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Regierungsbildung - Grüne Angst

Die Grünen haben die Sondierungsgespräche mit CDU und CSU für gescheitert erklärt, aus Angst vor der eigenen Courage. Die Absage an Schwarz-Grün ist ein strategischer Fehler, der sich rächen wird

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Von der Zukunft dieser Gesellschaft haben die Grünen eine ziemlich klare Vorstellung. Ökologischer soll es in Deutschland zugehen, demokratischer und gerechter. Der Strom soll erneuerbar sein, Schwule und Lesben sollen Kinder adoptieren dürfen und Flüchtlinge menschenwürdig behandelt werden. Donnerstags sollen die Deutschen kein Fleisch essen.

An großem Selbstbewusstsein und etwas Überheblichkeit hat es den Grünen in den letzten 25 Jahren nie gemangelt, wenn es darum ging, ihre politischen Ideen zu propagieren. Aber mit der richtigen Mischung aus Moral, Visionen und Bevormundung waren sie erfolgreich.

Die Grünen geben machtpolitische Schlüsselrolle auf


Beharrlich haben die Grünen und ihre Anhänger ein Vierteljahrhundert lang gegen Atomkraftwerke demonstriert. Jetzt wird eines der größten Industrieländer der Welt in einem historisch beispiellosen technischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Experiment auf Ökostrom umgestellt. Und selbst wenn sich die Grünen bei der Bundestagswahl ein paar mehr Prozente erwartet hatten, waren sie am 22. September zumindest so erfolgreich, dass ihnen nach dem Tod der FDP im bundesdeutschen Parteiensystem eine machtpolitische Schlüsselrolle zugefallen ist. 

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Um so erstaunlicher ist es, wie kleinmütig und verzagt die Grünen in dieser Woche eine vielleicht einmalige historische Chance verspielt haben. Ohne Not haben sie am Dienstagabend die Sondierungsgespräche mit CDU und CSU für gescheitert erklärt, ohne Not haben sie ihre machtpolitische Schlüsselrolle aufgegeben.

Ohne Not haben sich die Grünen kleingemacht.

Schwarz-Grün hätte eine Reformkoalition des Aufbruchs werden können


Schwarz-Grün hätte eine Chance werden können, ein politischer Aufbruch jenseits der alten Lagerlogik, jenseits einer lähmenden Großen Koalition. Und offenbar gab es bei der Union die ernsthafte Bereitschaft, die Chancen und die Kompromisslinien eines schwarz-grünen Bündnisses auszuloten. So nah wie in diesem Oktober sind sich Union und Grüne noch nie gekommen.

Die Grünen hätten zum Motor einer ökologisch-bürgerlichen Reformkoalition werden können, die dieses Land modernisiert. Mit Schwarz-Grün hätte sich die Partei zudem neue Wählerschichten jenseits des linken Lagers, wo sich derzeit drei Parteien gegenseitig auf den Füßen stehen, erschließen können.

Doch statt die Christdemokraten mit einem Zukunftsprogramm zu locken, bei dem diese nur mit Gesichtsverlust hätten Nein sagen können, präsentierten die Grünen der Union in der zweiten Sondierungsrunde ihre beim Wähler durchgefallenen Steuererhöhungspläne.

Statt mutig nach vorne zu blicken, klammerten sie sich ängstlich an die Vergangenheit. Zugleich verhedderten sich die Grünen in innerparteilichen Grabenkämpfen. Politische Führung Fehlanzeige.

Kein Grund für Abbruch der Gespräche mit der Union


Der Verweis auf die skeptische Basis ist im Übrigen wohlfeil. Eine Partei, die die Bundeswehr in alle Welt geschickt, die die Hartz-Reformen durchgesetzt und einen Innenminister Otto Schily im Antiterrorkampf gestützt hat, hat ihre Leidensfähigkeit bereits unter Beweis gestellt. Mehr Kröten als bei Rot-Grün unter Kanzler Schröder zwischen 1998 und 2005 hätten die Grünen vermutlich auch im Bündnis mit CDU und CSU nicht schlucken müssen.

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Natürlich konnte man in den letzten Tagen den Eindruck haben, dass Angela Merkel ein Bündnis mit der SPD bevorzugt. Natürlich lag der Verdacht nahe, dass die Union die Grünen nur benutzen wollten, um die SPD in den Sondierungsgesprächen unter Druck zu setzen. Natürlich hätte Schwarz-Grün fast den gesamten Bundesrat gegen sich gehabt. Aber es gab für die Grünen trotzdem keinen Grund, die Tür zur Union einfach zuzuschlagen.

Die Grünen hängen wieder am Rockzipfel der SPD


Und selbst wenn CDU und CSU tatsächlich nicht gewollt, sich die Schwesterparteien nicht getraut hätten, wäre es strategisch klüger gewesen, Merkel die Absage an Schwarz-Grün formulieren zu lassen und mit offenen Armen zurückzubleiben. Das wäre ein starkes politisches Signal gewesen, mit dem die Grünen ihre machtpolitische Schlüsselrolle auch in der Opposition gestärkt hätten. Stattdessen hocken sie nun in der Schmollecke. Sie haben einen strategischen Fehler gemacht, der sich rächen wird.

Zwar verwies der Partei-Chef Cem Özdemir darauf, die Tür zur Union sei nun nicht auf alle Zeit „zugenagelt mit Nägeln, die man nicht rauskriegen kann". Aber zunächst einmal hängen die Grünen nun wieder am Rockzipfel der SPD und sie müssen zuschauen, wie andere das Land nach ihren Vorstellungen gestalten. Ob es eine zweite Chance für Schwarz-Grün gibt, ist völlig offen.

Und wer schon mal Nägel wieder aus einer Tür herausgezogen hat, der weiß: Nicht nur die Nägel werden dabei krumm, auch in der Tür bleiben hässliche Löcher zurück.

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