- Warum Demokratie Populismus braucht
Ob Seehofer, Schröder oder Lafontaine – ihnen allen hängt das Attribut ‚populistisch‘ an. Doch angesichts des Bedeutungsverlustes der Parteien bleibt den Politikern häufig gar nichts anderes übrig. Längst hat sich in der Politik ein Populismus der Mitte etabliert
Populisten besitzen in der Öffentlichkeit keinen guten Leumund; der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer zum Beispiel, der sich gleich nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima als Atomkraftgegner outete, oder Oskar Lafontaine, der mit viel Verve gegen Hartz IV wettert. Mehr Respekt bringen viele Journalisten jenen Politikern entgegen, die mit einem gewissen Maß an Verachtung auf das Wahlvolk hinabblicken und gerne mit einer Attitüde auftreten, als würden sie die Welt lieber mit einem Rat der Weisen regieren.
Kein Politiker möchte gerne als Populist gelten und wenn in der Politik von Populismus die Rede ist, sind deshalb die Wörtchen Links und Rechts meist nicht weit. Doch nicht nur an den Rändern, auch in der politischen Mitte und bei den etablierten Parteien schüren Politiker immer häufiger Ängste und Emotionen. Sie setzen auf deftige Töne, einfache Antworten und Scheinlösungen. Längst ist der Populismus in der Politik nicht mehr nur ein Protestphänomen.
Gerhard Schröder etwa war ein Meister des Populismus. Als Bundeskanzler suchte er immer wieder die direkte Ansprache seiner Wähler über die Medien. Vor allem dann berief er sich auf Volkes Stimme, wenn er sich gegen Widerstände in der eigenen Partei behaupten musste. Etwa bei der Umsetzung der Agenda 2010.
Schröder verstand es zudem, wenn es opportun erschien, sich als Kanzler in einem anti-elitären Diskurs mit dem Volk gegen die politischen Eliten zu solidarisieren. So inszenierte er sich zum Beispiel 1999 vor den Arbeitern des Baukonzerns Philipp Holzmann als Retter tausender Arbeitsplätze und verschwieg auch nicht, dass er die knausrigen Bankmanager „in die Pflicht“ genommen habe. Im Bundestagswahlkampf 2005 nannte Schröder den möglichen CDU-Finanzminister Paul Kirchhoff konsequent den „Professor aus Heidelberg“.
Angesichts des Bedeutungsverlustes der Parteien, des Verlustes ihrer Integrationskraft in der Gesellschaft bleibt den Politikern häufig gar nichts anderes übrig. Längst hat sich in der Politik ein Regierungspopulismus beziehungsweise ein Populismus der Mitte etabliert. Der Politikwissenschaftler Uwe Jun spricht deshalb vom „Populismus als Regierungsstil“.
Selbstverständlich kommt der Populismus anders daher, wenn er in den Regierungszentralen geplant wird – dosierter, verträglicher und vermeintlich überparteilich. So orientieren sich Regierungen nach Uwe Jun immer häufiger an der Stimmung in der Bevölkerung, wenden sich regelmäßig direkt an die Wähler. Sie versuchen, ihre Verbundenheit mit der Mehrheit der Bevölkerung zu demonstrieren und favorisieren einen präsidialen Regierungsstil.
Gleichzeitig treten die Parteiprogramme und die Parteimitglieder in den Hintergrund. Nicht das Regierungshandeln steht im Mittelpunkt, sondern das Regierungspersonal. Der Populismus gehört zur Mediendemokratie. Vor allem Boulevardmedien und Talkshows verstärken diesen Trend. Weil Politik dort zum Spektakel verkommt, sind diejenigen Politiker im Vorteil, die dieses Spektakel bieten können.
Die populistische Inszenierung von Politik als permanente Kampagne ist für Politiker längst Überlebensfrage geworden. Auch Angela Merkel ist Populismus im Kanzleramt nicht fremd. Etwa wenn sie plötzlich ihr Herz für die Energiewende entdeckt, weil die Zahl der Atomkraftgegner in Meinungsumfragen plötzlich in die Höhe schoss. Auch bei ihrem Versuch, die Südeuropäer in der Eurokrise als faul und urlaubsfreudig hinzustellen, weil diese angeblich „früher in Rente gehen“ und „ganz viel Urlaub“ kriegen, hatte die Kanzlerin vor allem die eigenen Wähler im Blick. Beispiele aus der aktuellen Politik gibt es viele.
Natürlich ist der Vorwurf, Politiker würden zu viel auf Meinungsumfragen Rücksicht nehmen und sich zu häufig an Stimmung in der Bevölkerung orientieren, wohlfeil. Auf die Unterstützung der Wähler kommt es in der Demokratie schließlich an. Es kann gerade ein Ausdruck einer funktionierenden Demokratie sein, wenn Politiker auf den Wählerwillen eingehen und etwa in der Energiepolitik auf massive Vorbehalte reagieren. Darüber hinaus können deutliche Worte und auch eine rhetorische Zuspitzung helfen, die Fronten in einem politischen Konflikt zu verdeutlichen und den Wählern Orientierung zu geben. Statt von Populismus als Regierungsstil könnte man also auch von einem demokratischen Populismus sprechen.
Allerdings stellt sich zugleich die Frage, wo verläuft die Grenze zwischen notwendiger Ansprache der Wähler und Anbiederung an Stimmungen, zwischen einer professionellen Kommunikation politischer Strategien und medial inszenierter Symbolpolitik sowie zwischen politischen Appellen an die Mehrheit und dem Schüren von Ressentiments. Der Grat ist schmal und die Politiker sollten sich dessen bewusst sein.
Der Populismus hat also zwei Seiten. Einerseits kann er Politik legitimieren und die repräsentative Demokratie stärken. Andererseits kann er Ängste und Vorurteile schüren. Vor allem aber kann der Populismus die Rahmenbedingungen zerstören, unter denen in der Politik und in der Gesellschaft in einem demokratischen Diskurs nach Lösungen für komplexe gesellschaftliche Probleme gerungen wird. Dabei scheint es völlig egal zu sein, ob er vom Rand in die Gesellschaft drängt, in der Mitte gepflegt wird oder in demokratische Regierungssysteme eingebaut ist.
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