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Prostitution - „Der Gesetzgeber ist kein Moralunternehmen“

Der Grünenpolitiker Volker Beck zählt zu den Initiatoren des Prostitutionsgesetzes, das vor elf Jahren einen Paradigmenwechsel einleitete. Doch wie sieht er das Gesetz heute? Ist Prostitution ein normaler Beruf? Deutschland der Puff Europas? Volker Beck im Interview

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

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Herr Beck, vor kurzem hat die Augsburger Arbeitsagentur einer 19-Jährigen eine Stelle in einem Bordell angeboten. Daraufhin wurde von einem Versehen gesprochen. Die Medien empörten sich. Warum eigentlich? Ist der Job im Puff letztlich doch kein Job wie jeder andere?
Das geht gar nicht. Es geht da um die Frage, welche Arbeiten bei der Vermittlung zumutbar sind. Und wenn jemand nicht ausdrücklich darum bittet, in diesen Bereich vermittelt zu werden, ist es nicht zumutbar. Das hatten wir eigentlich in der Begründung zum Prostitutionsgesetz auch klargestellt. Wir wollen die Prostitution entkriminalisieren und entstigmatisieren, aber wir wollen niemandem die Prostitution aufdrängen.

Der Slogan, Prostitution sei ein Beruf wie jeder andere, kommt aus Ihrer Partei. Eine ganz normale Dienstleistung sollte es werden. War das aus heutiger Sicht nicht der falsche Ansatz? Würden Sie das heute auch noch unterschreiben?
Die Prostitution ist kein Beruf im Sinne eines Ausbildungsberufs. Es ist eine Dienstleistung und man soll akzeptieren, dass es Menschen gibt, die sie freiwillig anbieten. Aufgabe der Politik ist es nicht, Hüter bestimmter Moralvorstellungen zu sein, sondern es geht darum, einen Rechtsrahmen zu schaffen, innerhalb dessen die SexarbeiterInnen möglichst selbstbestimmt agieren, frei von Ausbeutung. Wir sind als Gesetzgeber kein Moralunternehmen, wir sind nicht die Kirche, es geht nicht darum, dass wir Werturteile fällen und diese durchsetzen.

Aber die Gleichsetzung, bzw. die Chiffre „Beruf“ auf diese Art der Tätigkeit anzuwenden, ist bereits eine Wertung, eine Aufwertung.
Mir geht es nicht darum, was Sie als kulturelle Konnotation wahrnehmen, sondern darum, welchen Rechtsrahmen wir setzen. Es geht um die Frage, wie wir die Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter aus der Illegalität holen und ihre Rechtsposition stärken. Deshalb sorgten wir für den Paradigmenwechsel: Weg vom illegalen Milieu hin zu einer legalen Tätigkeit. Da stellt sich nicht die Frage, ob wir das gut oder schlecht finden. Vieles, was legal ist, finde ich auch nicht gut. Das ist nicht die Diskussion.

Am 1. Januar 2002 trat das deutsche Prostitutionsgesetz in Kraft. Ziel war es, die Rechte der Frauen zu stärken…
… der Frauen und Männer. Wir dürfen nicht vergessen: Es ist ein Beruf, in dem Frauen und Männer, Homo-, Hetero und Transsexuelle arbeiten…

…ja, aber hat das nicht letztlich ins genaue Gegenteil geführt? Das Resultat heute: Die Prostitution blüht, Deutschland gilt als Drehscheibe für Prostitution in Europa. Davon profitieren in der Regel Männer: ob Freier oder Bordellbetreiber. Die Frau bleibt auf der Strecke.
Von welchen Frauen haben Sie das gehört? Also die Empirie gibt das einfach nicht her. Mir erzählen die Selbsthilfeorganisationen und auch die Sozialberatungen, dass das nicht so ist. Dass wir aber bestimmte Probleme noch haben, liegt einmal daran, dass wir die Prostitution eben nicht dem Gewerberecht unterstellt haben. Und zum anderen an den Negativfolgen der Sperrgebietsordnung. Dort, wo der Straßenstrich an den Stadtrand in ein Industriegebiet verlagert wird, gibt es keine soziale Kontrolle, keine Infrastruktur – von Telefonhäuschen bis Bushaltestelle. Die Frauen sind im Zweifelsfall Angreifern ausgeliefert. Das führt dazu, dass es verstärkt Zuhälterei in diesem Bereichen gibt, weil die Frauen dort schutzlos sind. Und wenn der nicht von der öffentlichen Seite gesichert wird, organisiert sich dies in einer illegalen und ausbeuterischen Form. Klar ist: Wir wollten die Prostitution mit unserem Gesetz weder fördern noch zurückdrängen, sondern wir wollten die Rechte der Frauen und Männer, die in diesem Beruf arbeiten, stärken.

