- Tagebuch eines Teenies
Um ihre Ehre zu retten, rechnet Ex-First Lady Bettina Wulff nun ab, will den Rufmördern ein für alle mal das Handwerk legen. In ihrem Buch „Jenseits des Protokolls“ zieht sie dabei jedoch nicht nur das höchste Amt der Deutschen ins Banale
Warum bläst Bettina Wulff in die Glut, die kaum mehr glimmte? Erst jetzt entflammt doch richtig, was da im Netz zu versotten schien wie eine feuchte Zeitung im erlöschenden Kamin. Die Gerüchte über ihr vermeintliches Vorleben als Edelnutte hätten nach ihrem Rückzug ins Privatleben nicht mehr Feuer gefangen, wenn Bettina Wulff nicht selbst in ihnen stochern würde. Es sagt sich nur allzu leicht, dass sie dieses Buch nie hätte schreiben sollen.
Die Ex-Bundespräsidentengattin aber will eben gerade, dass die Flammen hochschlagen. Alles, was über sie gesudelt wurde, soll lichterloh verbrennen, um endlich in Asche zu zerfallen. Kein Buchstabe soll übrig bleiben von den Verleumdungen im Internet. Den Rufmördern will sie ein für alle Mal das Handwerk legen. „Gern hätte ich dies bereits getan, als mein Mann noch Bundespräsident war“, schreibt sie am Ende des Buchs, das treffend „Jenseits des Protokolls“ heißt. Aber sie habe sich „zusammengerissen“, der „Schaden für das Amt und auch das Land wäre zu groß gewesen“.
Bettina Wulff hat hier Demut und Mut zugleich bewiesen: Demut, weil sie sich nicht gegen anonyme Schlammwerfer wehrte, solange sie noch Frau des höchsten Deutschen war. Und Mut, weil sie es nun doch wagt – als Bürgerin Wulff, als Ehefrau, Tochter, Schwester und Mutter. Beides hat Würde. Doch reicht das simple Dementi, dass sie eben doch nicht aus dem Rotlicht stamme, kaum zum Füllen eines Buches aus.
„Die Gerüchte“ nehmen dann auch nur eines von 16 Kapiteln ein, dessen acht Seiten die stärksten des Buchs sind. Auf den restlichen 215 Seiten aber zieht Bettina Wulff Großes ins Banale – ihre Rolle als Präsidentengattin, die des Politikers Christian Wulff sowie das höchste Amt der Deutschen. Denn was sie schreibt, liest sich in weiten Teilen wie das Tagebuch eines Teenies.
Offenherzig berichtet sie, wie patschig der spätere Bundespräsident sie anbaggerte, vom Erheischen ihrer Visitenkarte bis zum SMS-Beschuss, der ihr offenbarte: „Der will doch was von dir.“ Schließlich der Heiratsantrag in einem „Beachclub“ auf Mallorca: „Ich war total gerührt“. All das gibt dem Vorleben des zehnten Bundespräsidenten den Anstrich einer Vorabendserie – und kratzt damit am Renommee der Republik.
Über ihre 598 Tage als First Lady schreibt Bettina Wulff wie eine Unglückliche aus dem Sommercamp: „Das Dasein als Gattin des Bundespräsidenten, es war total abgekoppelt von dem Leben, das Leander, Linus und ich in Großburgwedel führten. (…) Ich fühlte mich nicht privat, nicht richtig relaxt (…) wer da plötzlich alles etwas von einem möchte“. Die Rundum-Bewachung durch Sicherheitsbeamte habe zuweilen auch nachts das Eheleben beeinflusst: „Na, dann muss man ja verdammt leise sein, bei allem, was man so tut. Vielleicht sind die Wände ja doch nicht so dick.“ Sollten wir das wirklich erfahren über das höchste Staatsorgan?
Bettina Wulff aber will, „dass die Menschen mich sehen, wie ich bin: als eine ziemlich normale Frau“, ohne Gier nach Glamour, Luxus und Ruhm. Um das zu erreichen, geht sie über ihre Karteileichen: Ausführlich schildert sie ihre Partner vor Christian Wulff: einen Sylter Rettungsschwimmer, „nicht mit dem schlechtesten aller Bodys“; einen 15 Jahre älteren Besitzer eines Fitnessstudios sowie einen Immobilienmakler. „Ein bestimmter Typ ‚Mann‘, der mich besonders anzieht, gab und gibt es aber nicht. So stand ein Christian Wulff auch nicht auf einer Liste von wegen ‚Haben wollen‘ beziehungsweise habe ich ihn nicht von vornherein ausgeschlossen.“ Dass ein Verlag solche Sätze druckt, die höchstens über einen Prosecco hinweg gesprochen werden dürften, ist schade für den Leser und schädlich für das Ansehen von Frau Wulff.
