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Ware Frau - Prostitution abschaffen!

In Flatrate-Bordellen gibt es ein Bier, eine Bratwurst und unbegrenzt Frau. Männer freuen sich öffentlich auf inszenierte Gruppenvergewaltigungen und im Teenyland bieten berockte Mädchen ihre Sex-Dienste an. Es reicht!

Autoreninfo

Chantal Louis ist Journalistin und Buchautorin. Sie ist Redakteurin bei der Zeitschrift EMMA und arbeitet u.a. für WDR und Deutschlandfunk.

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Wir schreiben das Jahr elf nach Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes. Wir haben Flatrate-Bordelle, in denen Frauen im Komplett-Paket mit Bier und Bratwurst zum Konsum angeboten werden. Für 69 Euro (zum Beispiel, es geht auch günstiger) gibt es ein Bier und eine Bratwurst, die Frau gibt es unbegrenzt.

In Kölner Kneipen, und nicht nur dort, hört man bisweilen eine Gruppe junger Männer am Nachbartisch ankündigen, dass man jetzt zum Gangbang ins Pascha aufbreche. Für Uneingeweihte: Das Pascha ist laut Eigenwerbung das „größte Laufhaus Europas“, Gangbang bezeichnet eine inszenierte Gruppenvergewaltigung. Im Pascha, dessen Logo etliche Kölner Taxis auf ihrer Wagentür als Werbung durch die Stadt fahren, geben viele der dort arbeitenden „Mädchen“ Gangbang als „Vorliebe“ an.

Ein paar Kilometer weiter, vor den Toren von Köln, liegt das Teenyland. Dort bieten Mädchen mit Zöpfchen und Kleidchen, natürlich alle über 18, im „Klassenzimmer“ oder  „Prinzessinnenzimmer“ ihre Dienste an. Investoren können sich in Hochglanzprospekten über „absolut krisensichere“ Anlagen ins Rotlichtmilieu informieren.

Willkommen im Prostitutionsland Deutschland.

Im Jahr 2002 hat die rot-grüne Regierung die „Sittenwidrigkeit“ der Prostitution aufgehoben und den Passus, der die „Förderung der Prostitution“ unter Strafe stellte, gestrichen. Das hehre Ziel: Prostituierte sollten sich kranken- und rentenversichern und ihren Lohn einklagen können, falls der Freier nicht zahlt. Die Zeitschrift EMMA und viele mit Prostitution und Menschenhandel befassten Kommissariate warnten: Den Frauen, die größtenteils aus dem Ausland kommen, würde das Gesetz nichts nützen. Und sie würden es nicht nutzen. Dafür öffnete es Zuhältern und Menschenhändlern Tür und Tor.

Genauso ist es gekommen. Wir sind ein Land geworden, das Frauenhändlern und Zuhältern die optimale Infrastruktur für ihr Geschäft mit der Ware Frau bietet. Schicke Großbordelle, von denen sich viele als „Wellness-Tempel“ verkaufen, in denen es nicht nur Whirlpools, sondern auch Frauen zur Entspannung gibt, sind wie Pilze aus dem Boden geschossen. Diese Bordelle müssen mit Frauen bestückt werden, damit der Laden lukrativ läuft.

Wo kommen diese Frauen her? Zu 80 bis 90 Prozent aus Ungarn, Rumänien, Bulgarien. Die Schlepper rekrutieren sie, viele gerade einmal 18 Jahre oder jünger, manchmal mit Gewalt, oft aber auch mit Einverständnis ihrer Familien, in den Slums der Sinti und Roma. Das deutsche Prostitutionsgesetz sorgt dafür, dass sie hier einen großen Markt vorfinden, auf dem sie diese Mädchen und Frauen unterbringen können.

Ein Argument der Befürworter des Prostitutionsgesetzes lautet: Würde man Prostitution verbieten, triebe man die Frauen in die Illegalität, wo man sie nicht mehr kontrollieren könne. Fakt aber ist: Prostitution findet in Deutschland heute größtenteils unter kriminellen Bedingungen statt – unter den Augen der hilflosen Polizei, der die Hände gebunden sind. Da Prostitution nun ein normales Geschäft ist, darf sie die Bordelle nur noch bei einem konkreten Anfangsverdacht betreten. Und selbst wenn sie das tut, braucht sie die Aussage der Frau gegen ihren Zuhälter. Die bekommt sie in den seltensten Fällen.

