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Umfragen - Kann die Demoskopie die Wahl entscheiden?

Politbarometer, Deutschlandtrend & Co. wecken Neugier und Interesse. Wer darin aber schlecht abschneidet, redet die Umfragewerte herunter. Wer dagegen gut wegkommt, verweist darauf. Doch welchen Einfluss haben Wahlumfragen und Wahlprognosen?

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Funk, Albert

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Zwei Tage noch, dann ist Bundestagswahl. Und noch immer, ja sogar am Wahltag selbst, sind ziemlich viele Bürger gar nicht entschieden, was sie tun sollen. Hingehen oder nicht, und wenn ja, wo kommen dann die beiden Kreuzchen hin? Das Umfrageinstitut GMS etwa ermittelte am 10. September noch 28 Prozent Unentschlossene und erklärte Nichtwähler. In anderen Umfragen war der Anteil ähnlich hoch oder noch höher. Zum Wahltag hin sinkt der Anteil. Welchen Anteil die Umfragen dabei haben, etwa indem sie Unentschlossene doch noch mobilisieren, ist unklar.

Sicher ist, dass das Interesse an den Zahlen hoch ist - das zeigen die Klickzahlen der Online-Portale der Zeitungen. Offenbar besteht ein Bedarf an Orientierung auch durch demoskopische Erhebungen. Aber sie sind in der Kritik, auch weil es so viele gibt, weil sie manchmal nicht sehr nah am späteren Ergebnis liegen und sie nun auch in der Wahlwoche noch veröffentlicht werden. Immerhin: Bei der Bayern-Wahl lagen das ZDF-Politbarometer und der ARD-Deutschlandtrend bei CSU und SPS recht gut, weniger bei bei den kleineren Parteien - eine allgemeine Tendenz der letzten Jahre. Den Flop der FDP aber hatten beide Umfragen vorher erfasst.

Was macht die Umfragen so unsicher?

Der Anteil der Stammwähler sinkt seit Jahren, die Zahl der Wechselwähler und Unentschiedenen steigt. Das Wahlverhalten ist über die Jahre hinweg volatiler geworden, also stimmungsabhängiger, weniger berechenbar. Das trifft die Demoskopen, die „Volksbefrager“, in ihren Meinungsforschungsinstituten. Denn immer häufiger liegen die Umfragedaten sechs oder acht Wochen vor der Wahl deutlich neben dem Ergebnis am Wahltag. Aber nicht, weil bei den Umfragen etwas grundsätzlich faul ist, sondern weil eben nur die Antworten genommen werden können, die sich am Telefon oder online ergeben. Es sind die Wähler, die weniger berechenbar geworden sind. Stimmungen schwanken recht deutlich von Woche zu Woche, aktuelle Ereignisse beeinflussen die Antworten; zwei Wochen später sind sie wieder vergessen oder von anderen Eindrücken verdrängt. Die Atomkatastrophe von Fukushima etwa trug die Grünen in den Umfragen weit in die Höhe (und in einigen Wahlen auch), doch bald schon setzte der bis heute währende Sinkflug ein.


Bei der Bundestagswahl 2005 lagen die Demoskopen sogar kurz vor der Wahl noch neben dem Ergebnis. Im Januar 2013 hatten sie vor der Niedersachsen- Wahl den massiven Schwung hin zur FDP – Ergebnis verbreiteten Stimmensplittings – nicht auf dem Schirm. Dies war ausschlaggebend, dass das ZDF sich nun entschieden hat, erstmals in der Geschichte des Politbarometers seit 1977 auch in der Wahlwoche eine Umfrage zu veröffentlichen (gemacht wird sie ohnehin, als Basis für die Prognose am Wahlabend). Bis in den Donnerstagabend hinein wurde befragt, um die möglichen Umschwünge möglichst zeitnah zu erfassen. „Bild am Sonntag“ wird eine Emnid-Umfrage sogar noch am Wahltag verbreiten. Auch Forsa und Allensbach sind mit aktuellen Umfragen präsent; nur die ARD mit ihrem Deutschlandtrend ist dabei geblieben, in der Woche vor der Wahl zu schweigen. Wer eine Zusammenfassung der Umfragen will, bekommt sie bei Pollytix.

Sind Umfragen kurz vor der Wahl unfair?

Das Heranrücken von Umfragen an den Wahltag wird durchaus kritisch gesehen. WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn etwa hält Umfragen in der Wahlwoche nicht für erhellend, gerade wegen der unberechenbaren „Spätentscheider“. Auch die nach der Bayern-Wahl verunsicherte FDP redet die erhobenen Zahlen herunter. Die Veröffentlichungen nahe am Wahltag seien „mehr Beeinflussung als Berichterstattung“, sagte Generalsekretär Patrick Döring schon vor einer Woche (als man in der Partei schon ahnte, dass Bayern schief gehen würde). SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück schürt seit Wochen das Misstrauen in die Umfragezahlen, zuletzt versuchten auch die Grünen den Eindruck zu erwecken, ihre letzthin schlechteren Werte gäben nicht die Wirklichkeit wieder. Der AfD-Vorsitzende Bernd Lucke behauptete, dass seine Partei unter der Fünfprozentmarke gesehen werde, decke sich nicht mit den Eindrücken aus dem Wahlkampf. Die Befürchtung ist stets, dass mit Umfragen kurzfristig Stimmung gemacht werden kann. In Polen, Italien oder Frankreich sind Veröffentlichungen von Umfragen in den Wochen vor der Wahl daher verboten.

