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Umstrittene Kunstaktion - Gebt den Opfern Namen, nicht neue Gräber!

Aus Protest gegen die deutsche Flüchtlingspolitik haben Aktivisten in Berlin eine Syrerin öffentlich beerdigt. Die Kunstaktion hat mit einem Begräbnis wenig zu tun: Über die Verstorbene erfährt man nichts, dafür viel über die Aktivisten. Die wollen am Sonntag erneut einen Flüchtling beerdigen – vor dem Bundeskanzleramt

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Lena Guntenhöner ist freie Journalistin in Berlin.

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Wie fühlt es sich an, auf einer Beerdigung zu sein, bei der man den Verstorbenen nicht kennt? Ich weiß es jetzt. Leider. Peinlich berührt ist man, unfähig, wirkliche Trauer zu empfinden. Das wollten die Organisatoren der Kunstaktion „Die Toten kommen“ wohl auch erreichen, indem sie Leichen von Flüchtlingen exhumierten und dann nach Deutschland überführten, um sie dort denen vor Augen zu halten, die in ihren Augen für die Katastrophe auf dem Mittelmeer verantwortlich sind. Leider richtet sich mein Unbehangen auf dem Friedhof Berlin-Gatow weniger gegen die vermeintlich politisch Verantwortlichen als vielmehr gegen die Aktivisten selbst.

Ich lasse die Frage an dieser Stelle einmal dahingestellt, ob tatsächlich Leichen in den zwei weißen Särgen lagen. Alle Informationen über die Aktion stammen vom „Zentrum für politische Schönheit“ (ZPS), die das Ganze organisiert hat. Das ZPS nennt sich selbst „Sturmtruppe zur Errichtung moralischer Schönheit, politischer Poesie und menschlicher Großgesinntheit – zum Schutz der Menschheit“. Ziel ist es, mittels politischer Aktionskunst einen „aggressiven Humanismus“ zu betreiben, der „auf Menschlichkeit als Waffe setzt“. Sogenannter Chefunterhändler ist der Autor und Regisseur Philipp Ruch.

Bereits in der Vergangenheit war das ZPS mittels spektakulärer, aber umstrittener Aktionen in Erscheinung getreten. Dazu gehört die Entführung der Mauerkreuze am Tag des Mauerfalls. Auch hier blieb unklar, ob die echten Mauerkreuze Deutschland jemals verlassen hatten.

Mehr Wut als politische Durchschlagskraft


Ob echt oder nicht, Presse und Beerdigung passen einfach nicht zusammen. Fotografen und Kameraleute drängten sich um das ausgehobene Grab, während ein Imam Abdullah Hajjir eine eher politische denn persönliche Grabrede hielt: „So wie diese Menschen im Mittelmeer versinken, so versinken wir dadurch in Ungerechtigkeit.“ Und über eine geflohene Frau: „Sie kam für das Leben. Wir haben es ihr genommen.“

Da war er - der erhobene Zeigefinger. Und schon hört man im Geiste diejenigen, die sich von der Schuld zu befreien versuchen, indem sie auf die Zahlen der in Deutschland aufgenommenen Flüchtlinge und die Geburtenrate Afrikas verweisen. Möglich, dass diese Aktion mehr Wut auf sich zieht, als sie politische Durchschlagskraft entwickelt.

Nächste Angehörige sollen am Dienstag auch dort gewesen sein. Der Mann und die drei Töchter der Verstorbenen können es nicht gewesen sein. Nach Informationen von Stefan Pelzer, dem „Eskalationsbeauftragten“ von ZPS, leben sie inzwischen zwar auch in Deutschland, haben aber für den Besuch der Beerdigung keine Genehmigung der zuständigen Ausländerbehörde bekommen. Zur Erde gelassen wurde am Dienstag morgen nur einer der zwei Särge. Der andere stehe symbolisch für die zweijährige Tochter der ertrunkenen Frau aus Damaskus, sagte Pelzer. Die Leiche des Kindes sei bisher nicht gefunden worden. Die Aktion habe auf ausdrücklichen Wunsch der Angehörigen stattgefunden, erklärte er weiter. Doch warum wollten diese dann den Namen der Verstorbenen geheim halten?

Das Leid der Flüchtlinge wird durch die Aktion nicht erlebbar


Die Stühle für die geladenen Politiker, unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innenminister Thomas de Maizière, blieben leer. 14.900 Euro haben Überführung und Bestattung der Frau gekostet. Das Geld dafür kam innerhalb eines Tages mit Hilfe von Crowdfunding zusammen. Am kommenden Sonntag um 14 Uhr sollen weitere Leichen vor dem Kanzleramt auf einem „Friedhof für den unbekannten Einwanderer“ beigesetzt werden.

Starke Bilder sind es, die das ZPS produziert. Die mediale Aufmerksamkeit ist ihnen sicher. Ob die allerdings bei einer Beerdigung angemessen ist, ist eine andere Frage. Man kann es stümperhaft nennen, dass keine Pressekonferenz abseits des Friedhofs organisiert wurde. Man kann es Missbrauch von stummen Opfern nennen, die hier für politische Zwecke instrumentalisiert werden. Der Eskalationsbeauftragte sagte dazu nur: „Ich finde, es ist Missbrauch, diese Toten aufeinander zu stapeln in einer kaputten Kühlkammer auf Sizilien.“ Nicht die Aktion sei geschmacklos, sondern der Abwehrkrieg, der an den Grenzen Europas geführt werde und bisher 35.000 ausschließlich zivile Opfer gefordert habe.

Makaber, aber wahr: Es hätten auch Steine in dem Sarg liegen können. Erfahren hat man nichts über die verstorbene Syrerin. Erlebbarer ist das Leid der Flüchtlinge durch diese Aktion nicht geworden. Mitleid aber entsteht durch den direkten menschlichen Bezug. Deshalb gebt den Opfern Namen, nicht neue Gräber!

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