Die Betreiber der schicken Wellness-Puffs geben unumwunden zu: Sie können nicht kontrollieren, ob und wer außerhalb der Bordellmauern abkassiert, bedroht oder zuschlägt. Und sie wollen es auch nicht, denn irgendwo muss der Nachschub an Frischfleisch ja herkommen.

Es gibt inzwischen einen einstimmigen Beschluss der Innenminister der Bundesländer, die eine Reform des Prostitutionsgesetzes gefordert haben. Denn: „Die bestehenden Ermächtigungsgrundlagen für Polizei und Ordnungsbehörden reichen nicht aus, um Prostituierte vor menschenunwürdiger Behandlung zu schützen und ein effektives präventives, aber auch repressives Vorgehen gegen Menschenhandel, Zwangsprostitution und Schwarzarbeit zu gewährleisten.“ Die Konferenz der Frauen- und Gleichstellungsministerinnen hat sich angeschlossen.

Passiert ist: nichts. Dabei ist Deutschland inzwischen allein auf weiter Flur. Selbst die Niederlande, das einzige europäische Land, das Prostitution ebenfalls vollständig legalisiert hat, rudert gerade zurück. Die Legalisierung sei „ein nationaler Irrtum“ gewesen, erklärt der Amsterdamer Dezernent Lodewijk Asscher. Irland wurde gerade von einer TV-Reportage aufgewühlt, die nachwies: Die Prostitution, die sich überwiegend durch Internet-Anzeigen organisiert, ist fest in der Hand von Zuhältern und Frauenhändlern. In Frankreich beschloss die Nationalversammlung, den Frauenkauf verbieten zu wollen, nachdem eine Enquête festgestellt hatte: „Wo Prostitution legalisiert wurde, ist der Menschenhandel explodiert.“ Schweden, Norwegen und Island haben den Kauf „sexueller Dienstleistungen“ – wohlgemerkt: nicht die Prostituierten – schon seit Jahren illegalisiert. Sie sind damit nicht nur für Menschenhändler ein unattraktives Zielland geworden, sondern auch eines, in dem der Kauf des Körpers eines anderen Menschen gegen die Menschenwürde verstößt.

In Deutschland sind wir von dieser Debatte weit entfernt. Selbst der minimale Schritt – eine Verbesserung der polizeilichen Zugriffsrechte – scheitert zurzeit an der liberalen Justizministerin, die keinen Handlungsbedarf sieht. Einen Gesetzentwurf von Frauenministerin Kristina Schröder lehnte sie ab. Der sah eine „Konzessionierung“ von Bordellen vor: Wer ein Bordell eröffnen will, muss Bedingungen erfüllen. Er darf nicht vorbestraft sein (zurzeit können selbst verurteilte Menschenhändler ein Bordell eröffnen) und muss der Polizei ein uneingeschränktes Betretungsrecht einräumen.

Aber selbst wenn diese Konzessionierung käme – was würde das bedeuten? Der Staat würde die Orte, an denen der deutsche Handel mit der Ware Frau stattfindet, einteilen in „gute“ und „schlechte“ Bordelle. Man gäbe Freiern damit das Signal: „Dies ist ein staatlich zertifiziertes Bordell, in das du guten Gewissens gehen kannst, denn hier ist alles in Ordnung.“ Es ist aber nichts in Ordnung.

Selbst für diejenigen nicht, die nicht von rumänischen Schleppern oder deutschen Schlägern zu ihren Freiern geschickt werden, sondern sich „freiwillig“ prostituieren.