Das ZDF verteidigt die Veröffentlichung am späten Donnerstagabend: „Wir sehen uns in der Pflicht, den Wähler mit einem aktuellen Stimmungsbild zu informieren und ihn nicht wider besseres Wissen auf dem Stand veralteter Informationen zu lassen“, sagte Intendant Thomas Bellut zur Begründung. In der Tat kennen natürlich Politiker die Ergebnisse der Umfragen in der Wahlwoche. Und die prägen durchaus noch die Wahlkampftaktik in den letzten Tagen, ja Stunden. Der Stuttgarter Kommunikationsforscher Frank Brettschneider vermag die Aufregung nicht zu verstehen. „Es gibt in Deutschland ausreichend viele seriöse und unabhängige Umfrageinstitute. Diese Vielfalt ist der beste Schutz vor Manipulation“, sagt er. Warum zeitnahe Ergebnisse den Bürgern vorenthalten werden sollen, versteht er nicht. Wissenschaftliche Untersuchungen hätten bisher nicht eindeutig gezeigt, ob und wie die Demoskopie das Wahlverhalten beeinflusst. Sie ist letztlich ein Informationsfaktor unter vielen.

Wie entscheidend sind Umfragen?

Es gibt eigentlich nur drei Konstellationen, bei denen Umfragen für die Wahlentscheidung wirklich relevant sein können. Erstens, wenn zwei Parteien oder Koalitionen sehr nahe beieinander liegen – es also auf einzelne Stimmen ankommt. Da kann von Umfrageergebnissen ein gewisser Mobilisierungseffekt ausgehen. Umgekehrt gilt – zweitens – wohl, dass eine Koalitionsoption, die nach den Umfragen offenkundig wenig oder keine Chancen hat, potenzielle Wähler verlieren kann. Das könnte zum Beispiel mit ein Grund dafür sein, warum die Grünen jüngst nachgelassen haben – Rot-Grün liegt unter 40 Prozent. Der SPD wiederum hilft vielleicht, dass die Möglichkeit einer großen Koalition wächst. Drittens ist die Fünfprozentmarke von Bedeutung: Schafft es eine Partei hinüber, fällt sie darunter? Das ist aktuell für FDP und AfD relevant, immerhin liegt die Fehlermarge einer Umfrage in diesem Bereich auch noch bei zwei Prozentpunkten. Hier aber gibt es zwei Reaktionen, die sich möglicherweise in ihrer Wirkung aufheben: Einerseits verliert eine Partei im Fünfprozentbereich an Unterstützung, weil Wähler nicht glauben, dass sie es schafft und daher ihre Stimme verloren ist. Andererseits kann es Ansporn sein – die Partei soll rein. Das ist zum Beispiel für das Splittingverhalten taktischer Wähler mit schwarz-gelber Präferenz wichtig. Taktische Wähler machen laut Brettschneider aber nur einen kleinen Teil der Wählerschaft aus.

Was ist von Wahlwetten zu halten?

Man muss sich bei der Orientierung auch gar nicht auf Umfragen allein verlassen. Es gibt auch Wahlwetten (wie etwa bei Spiegel Online) und Wahlbörsen (wie die der Firma Prognosys). Diese lagen bisher oft recht nahe am Wahlergebnis. Rolf Kepper, der „wahlwette.net“ verantwortet, betont, dass bei Wetten (wo oft Preise als Anreize ausgeschrieben sind) und Börsen (hier wird Geld eingesetzt) nicht Wahlabsichten zählen, sondern die Ergebnis-Erwartungen der Teilnehmer. „Wetten lügen nicht“, sagt er. Natürlich lassen sich Wetten manipulieren, wenn etwa eine Partei gezielt Mitglieder und Unterstützer dafür einsetzt. Ist die Zahl der Teilnehmer aber hoch sinkt das Risiko.


Auch Wissenschaftler beschäftigen sich mit Prognosen: So gibt es das Kanzler-Modell der Politologen Thomas Gschwend und Helmut Norpoth, das vor allem auf dem Abstand zwischen Amtsinhaber und Herausforderer beruht und deshalb einen klaren schwarz-gelben Sieg voraussagt. Das Benchmark-Modell aus der Berliner Hertie School of Governance stellt die wirtschaftliche Lage im Vergleich zu den Nachbarländern in den Mittelpunkt und sieht ebenfalls Schwarz-Gelb vorn. Der Hamburger Wahlinformationsdienst election.de wiederum wagt eine Prognose vor allem aufgrund von Erkenntnissen über das Stimmensplitting, aufbauend auf den Umfragen. Die spielen als Nachrichtenbasis natürlich auch bei den Wahlwetten eine Rolle, und auch die Politologen kommen bei ihren auf Statistik basierenden Modellen nicht ganz ohne Rückgriff auf Umfragedaten aus. Sämtliche Umfragen, Prognosen und einiges mehr sammelt die Website Pollyvote, die auch eine eigene Prognose daraus erstellt.

 

 

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