Sie wollten die Prostitution nicht fördern, aber haben faktisch genau das getan. Kaum ein Geschäftszweig floriert derart in Deutschland wie das Geschäft mit der käuflichen Liebe.
In einer freien Gesellschaft hat der Gesetzgeber kein Werturteil in diesen Dingen zu fällen. Für mich ist Prostitution weder gut noch böse. Es hat sie immer schon gegeben. Wir werden sie nicht beseitigen können, also müssen wir uns fragen, wie wir sie so ausgestalten, dass die Menschen, die in diesem Beruf arbeiten, anständige Arbeitsbedingungen vorfinden. Das ist die Aufgabe des Gesetzgebers. Wenn Leute etwas anbieten, andere es kaufen wollen und es keine ökologischen oder sozialen Nebenwirkungen gibt, die man dringend unterbinden muss, dann nehme ich das zur Kenntnis und störe mich nicht weiter daran.

Das klingt aber nach einem sehr markt-radikalen Politikverständnis: Wir machen die Gesetze, die soziale Wirkung interessiert uns nicht und der Markt wird es schon richten.
Wollen Sie in einer Gesellschaft leben, wo das Zentralkomitee irgendeiner Partei beschließt, was gut oder schlecht ist?

Nein, aber ich wäge doch, wenn ich ein solches Gesetz beschließe, die sozialen Folgen ab und muss damit rechnen, dass ich beispielsweise Bordellbetreibern das Beet bestelle und sie eine Aufwertung erfahren.
Aber die Bordelle hat es doch vorher alle schon gegeben.

Doch aber nicht in diesem Ausmaß.
Erstens möchte ich gerne die Zahlen sehen, die zeigen, dass es tatsächlich einen Anstieg gibt und zweitens gibt es ganz andere negative Entwicklungen, die mit diesem Prostitutionsgesetz überhaupt nichts zu tun haben: Beispielsweise die Arbeitnehmerfreizügigkeit gegenüber Ländern, gegenüber denen wir ein massives Wohlstandsgefälle haben. Im Baubereich, in der Pflege und eben auch in der Prostitution zeigt sich, dass Veränderungen ergeben, die sich dann auch auf dem Markt zeigen, die ihre Ursache in der Armut haben. Hier muss der Staat Mindeststandards für Arbeitsbedingungen und Entlohnung durchsetzen, damit Not und Armut nicht Ausbeutung fördern. Das ist aber nicht allein das Problem bei der Prostitution.

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Bernhard Witthaut von der Gewerkschaft der Polizei spricht von einer Zunahme der Prostitution, hält das Prostitutionsgesetz in Deutschland nach eigenen Worten für gescheitert. Eine Untersuchung der Uni Göttingen kam zu dem Ergebnis: „Legalisierte Prostitution erhöht den Zustrom durch Menschenhandel.”
Das sind alles Behauptungen, denen es an Empirie mangelt. Die GdP und noch lieber der Bund der deutschen Kriminalbeamten sprechen von einer Zunahme des Menschenhandels. Diese These ist widerlegt und die Bundesregierung gibt uns da Recht. Natürlich ist jedes Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution eines zu viel. Seit der Liberalisierung gab es aber mehr polizeiliche Aktivität und dennoch deutlich weniger Tatverdächtige, Verurteilte und Opfer. Das Prostitutionsgesetz hat seit 2002 nicht zu einem Anstieg von Zwangsprostitution oder Menschenhandel geführt. Stattdessen sind die Opferzahlen laut BKA in den vergangenen Jahren deutlich zurück gegangen. Das spricht eher dafür, dass die Herauslösung der Prostitution aus dem kriminellen Milieu zunehmend gelingt. Genau das bestätigte mir gerade die Bundesregierung in ihrer Antwort auf meine Kleine Anfrage. Und wer etwas gegen Menschenhandel tun will, muss den Opfern von Menschenhandel ein Aufenthaltsrecht und Opferschutzprogramme anbieten. Dann kann man die Strafverfolgung der Menschenhändler erfolgreich verbessern.

Mir geht es vor allem um die Frage, unter welchen Bedingungen die Prostituierten arbeiten. Und ich frage mich eher bei bestimmten Arbeitsmodellen, die derzeit auf dem Markt sind, ob der Staat dort nicht viel eher eingreifen muss. Stichwort Mindestarbeitsbedingungen. Das aber ist kein alleiniges Problem der Prostitution. Es geht hier um die Frage, welche Mindeststandards verlangen wir und inwieweit lassen wir durch eine flexible Gestaltung im Vertragsrecht zu, dass diese unterlaufen werden. Das will ich nicht in der Prostitution, das will ich aber auch nicht in der Leiharbeit, bei Reinigungskräften oder Sicherheitsunternehmen. Bestimmte Probleme, die immer isoliert bei der Prostitution als Missstand beklagt werden, sind grundsätzliche Probleme des Arbeitsmarktes. Probleme von unterprivilegierten Menschen auf Arbeitsmärkten, denen es an notwendigen Schutzrechten und auch an Alternativen fehlt.

