- Die wichtigsten Thesen des Kanzlerkandidaten
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sprach zu Gast beim Tagesspiegel über die NSA-Affäre, eine mögliche Rot-Grüne Koalition, Gerechtigkeit in Deutschland und die DDR-Sozialisation der Kanzlerin. Seine wichtigsten Wahlkampf-Aussagen im Überblick
Am Ende gab sich Peer Steinbrück enttäuscht. „Ich dachte, es geht bis 16 Uhr hier“, flachste der Politiker, als Stephan-Andreas Casdorff und Lorenz Maroldt um zwanzig nach zwölf das Ende des Kandidaten-Talks ankündigten. Steinbrück hatte zuvor den Tagesspiegel-Chefredakteuren und dem Publikum eineinviertel Stunden lang Auskunft über seine Person und sein Programm gegeben. Danach stand er noch für direkte Fragen zur Verfügung . Die wichtigsten Thesen im Überblick.
NSA/USA
Die vergangenen Wochen schien es, als greife der SPD-Kandidat die Regierung im Zusammenhang mit der Spähaffäre eher pflichtschuldig an.
Am Sonntag aber sprach Steinbrück mit Leidenschaft. „Wir dürfen nicht zu Mitteln greifen, die exakt die Werte angreifen, die wir verteidigen“, mahnte er. Die rot-grüne Bundesregierung nahm Steinbrück gegen den Vorwurf in Schutz, sie habe gegenüber den USA ähnlich agiert wie heute Schwarz- Gelb. Seit der Regierung Schröder, in der etwa Frank-Walter Steinmeier als Kanzleramtschef Verantwortung für Geheimdienstaktivitäten trug, habe sich „radikal etwas geändert“, konstatierte der Redner: „Im Zuge der digitalen Revolution haben wir es mit Quantensprüngen zu tun, das ist eine Entwicklung der vergangenen vier bis fünf Jahre.“
US-Präsident Barack Obama, so erinnerte sich Steinbrück, habe er beim Treffen Ende Juni in Berlin die „besondere Sensibilität“ der Deutschen erklärt. Was der Ex-NSA-Mitarbeiter Snowden der Öffentlichkeit vorgelegt habe, sei zum damaligen Zeitpunkt aber „noch nicht bekannt“ gewesen, behauptete der Gast. Steinbrück selbst hatte das Thema NSA in dem Protokoll der Unterredung mit Obama nicht erwähnt, das er damals auf seiner Homepage veröffentlichte. Steinbrück verwies nun auf wenige Tage alte Umfrage-Ergebnisse, wonach die Wähler die NSA-Affäre zu den wichtigsten drei Themen zählten.
Rot-Grün
Die Festlegung der SPD auf die Grünen als Koalitionspartner erklärte Steinbrück nicht mit kultureller Nähe oder gemeinsamen Erfahrungen, sondern mit nüchterner politischer Logik: „Das ist die maximale Übereinstimmung an Positionen, die wir finden können.“ Koalitionen seien schließlich keine Liebesheiraten, sondern Zweckbündnisse auf Zeit.
Große Koalition
Im Umgang mit der Amtsinhaberin verfolgte der Kandidat eine Doppelstrategie: Politisch griff er Merkel scharf dafür an, dass sie das Land angeblich nur verwalte: „Sie unterfordert und lullt weite Teile dieser Bevölkerung ein nach dem Motto: Es wird schon alles gut.“ Auf persönliche Attacken gegen die populäre Regierungschefin verzichtete er weitgehend. So antwortete er auf die Frage, ob sein Respekt vor dem Amt des Kanzlers auch für Merkel gelte: „Ich habe gar keine Mühe zu sagen, dass ich auch davor Respekt habe.“
Europa
Steinbrück spricht Merkel Leidenschaft für Europa ab – mit dem Argument, sie sei in der DDR sozialisiert worden. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe wandte sich daraufhin am Sonntagabend an den Tagesspiegel. „In ganz Europa, ja weltweit, erfährt Angela Merkels Einsatz für ein starkes Europa höchste Wertschätzung“, sagte er. Vollends unannehmbar sei Steinbrücks Begründung für seine Behauptung, Merkel fehle es an Leidenschaft für Europa – sie beleidige Millionen Menschen in der ehemaligen DDR und in ganz Mittel- und Osteuropa, sagte Gröhe. „Von der Europabegeisterung in Dresden und Leipzig, aber auch in Warschau, Prag und Budapest, kann sich so mancher Westeuropäer eine Scheibe abschneiden.“ Steinbrück sollte sich „für seine Entgleisung schleunigst entschuldigen“, forderte der CDU-Generalsekretär.