Am Abend des 1. Juni 2010 wurde Christian Wulff von Angela Merkel im Bundeskanzleramt gebeten, Nachfolger von Horst Köhler zu werden. Seine Frau, wie wir von ihr erfahren, verbrachte die Wartezeit in einem privaten Klub in Berlin, dem „Soho House“. An ihrer Seite war ausgerechnet David Groenewold. „Fast paradox, wenn man den weiteren Verlauf der Geschichte kennt und somit weiß, dass es die Freundschaft zu David Groenewold beziehungsweise Vorwürfe im Zusammenhang mit ihm waren, die Christian letztlich zum Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten bewogen.“
Seite 2: An entscheidenden Stellen fehlt jede Aufklärung
Paradox, also widersinnig, erscheint eben das genau aber nicht. Sondern symptomatisch, also bezeichnend für das Schicksal Wulffs. Dieser Freund scheint die kurze Amtszeit vom hoffnungsfrohen Anfang bis zum jähen Ende überschattet zu haben. Nachts im Klub erfuhr Groenewold neben Bettina Wulff als Erster vom geplanten Spitzenwechsel des Landes. „Christian war sehr aufgewühlt, auch David Groenewold fand die Neuigkeit schlichtweg sensationell.“ Keineswegs außergewöhnlich hingegen fand Bettina Wulff, dass ihr Mann Groenewolds vormalige Hotelbuchungen auf Sylt für sie beide in bar erstattet habe.
An entscheidenen Stellen fehlt jede Aufklärung. Der langjährige und urplötzlich entschwundene Wulff-Vertraute Olaf Glaeseker wird kein einziges Mal namentlich erwähnt. Zum „einstigen Sprecher meines Mannes“ und den Amtsmissbrauch-Vorwürfen gegen den Ministerpräsidenten Wulff werde sie nichts sagen, „weil es mich nicht betrifft. Punkt. Ich habe damit nichts zu tun. Punkt“. Den wütenden Anruf des Bundespräsidenten auf der Mailbox des Bild-Chefs rechtfertigt sie als „menschlich“, auch wenn es „ein riesengroßer Fehler“ gewesen sei. Sie beschreibt den Vorfall, als sei sie nicht dabei gewesen. Kritisch räumt sie grundsätzlich ein, dass es wohl besser gewesen wäre von ihrem Mann, „sich einmal umfassend zu erklären“ anstatt „peu à peu auf die Vorwürfe zu reagieren“.
Ernüchtert gibt sich Bettina Wulff darüber, dass keine echten Freundinnen zu finden gewesen seien unter den Gattinnen anderer Staatsoberhäupter. Aufgekratzt berichtet sie von einem 30-Minuten-Treffen mit Michelle Obama und angetan von der Kanzlerin, die ihr das Du angeboten habe. „Angela Merkel ist für mich eine wahnsinnig beeindruckende, straighte Frau. Ich finde, sie strahlt so eine ganz eigene Coolness aus, die ich an ihr bewundere.“ Nach dem Rücktritt Wulffs habe die Kanzlerin ihr ein Treffen in Berlin angeboten, „einfach so“.
Den Abend vor dem Rücktritt beschreibt sie ausführlich: „Ich überlegte auch sehr genau, was ich an dem folgenden Tag anziehen werde. Mehr als bei allen anderen Events war mir dies wichtig.“ War der Rücktritt des Bundespräsidenten nur ein „Event“? Bettina Wulff hat eine Sicht auf das Erlebte, die verblüfft. „Es sollte etwas Schlichtes sein, nicht zu edel und aufgesetzt. Es sollte etwas sein, in dem ich mich sicher und wohlfühle. (…) Schnell fiel die Wahl auf eines meiner Lieblingskostüme von Rena Lange.“ Und so geht das noch weiter und weiter.
Ja, Bettina Wulff ist eine ziemlich normale Frau. Sie wäre jedem von uns eine verlässliche, hilfsbereite Nachbarin, hübsch angezogen noch dazu. Für den höchsten Begleitposten – und somit zwangsläufig als hohe Repräsentantin des Landes – aber scheint sie schlicht zu naiv gewesen zu sein. „Leicht genervt“ sei sie gewesen, als ihr Mann ihr den ersten Entwurf seiner Rücktrittserklärung vorlas. „Warum konnte er nicht einfach nur sagen: ‚Ich trete zurück!´, und der Drops war damit gelutscht. Nein. Stattdessen wurde jedes Wort dreimal überdacht“, regt sich Bettina Wulff auf. Es scheint wirklich so, als habe die Präsidentengattin gar nicht gemerkt, dass sich gerade eine Staatskrise auftat.
Beim Rücktritt ihres Mannes hatte sie erhaben gewirkt, hinterließ fast den Eindruck mythischer Stärke und Weisheit. Nun gibt sie „innere Leere“ zu, die sie gespürt habe, und Verachtung der „Medienmeute, die da vor mir kniete und stand“. So verständlich diese Gefühle sind, so unklug ist es, sie rückwirkend preis zu geben. Bettina Wulff hatte an der Seite des Präsidenten eine Strahlkraft, die sogar über den trüben Rücktritt ihres Mannes weiter wirkte. Es ist sehr die Frage, ob sie auch über dieses Buch hinausreicht.
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