Wo ist der Punkt, an dem eine junge Frau entscheidet: Ich werde nicht Bankkauffrau, Bäckereifachverkäuferin oder Architektin, sondern Prostituierte? Keine Frau, deren körperlichen und/oder seelischen Grenzen nicht massiv verletzt wurden, begibt sich in diese Welt, in der sich diese Grenzverletzung tagtäglich wiederholt. Unter den vielen (Ex)Prostituierten, mit denen ich im letzten Jahrzehnt gesprochen und deren Blogs ich gelesen habe, war keine, die nicht als Kind missbraucht oder von Männern misshandelt worden war. Oder von den Eltern derart auf emotionalen Entzug gesetzt und so von ihrer Wertlosigkeit überzeugt wurde, dass sie bereit war, für einen Mann, der die richtigen „Für mich bist du die Tollste“-Knöpfe drückte, alles zu tun.

Wer wissen will, wie Zuhälter so etwas machen, lese die Biografie von Andreas Marquardt, einem ausgestiegenen und sehr brutalen Zuhälter, der seinen hochgeschulten Blick für die emotional bedürftigen Mädchen in den Dorfdiscos eindrücklich beschreibt. Es sind dieselben Mädchen, die später der Polizei erklären, dass Ralf, Rolf oder Frank sie liebt und dass es ihnen gar nichts macht, dass sie seine Eigentumswohnung zwar finanziert haben, aber nicht im Grundbuch stehen. Und die blauen Flecken? Vor den Schrank gelaufen. Und wieder ist die Polizei machtlos.

Das Schlimmste und Zerstörerischste, erzählen die Frauen, ist nicht so sehr, die Körperöffnungen zur Benutzung zur Verfügung zu stellen. Das, was die Seele kaputtmacht, ist die Show, die man abliefern muss, damit der Kunde zufrieden ist. Das Vorspielen von Zuneigung, das So-tun-als-ob (mir die Küsse gefallen, ich total auf Analverkehr stehe, er der tollste Liebhaber der Welt ist). Ist der Kunde nicht zufrieden, bietet das Pascha eine Geld-zurück-Garantie und das Internet Beurteilungs-Foren. Alkoholmissbrauch, Drogen- und Kaufsucht, Depressionen und Posttraumatische Belastungsstörungen sind, das ergeben alle Studien, bei Prostituierten epidemisch verbreitet.

Und von diesem persönlichen Leid abgesehen: Welches Frauenbild transportiert eine Gesellschaft, die Prostitution als selbstverständlichen Teil der Gesellschaft anerkennt? Die Frau als käufliches Geschlecht. Heute 20-jährige junge Männer sind, Prostitutionsgesetz sei Dank, damit aufgewachsen, dass sie, wenn sie Sex mit einer Frau haben wollen, nichts tun müssen außer ein paar Euro auf den Tisch zu legen. Sie müssen nicht nett sein, sie müssen sich nicht für diese Frau interessieren, und sie müssen auch nicht nach ihren (sexuellen) Wünschen fragen. Sie müssen nur bezahlen. Das ist sehr praktisch in diesen emanzipierten Zeiten, in denen die Frau zu Hause – oder die, die man gerade in der Kneipe kennengelernt hat – auf Augenhöhe steht und Ansprüche stellt: an Präsenz, an ein gutes Gespräch, an guten Sex. Die Drohung steht im Raum: „Wenn du nervst, geh ich halt in den Puff.“

Prostitution torpediert all das, was Frauen und Männer auf dem Weg zu einer gleichberechtigten Gesellschaft erreicht haben. Auch deshalb kann eine Gesellschaft, die sich die Gleichstellung von Frauen und Männern auf die Fahnen und in die Verfassung geschrieben hat, Prostitution nicht als „Beruf“ akzeptieren. Sie kann nicht Bordelle zertifizieren und so tun, als sei es ein Zeichen sexueller Offenheit, dass Jungen (und Mädchen) mit jedem Blick auf ein Pascha-Taxi lernen, dass für Männer eine Sexualität normal ist, bei der die Lust des Gegenübers überhaupt keine Rolle spielt.

Die Schwedinnen und Schweden haben das erkannt. Viele Länder sind ihrem Beispiel gefolgt oder planen, das zu tun. Es wird Zeit, dass Deutschland es auch erkennt – und endlich Konsequenzen zieht.

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