- Stiefkind des Verwaltungsalltags
Es ist eines der edelsten Rechte zur Bekämpfung von Korruption: das Informationsfreiheitsrecht. Fast sieben Jahre nach seiner Einführung reagieren aber Bürger, Verwaltungen und Journalisten noch immer recht verhalten. Das zeigt das Gesetz, das Thüringen gerade verabschiedet hat
Die große Totalitarismusforscherin Hannah Arendt, deren bewegende Biografie ab Januar in den Kinos zu sehen ist, sagte einmal diesen klugen Satz: „Meinungsfreiheit ist eine Farce, wenn die Information über die Tatsachen nicht garantiert ist.“
Fakten – Wissen – sind für die Meinungsbildung in einer Demokratie schlicht konstitutiv. Das gilt insbesondere, wenn es um das manchmal undurchsichtige Handeln von Regierung und Verwaltung geht.
2006 sollte ein Gesetz etwas Licht in dieses Dunkel bringen: das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes. Deutschland kam damit reichlich spät – die meisten europäischen Länder waren schneller; Schweden hat ein solches Recht sogar schon seit dem 18. Jahrhundert.
Lange Zeit weigerten sich die Verwaltungen, ihre internen Vorgänge offenzulegen. Doch Großprojekte wie Stuttgart 21 haben einen Denkprozess angestoßen; die „Wutbürger“ wollen sich nicht mehr alles gefallen lassen. Manche Behörden haben die Flucht nach vorn angetreten – etwa Hamburg, das im Oktober ein vorbildliches Transparenzgesetz erließ.
Ein Musterkind bürokratischer Transparenz ist Deutschland damit aber noch lange nicht. Denn das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) wird von diesen Ausnahmen abgesehen nach wie vor stiefmütterlich behandelt.
Vordergründig sprechen die Zahlen eine andere Sprache. Im Jahr 2011 haben sich zwar die Anfragen an Bundesbehörden von 1.557 auf 3.280 verdoppelt. „Doch diese Steigerung ist zu einem erheblichen Teil darauf zurückzuführen, dass sich nach der Bankenkrise vor allem Anwälte an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht gewandt haben“, sagt Klaus Gronenberg, Referatsleiter beim Bundesinformationsfreiheitsbeauftragten Peter Schaar. Journalisten hätten dabei „definitiv nicht“ die Mehrheit der Anträge gestellt.
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Ausgerechnet jene Gruppe also, die von Berufs wegen kritisch nachfragen soll. Ihnen bietet das Gesetz eigentlich ein scharfes Schwert. Gronenberg weist darauf hin, dass Journalisten sich oftmals nur auf den presserechtliche Auskunftsanspruch berufen. „Das Informationsfreiheitsgesetz verpflichtet Behörden aber auch zur Herausgabe von Verwaltungsdokumenten und nicht nur zu einer bloßen Auskunft”, sagt der Experte.
Dass auch viele Bürger so zaghaft bei Behörden anklopfen, könnte mit der hiesigen Kultur zusammenhängen, sagt Heike Mayer von Transparency International. Die Verwaltung als Service, der Bürger als Souverän, dieses Denken habe sich in den Amtsstuben noch nicht überall durchgesetzt. „Der Untertanengeist wirkt da oft noch nach.“ Zum Vergleich: In den USA gebe es jährlich bis zu 600.000 Anfragen. Besonders niedrig seien die Anfragen in Ost-Ländern wie Brandenburg oder Thüringen. „Viele Verwaltungen tun wenig, um die Bürger über ihr Recht zu informieren.“
Seite 2: Warum MDR-Journalisten in Thüringen keinen Auskunftsanspruch haben
Wenn sie dieses überhaupt einräumen. Fünf von 16 Bundesländern haben bis heute kein Informationsfreiheitsgesetz: Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Sachsen. Fast überall sind CDU/CSU-geführte Kabinette die Blockierer. Außer im Ländle: Die grün-rote Regierung von Winfried Kretschmann hatte sich die Einführung eines solchen Gesetzes vor anderthalb Jahren eigentlich in den Koalitionsvertrag geschrieben. Passiert ist bis heute nichts.
