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Das Erste

Ukraine-Fehler in der ARD - Nur eine halbe Entschuldigung

Die Medienkolumne: Die ARD zog einen fehlerhaften Beitrag über die Ukraine zurück und bedauerte das öffentlich. Doch damit die Entschuldigung als echt angenommen werden kann, muss ein weiterer Schritt folgen: Der ARD-Programmbeirat sollte seinen kritischen Ukraine-Bericht veröffentlichen

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Dass ein Fernsehpublikum auch zu mehr da sein kann als zum Couchlümmeln und Chipsfuttern, lernen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in diesen Tagen. Es war ein Zuschauer, der der ARD einen seiner wohl peinlichsten Fehler in der Ukraine-Berichterstattung nachgewiesen hat.

Die „Tagesthemen“ griffen zu einem ungewöhnlichen Schritt – und zogen die umstrittene Sendung zurück. In dem Beitrag aus der Sendung vom 20. Mai 2014 hatte der Moskau-Korrespondent unter anderem über den Tod von zwei Anwohnern in Krasnoarmeysk in der Ostukraine berichtet. Diese seien durch die „Kugeln der neuen Machthaber“ gestorben, hieß es damals. Doch „nach erneuter Recherche“ sei aufgefallen, dass die tödlichen Schüsse seinerzeit der falschen Seite zugeordnet wurden. „Richtig ist, dass die Schützen einem ukrainischen Freiwilligen-Bataillon zuzuordnen sind, also nicht den Separatisten“, heißt es in der Erklärung. Die Tagesthemen entfernten den entsprechenden Beitrag auch in der Mediathek.

Besonders peinlich: Nach Angaben von Maren Müller, Initiatorin der „Ständigen Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien“, hatte ein Netzaktivist diese Beschwerde bereits am 22. Mai, also zwei Tage nach Veröffentlichung des Beitrags, an die zuständige ARD-Redaktion gesandt. Doch die sei von den Programmverantwortlichen ignoriert worden.

Moderator Thomas Roth wandte sich am Mittwochabend in den Tagesthemen direkt ans Publikum: „Wir bedauern unseren Fehler und möchten uns bei Ihnen dafür entschuldigen.“ Im „Tagesschau-Blog“ ergänzte ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke, man habe „gravierend danebengelegen“. Interessant: Noch am Montag hatte er im gleichen Blog keinen Grund gesehen, „sich für Fehler zu entschuldigen oder in der Berichterstattung nun gar ‚gegenzusteuern‘“.

Das ZDF wehrt Kritik noch ab


Es ist gut, dass sich das Erste nun so klar zu den Fehlern, die in einer schwierigen Kriegssituation nun einmal unterlaufen können, positioniert. Das gehört zum Journalismus dazu. Irren ist menschlich.

Beim ZDF klopft man sich momentan lieber noch selbst auf die Schulter: Ruprecht Polenz (CDU), Vorsitzender des ZDF-Fernsehrates, befand am Montag, der Sender „seine Aufgabe, objektiv zu berichten und zu informieren, ausgezeichnet erfüllt“. Dabei habe das ZDF die gleiche Falschmeldung zu Krasnoarmeysk gesendet, sagt Publikumsaktivistin Müller. Die Beschwerde ist in ihrem Forum öffentlich einsehbar, der Beitrag steht auch noch in der ZDF-Mediathek.

Chefredakteur Peter Frey hatte zudem weitere kritische Nachfragen zur Ukraine-Berichterstattung abgewehrt. Auch die „heute“-Nachrichtensendung über die Ostukraine (8. September) war in die Kritik geraten, weil sie Kämpfer des rechtsextremen ukrainischen Asow-Bataillons mit Hakenkreuzen und SS-Runen am Stahlhelm gezeigt hatte. Die Nazi-Deko war in dem Beitrag völlig unkommentiert geblieben, beobachtete die „Jüdische Allgemeine“. „Wo ist die journalistische Sorgfaltspflicht des ZDF geblieben?“, fragte das Blatt – und ist eine Antwort bis heute schuldig.

Um die öffentlich-rechtlichen Anstalten zu einer Entschuldigung zu bewegen, müssen sie offenbar erst von den Zuschauern der konkreten Falschberichterstattung überführt werden. Das Publikum ist sich sozusagen selbst das Korrektiv.

Vor diesem Hintergrund ist es absolut unverständlich, warum der Beitragszahler noch immer nicht erfahren darf, was der ARD-Programmbeirat konkret zur Ukraine-Berichterstattung gesagt hatte.

ARD-Programmbeirat warf dem Sender „antirussische“ Tendenzen vor


Wir erinnern uns: Der Öffentlichkeit wurde diese senderinterne Kritik drei Monate lang vorenthalten. Erst im September wurde das vertrauliche Protokoll von Juni durchgestochen. Darin warf das ARD-Gremium seinem eigenen Sender „antirussische“ Tendenzen vor: Die Berichterstattung im Ukraine-Konflikt habe „den Eindruck der Voreingenommenheit erweckt“ und sei „tendenziell gegen Russland und die russischen Positionen gerichtet“ gewesen. Das geht aus dem „Resümee zur Ukraine-Berichterstattung aus Protokoll 582“ hervor, das zuerst das Portal Telepolis von Heise Online veröffentlicht hatte.