Und doch ist es ein spezifisches Problem der Prostitution, dass gerade hier die Frau als Ware gilt…
… oder der Mann.

Oder der Mann, in den meisten Fällen aber die Frau. Oder sagen wir mal: Der Mensch. Ist es eine Errungenschaft, dass sich Menschen mittlerweile legal als Ware anbieten dürfen?
Der Mensch ist nicht die Ware, sondern die sexuelle Dienstleistung ist die Ware. Wie bei einer pflegerischen Dienstleistung oder bei einer haushalterischen Dienstleistung auch, je nachdem, was das für eine Tätigkeit ist und welche Ekelschwellen überwunden werden müssen. Tätigkeiten, bei denen Menschen eine ganze Menge von sich einbringen müssen.

Aber Prostitution hat doch schon eine ganz andere Qualität.
Sagen Sie.

Ja.
Also, es soll niemand zu einer solchen Tätigkeit gezwungen oder gedrängt werden. Im Gegenteil. Erst, wenn man es als normale Tätigkeit anerkennt, kommen die Prostituierten zu ihrem Recht. Zum Recht auf Umschulung, Krankengeld, Arbeitslosengeld. Ich wehre mich allerdings gegen einen paternalistischen Staat. Ich bin dafür, dass man die Entscheidungen von Sexarbeitern und Sexarbeiterinnen für diesen berufliche Tätigkeit ernst nimmt. Und wenn Sie sagen, ich verstehe nicht, wie man so etwas freiwillig machen kann, dann ist das Ihre Sicht der Dinge. Aber zu sagen, wir wissen, was besser für die Menschen ist als die Menschen selbst, ist der falsche Ansatz. Zumal es sich hier nun einmal um das älteste Gewerbe der Welt handelt.

Ist es nicht ein bisschen sehr einfach zu sagen, das hat es immer schon gegeben? Es hat vieles gegeben, was wir nicht einfach hingenommen, sondern im Laufe der Menschheitsgeschichte überwunden haben.
Ihre Frage ist genauso alt wie das Gewerbe. Man hat es ja immer versucht zu verbieten und zu unterbinden. Dort, wo wir mit Repression auf Prostitution reagieren, vertreiben wir nicht die Prostitution, sondern wir treiben die Prostituierten in eine 100-prozentige Abhängigkeit von organisierter Kriminalität.

Aber das Gegenteil von Legalisierung heißt doch nicht zwangsläufig Verbot. Brauchen wir nicht viel eher das Tabu? Müssen wir nicht eine gesellschaftliche Atmosphäre schaffen, die Prostitution, die Frau als Ware, verurteilt?
Klingt in den Ohren von manchen vielleicht schön, wir sind für die Frauen, für die Unterdrückten und gegen die bösen Ausbeuter und Kunden. Der Effekt einer solchen Regulierung ist: Die Frau, die weiter in dem Beruf als Prostituierte arbeiten will, muss ihre Leistung dort anbieten, wo der Kunde eine Strafverfolgung nicht zu befürchten hat. Würde heißen, die Prostitution würde aus dem hellen Licht wieder ins Dunkle getragen. In den Bereich der organisierten Kriminalität. In diesem Bereich sind die Frauen, wenn es zu irgendwelchen Konflikten kommt, schutzlos den Freiern und auf jeden Fall ihren Zuhältern ausgeliefert. Das halte ich für keine gute Idee.

Wobei sich ja heute die Prostitution auch nicht wirklich im Lichte der Legalität sonnt. Vielmehr gibt es neben diesem Licht eine ganze Menge Schatten, einen ganzen Rattenschwanz von Schattenwirtschaft und Kriminalität.
Aber das hat mit dem Gesetz nichts zu tun. Es gibt im Grunde eine positive Tendenz. Dieser Prozess ist aber noch nicht abgeschlossen. Es handelte sich ja auch um ein unvollständiges Gesetzgebungsverfahren: Das Gesetz war ein politischer Kompromiss. Die damalige Justizministerin Frau Däubler-Gmelin wollte es im Grunde nicht. Man ist da auf halbem Wege stehen geblieben. Unser Ziel muss sein, Prostitutionsstätten zumindest ab einer gewissen Größe der Gewerbeaufsichtskontrolle zu unterstellen. Damit kontrolliert werden kann, ob beispielsweise alle eine Arbeitserlaubnis besitzen, ob sie anständig bezahlt werden, wie die Hygiene- und Arbeitsbedingungen sind. Nicht mit dem Ziel, die Prostitutionsstätten zurückzudrängen, sondern durch Kontrolle von Sozialversicherungsträgern Mindestarbeitsstandards durchzusetzen.

Herr Beck, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Timo Stein

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