Dabei sind die Grünen sonst wichtige Treiber, wenn es um Behördentransparenz geht. Etwa in Thüringen: Dort sollte das bestehende Informationsfreiheitsgesetz durch ein neues, deutlich schlechteres ersetzt werden. Opposition und Verbände hatten monatelang dagegen protestiert. Sie erreichten nur wenige Änderungen. Die Grünen schlugen vor, das alte Gesetz erst einmal zu verlängern und in einem wirklich transparenten Verfahren auch Bürger einzubeziehen. Vergeblich. Am 14. Dezember verabschiedete der Landtag mit den Stimmen der schwarz-roten Koalition den Gesetzentwurf. Das Papier kam still und leise, wie der Grinch kurz vor Weihnachten. Ein Rückschritt im Kampf für mehr Offenheit.
Der Gesetzentwurf enthält zahlreiche Ausnahmetatbestände – und könnte nach Ansicht der Grünen sogar gegen EU-Recht verstoßen. Außerdem droht das uneingeschränkte Kostendeckungsprinzip Bürger abzuschrecken, die unverhältnismäßig zur Kasse gebeten werden.
Thüringen soll auch einen Landesbeauftragten für die Informationsfreiheit bekommen. Doch seine Kontrollbefugnisse laufen ins Leere – de facto ist er ein zahnloser Tiger.
Der Deutsche Journalistenverband weist auf einen weiteren Passus aus Absurdistan hin. Demnach hätten juristische Personen des öffentlichen Rechts unter Staatsaufsicht keinen Auskunftsanspruch. „Das trifft die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten“, sagt Landeschefin Anita Grasse. Zwar könnten die öffentlich-rechtlichen Journalisten in der Praxis als Privatpersonen um Akteneinsicht bitten. Der MDR-Mitarbeiter kann als Bürger die Auskunft über Informationen beantragen, hat aber auf die gleiche Information als MDR-Mitarbeiter keinen Anspruch. Nur als Bürger ist er anspruchsberechtigt. „Das ist handwerklich stümperhaft“, rügt Grasse.
Die CDU-Landtagsfraktion versichert auf Cicero-Online-Anfrage, die Presse- und Rundfunkfreiheit bleibe durch das Gesetz unberührt. Auch der Mitteldeutsche Rundfunk als wichtigste öffentlich-rechtliche Anstalt vor Ort sieht sich nicht betroffen. Der Sender habe sich nicht in den Gesetzgebungsprozess eingeschaltet. Stattdessen berichtete der MDR am Tag der Abstimmung darüber, dass der „Gesetzentwurf im Innenausschuss an entscheidenden Punkten zugunsten von Bürgern und Medienvertretern geändert worden“ war. Zahnlose Tiger also auch in den Reihen der Journalisten?
Dabei hatte der Vorschlag für das neue Informationsfreiheitsgesetz sogar den Bundesbeauftragten Peter Schaar erzürnt. In einer Stellungnahme zum Erfurter Gesetzentwurf zweifelt seine Behörde auch an den darin enthaltenen Veröffentlichungspflichten. Diese „sind im Wesentlichen als bloße Soll-Vorschriften ausgestaltet und gehen nicht über die gleichfalls schwächlichen Regelungen im IFG des Bundes hinaus“. Eine schallende Ohrfeige – übrigens auch für die Bundespolitik.
Zudem herrscht dort momentan noch ein Verwirrspiel: Für Umwelt- und Verbraucherthemen gibt es jeweils eigene Informationsrechte. Ombudsstellen und Kontrollrechte wie im Informationsfreiheitsgesetz jedoch nicht. Als Schaar anbot, die Ombudsfunktion zu übernehmen, traf er auf Widerstand. Bei der gesetzlichen Neuregelung wurde dieser Vorschlag nicht aufgegriffen. Nach wie vor gibt es auf Bundesebene drei Informationszugangsgesetze – aber keine zentrale Anlaufstelle für ratsuchende Bürger. Das Rätsel, wer wofür zuständig ist, müssen sie schon selbst lösen.
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