sich an nichts erinnern konnte, als Kempner ihn mit dem Protokoll der Wannsee-Konferenz konfrontierte. Angeklagt wurde er nie. Der Vertreter der Parteikanzlei der NSDAP Gerhard Klopfer wurde bei der Entnazifizierung als „minderbelastet“ eingestuft und war später in Ulm als Rechtsanwalt tätig. Der Vertreter des Reichsinnenministeriums Wilhelm Stuckart galt als „Mitläufer“ und musste eine Geldstrafe von 500 DM bezahlen. Dies ist ein Kapitel der insgesamt beschämenden Geschichte der „kalten Amnestie“, um mit dem Historiker Jörg Friedrich zu sprechen, das heißt der Nichtstrafverfolgung von NS-Tätern in den ersten Nachkriegsjahrzehnten in der Bundesrepublik.
Wie ist der Stand der Holocaust-Forschung heute?
Auch wenn einzelne Aspekte der Entschlussbildung, der Intentionalität und der zeitlichen Abfolge des Radikalisierungsprozesses von den Historikern nach wie vor teilweise unterschiedlich beurteilt werden, darf der Holocaust heute insgesamt als außerordentlich gut erforscht angesehen werden. Dazu hat auch die Öffnung der osteuropäischen Archive beigetragen. Während es jahrzehntelang nicht eine einzige Monografie zur Genese der „Endlösung“ gab, sind wir heute durch die Forschungen von Christopher Browning, Saul Friedländer, Christian Gerlach, Peter Longerich, Michael Wildt und vielen anderen über die allermeisten Aspekte des Holocausts gut unterrichtet. Am ehesten besteht noch Forschungsbedarf bei der Untersuchung der Interaktion zwischen den deutschen Besatzern und der einheimischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten, wie sie zum Beispiel Jan Gross für Polen geleistet hat.
Welche neuen Forschungsansätze gibt es, die über die traditionelle Holocaustforschung hinausführen?
Der „Historikerstreit“ Mitte der 80er Jahre, bei dem Ernst Noltes Versuche einer Relativierung des Holocausts von der übergroßen Mehrheit der Historiker zu Recht zurückgewiesen wurden, hat sich lange Zeit hemmend in Bezug auf neue Denkansätze erwiesen. Aber seit einigen Jahren wird zunehmend, zum Beispiel von dem Osteuropahistoriker Jörg Baberowski, die Zeitgenossenschaft der totalitären ideologischen Herrschaftsansprüche von Hitler und Stalin und die Verschränkung der Gewaltgeschichte beider Regime thematisiert. Ein Meilenstein ist das in diesem Jahr erschienene Buch „Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin“ des amerikanischen Historikers Timothy Snyder. Die Einbettung der Analyse der Judenvernichtung in den Kontext der internationalen Genozidforschung, der Geschichte des Kolonialismus und der Analyse extrem gewalttätiger Gesellschaften, wie sie jüngst zum Beispiel in Werken von Jürgen Zimmerer und Christian Gerlach betrieben wird, sind andere Beispiele für fruchtbare neue Forschungsansätze.
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