Ein solches methodisches Vorgehen war in der Geschichte der Rundfunkanstalten absolut außergewöhnlich. Der Programmbeirat sah sich zu dem Schritt genötigt, weil die Bewertungen von Zuschauer und Sender hinsichtlich der Ukraine-Berichterstattung immer drastischer auseinanderklafften. Die ehrenamtlichen Mitglieder beobachten zehn „Brennpunkt“-Sendungen zur Ukraine-Krise, einige Talkshows sowie rund 30 Magazinbeiträge.

Weil die Inhaltsanalyse des Programmbeirats die erste vorliegende Studie zu dem Thema ist, wäre es wichtig, diese genauer zu untersuchen. Im Original soll die Untersuchung sogar 23 Seiten lang sein, heißt es bei Spiegel Online.

Der Rundfunkbeitragszahler sollte ein Recht darauf haben, sie einzusehen. Doch das ist nicht möglich: Der Beirat wies eine entsprechende Anfrage ab. Begründung: „Die Beratungen des Programmbeirats sind ebenso wie die Protokolle dieser Beratungen vertraulich.“ Die Protokolle würden daher nicht an die Öffentlichkeit weitergegeben.

Transparenz unerwünscht


Ausgerechnet jenes eine ARD-Gremium, das im Sinne des Zuschauers handeln soll, weist Nachfragen der Öffentlichkeit ab. Wohin man bei den Rundfunkanstalten auch schaut: Transparenz ist offenbar unerwünscht.

Damit allerdings schadet der Beirat nicht nur dem Ansehen der Öffentlich-Rechtlichen, sondern auch sich selbst. Spiegel Online etwa zweifelte in einem Beitrag offensichtlich an der Kompetenz der Protokollanten. Das Nachrichtenportal bezeichnete das neunköpfige Zuschauergremium als „sogenannte[n] ARD-Programmbeirat“ und betonte, dass es sich um ein „Laien-Gremium“ handelt.

Weil aus dem Protokoll nur Fetzen bekannt sind, bleiben unter dem Strich mehr Fragen als Antworten. Und diese Fragen erlauben es, die gesamte Inhaltsanalyse des Beirats anzuzweifeln. Spiegel Online schreibt etwa zu den im Juni formulierten Vorwürfen des Beirats, in den ARD-Beiträgen würden „Beweise für eine Infiltration der Krim durch russische Armeeangehörige“ fehlen: „Russlands Präsident Wladimir Putin hatte allerdings bereits im April den Einsatz seiner Militärs bestätigt.“

Der Spiegel-Online-Autor, übrigens ein Moskau-Korrespondent, verschweigt aber in seinem Artikel, dass der Zeitraum der Inhaltsanalyse Ende 2013 begann. Das sind vier Monate, vielleicht auch ein halbes Jahr, bevor Putin in der Fragestunde einräumte, dass auf der Krim auch russische Truppen standen. Das genaue Datum des Analysebeginns geht aus dem Abschlussprotokoll eben nicht hervor. Wo Spiegel Online versuchte, die Kritikpunkte an der Ukraine-Berichterstattung zu widerlegen, gab es ja kaum Angriffsfläche: Die Vorwürfe waren nur als kurze Spiegelstriche angeführt. Begründungen, Methoden – nichts davon ist bis zum heutigen bekannt.

Was also hat der ARD-Programmbeirat nun wirklich gesagt? Darf der Zuschauer den öffentlich gewordenen Vorwürfen glauben? Ist die Untersuchung überhaupt wissenschaftlich?

Bürgeranfragen werden abgebügelt


Dass öffentlich-rechtliche Sender eigentlich auf Bürgeranfragen antworten müssen, hatte sogar das Bundesverwaltungsgericht bejaht (Az.: BVerwG 7 B 30.12). Die Richter zwangen den WDR, Auskunft nach dem Informationsfreiheitsgesetz zu geben. Einen entsprechenden Hinweis von Cicero Online an den Programmbeirat wies dieser allerdings auch ab: Die ARD sei keine Behörde des Bundes, so dass das Gesetz nicht greife. Tatsächlich sind die neun Mitglieder des Gremiums von den Rundfunkräten der neun ARD-Landesrundfunkanstalten entsandt. Der Beirat agiert also irgendwo im rechtlichen Niemandsland.

Der Programmbeirat wies zudem darauf hin, dass das Bundesverwaltungsgericht den WDR nicht verpflichtet habe, „Informationen preiszugeben, die den journalistisch-redaktionellen Bereich betreffen“. Die Karlsruher Richter genehmigten nur Anfragen, die den WDR als Unternehmen und Verwaltungseinheit betrafen.

Mit dieser Klausel zieht sich der Sender bequem auf „das Redaktionsgeheimnis“ und „den Programmauftrag“ zurück. Man lässt sich nicht in die Karten gucken.

Auf diese Weise wird es nie eine objektive Datenbasis geben, um wirklich einzuschätzen, was an der Kritik im Ukraine-Konflikt dran ist.

Und so sind es tatsächlich Netzaktivisten und engagierte Bürger, die – wie am Mittwoch in den Tagesthemen – teilweise erfolgreich Beweise gegen die Rundfunkanstalten sammeln.

Es braucht jetzt dringend eine unabhängige, wissenschaftliche Analyse. Vor allem aber muss das Publikum weiter Druck auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten ausüben, um Transparenz herzustellen. Die Entschuldigung von Thomas Roth und Kai Gniffke kann man nur wirklich dann ernst nehmen, wenn die ARD auch das Ukraine-Protokoll des Programmbeirats veröffentlicht.

Update: Der Beitrag wurde um 15:06 aktualisiert und um die Informationen von Maren Müller ergänzt.

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