Bereits 2011 hatte Steinbrück in einem in Buchform erschienenen Gespräch mit Ex-Kanzler Helmut Schmidt Merkel vorgeworfen, dass es ihr an Leidenschaft für Europa fehle und einen Bezug zu ihrer DDR-Vergangenheit hergestellt. „Es ist eine spannende Frage, ob sie (die Leidenschaft, Anm.d. Redaktion) ihr deshalb nicht innewohnt, weil sie in der DDR sozialisiert worden ist und ihr das Projekt Europa von daher vielleicht fernersteht als einem westdeutschen Politiker, der das immer verfolgt oder sogar aktiv betrieben hat“, heißt es in dem Buch „Zug um Zug“ auf Seite 87.
Im Kampf gegen die Eurokrise nimmt Steinbrück unterdessen für sich in Anspruch, den Wählern die Wahrheit über drohende finanzielle Belastungen für deutsche Steuerzahler zu sagen. Da die Fortführung des „Zivilisationsprojektes“ Europa für ihn in elementarem deutschen Interesse sei, befürwortete Steinbrück weitere deutsche Garantien oder Zahlungen, wobei er deren Höhe nicht beziffern wollte. Zwar sei die Konsolidierung der Staatsetats in Krisenländern wichtig, diese dürfe aber „nicht in tödlicher Dosis“ verabreicht werden und Volkswirtschaften in eine Abwärtsspirale treiben, warnte er. Der Kandidat kündigte an, er wolle Stabilität in Europa mit einem Paket von Initiativen sichern. Im Einzelnen nannte er Anreize für die Wirtschaft kränkelnder EU-Länder durch „eine Art Marshallplan“, eine strenge Regulierung der Banken, die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa sowie die Schließung von Schlupflöchern, die es internationalen Konzernen ermöglichen, legal Steuern zu vermeiden.
Die Europäische Zentralbank (EZB) verteidigte der Kandidat gegen den Vorwurf, ihre Politik sei nur mangelhaft demokratisch legitimiert. Die SPD gehe gegen ein mögliches Demokratiedefizit nicht vor, „weil wir in einer sauschwierigen Situation sind“, meinte er. Die EZB dürfe als „einziger handlungsfähiger Akteur“ in der Krise auch nicht durch den Versuch einer parlamentarischen Kontrolle geschwächt werden.
SPD
Vor allem als Mann der Exekutive und eben nicht als leidenschaftlicher Parteipolitiker hatte Steinbrück bis zu seiner Ausrufung als Kanzlerkandidat im Herbst 2012 seinen politischen Weg gemacht – und mit seiner Partei ging er häufig hart ins Gericht. Nach der Bundestagswahl 2009 attestierte er der SPD etwa, sie wolle sich nicht verändern, sondern sehne sich „nach gefühltem Gestern“. Inzwischen, so sagte der Kandidat, habe sich „etwas geändert“ in seinem Verhältnis zur SPD. „Ich habe allen Anlass, dankbar zu sein für Unterstützung in schwieriger Zeit“, meinte er. In einem wichtigen Punkt bleibt womöglich eine Differenz zu vielen anderen Genossen: „Was ich nie verstanden habe, ist diese defensive, verschüchterte Art der SPD gewesen, mit der Agenda 2010 umzugehen.“
Gerechtigkeit
Deutschland sei zwar „kein ungerechtes Land“, aber es werde „ungerechter, und die Fliehkräfte nehmen zu“, meinte der Kandidat. Als Belege für seine These führte er an: Fast acht Millionen Deutsche müssten für einen Stundenlohn von weniger als 8,50 Euro arbeiten, das deutsche Bildungssystem sei auch nach dem Urteil internationaler Experten sehr undurchlässig, es gebe in keinem anderen Land eine größere Differenz in der Bezahlung von Frauen und Männern für die gleiche Tätigkeit, während in den vergangenen zehn bis 15 Jahren „die Reicher immer reicher geworden und die Ärmeren auf dem gleichen Niveau geblieben oder sogar ärmer geworden sind“. Dies gefährde „den Zusammenhalt und die innere Friedfertigkeit“ der Gesellschaft. Deshalb müssten auch die Besserverdienenden durch höhere Steuern einen Beitrag leisten. Der Kandidat drückte es so aus: „Diejenigen im Penthouse müssen ein Interesse daran haben, dass das Haus gute Aufzüge hat, gute Treppenhäuser und gute Kindergärten.“
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