- Integration statt Kontrolle!
Wer dem Terror vorbeugen will, muss nicht in mehr Überwachung investieren – sondern in echte Integrationspolitik
Es sagt sich leicht nach den Bomben von Boston: Wir müssen unsere Freiheit schützen! Nur wie? Durch Einschränkung der Freiheit? Massiver Videoüberwachung? Höherem Polizei-Aufgebot? Extremer Internetauswertung? Alle Möglichkeiten werden stets diskutiert nach einem Anschlag. Und es gehört zur Freiheit, dass jede dieser Maßnahmen erwogen, geprüft und gründlich besprochen wird. Denn Radikale gibt es auch bei uns.
Die politische Debatte beschränkt sich bislang allerdings auf verschärfende Maßnahmen. Das ist fahrlässig, weil es weit mehr noch als gefährliche Radikale zahlreiche Nichtintegrierte gibt – auch bei uns. Die könnten aus Frust zu lebensgefährlichen Radikalen werden, so wie es die beiden tschetschenischen Brüder in den USA wurden. Weil die sich fühlten wie Versprengte, sprengten sie den über hundert Jahre währenden Frieden des Marathon-Volksfests in die Luft.
Wahre Gewalt-Prävention muss ansetzen lange bevor Verdächtige gefilmt und Rucksäcke gefilzt werden. Wirkliche Vorbeugung gelingt durch Maßnahmen, über die allzu oft gespottet wird: Integrationspolitik. Es geht dabei weder um eine neue Multikulti-Debatte noch um Leitkultur-Geschrei. Es geht um die Frage, was Deutschland es sich kosten lässt, um auch die engsten und wirrsten Hirne aufzuklären über Freiheit und Toleranz.
Die Bundesregierung finanziert jedes Jahr gut 30 Millionen Euro für Präventionsprogramme. Es waren Anschläge, die dazu führten. Hoyerswerda, Mölln, Rostock - Intolerante schockierten das wiedervereinigte Deutschland in den frühen Jahren nach der Wende. Meist reagierte das Volk da noch mit rührenden und zugleich weitgehend hilflosen Lichterketten-Aktionen.
Im Mai 2000 schließlich gründeten die Bundesministerien des Innern und der Justiz das „Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt“. Was freilich die Gewalt nicht unmittelbar stoppte. Nur zwei Monate später verletzte eine Rohrbombe auf dem Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn zehn Menschen schwer, darunter Russen, Juden, Muslime. Russenmafia oder Neonazis, so wurde vermutet. Doch von den Tätern fehlte – und fehlt – jede Spur. Als weitere drei Monate später eine Synagoge in Düsseldorf brannte, forderte Bundeskanzler Schröder einen „Aufstand der Anständigen“.
Ihm und der rot-grünen Bundesregierung wurde damals Aktionismus vorgeworfen. Geldverschwendung seien solche Kampagnen. Mag sein, dass manches nicht wirklich durchdacht war. Trotzdem begann so eine gute Tradition der gesamtstaatlichen Finanzierung von zahlreichen Modellprojekten zum Schutz der Freiheit.
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2001 schuf der Bund das Aktionsprogramm „Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“. Die große Koalition setzte es später unter ähnlichem Label fort: „Vielfalt tut gut. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung startete daraufhin vor zwei Jahren ihr Programm: „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“. Zuständig ist das Bundesfamilienministerium, das als Bundesprogramm ebenfalls die „Initiative Demokratie Stärken“ aufs Gleis setzte. Jedes Jahr werden 24 Millionen Euro für solche Maßnahmen ausgegeben. Ziel dabei ist, dass die demokratischen Tugenden möglichst schon in den Kindergärten gelehrt wird, wie die Fachleute sagen, „im präventiv-pädagogischen Bereich“.
Zusätzlich versucht das Bundesinnenministerium mit seinem Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ Vereinsmeier auf demokratischem Kurs zu halten. Ursprünglich wurde das Programm gegen Rechtsextremismus in Ostdeutschland konzipiert. Es setzt auf das bestehende Vereinsleben in strukturschwachen und dünn besiedelten Gegenden. Konkret werden im Heimatbund, bei der Freiwilligen Feuerwehr oder dem Sportverein sogenannte „Demokratietrainer“ ausgebildet. Sie sollen erkennen können, was überhaupt eine extremistische Gesinnung ist und wie man sie rasch und wirksam austreibt.
Bislang gibt es etwa 100 solcher Demokratietrainer. 500 sollen es einmal werden, doch mehr als acht Millionen Euro will der Bund für das Projekt nicht geben. Ganz enden werden wohl die meisten Xenos-Sonderprogramme, für die das Bundesarbeitsministerium zuständig ist. Das sind Projekte, die Rechtsextremen den Ausstieg aus der Szene ermöglichen sollen. Einzig das hoch gelobte Programm Exit wird wohl weitergeführt, aber auch nur, weil die Familienministerin sich persönlich dafür einsetzt.
Die politische Führung sollte sich jedes Kürzen und Streichen solcher Projekte sehr genau überlegen. Sie muss auch selbstbewusst reagieren auf Fragen nach konkretem Erfolg. Wie will man den bemessen? Prävention soll ja Schlimmeres verhüten. Wer weiß denn nach einem Grippeschutz, ob er auch ohne Impfung gesund geblieben wäre? Über 5000 Einzelprojekte zum Schutz der Demokratie wurden allein in der laufenden Legislaturperiode finanziert.
Das ist teuer. Das ist außerdem anstrengend, vor allem für die vielen Engagierten in den einzelnen Initiativen. Deren Arbeit ist noch dazu eine, die nie getan sein wird, die mit jedem Jahrgang von vorn beginnt. Aber das sollte es uns wert sein. Denn wie sagte Winston Churchill so treffend: „Democracy is the worst form of government – except for all those others that have been tried.“
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