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Siegfried Kauder - Allein gegen den Parteienstaat

Nicht die Wähler entscheiden, wer Bundesabgeordneter wird, sondern die Parteien. Wer sich diesem Privileg des Parteienstaates entgegenstellt, der bekommt dessen Macht zu spüren.

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Es war ein „kalter Putsch“, sagt Siegfried Kauder. Seit elf Jahren sitzt der Christdemokrat im Bundestag. Doch am 22. September ist Schluss. In seinem Wahlkreis Schwarzwald-Baar wurde der 62-jährige Jurist nicht wieder nominiert. Stattdessen kandidiert dort im Süden Baden-Württembergs für die CDU nun Thorsten Frei. Der 23 Jahre jüngere Oberbürgermeister von Donaueschingen erhielt auf dem Nominierungsparteitag in der Stadthalle von Bräunlingen im November vergangenen Jahres 503 Stimmen, Kauder hingegen nur 230. Das Bundestagsmandat ist Thorsten Frei schon jetzt sicher, denn die Region ist eine Hochburg der CDU. Seit 1949 hat die Partei hier immer das Direktmandat gewonnen.

Auf den ersten Blick sieht das Ganze wie ein ganz normaler innerparteilicher Vorgang aus. Wie ein Generationenwechsel, der nicht ganz reibungslos verläuft, bei dem sich aber am Ende der Jüngere durchsetzt. Siegfried Kauder spricht nun von Mobbing und von manipulierten Abstimmungen, von „unchristlicher Trickserei“. Doch gleichzeitig wirft der Streit an der CDU-Basis ein Schlaglicht auf den Parteienstaat und die Privilegien der Parteien im bundesdeutschen Parlamentarismus.

Der Streit in der südwestdeutschen Provinz schlägt mittlerweile hohe Welle und sorgt selbst in Berlin für Schlagzeilen. Das liegt am unterlegenen Siegfried Kauder. Mit der Niederlage an der Basis will sich der Bundestagsabgeordnete nicht abfinden. Stattdessen kandidiert er in dem Wahlkreis nun als Einzelkandidat. Kauder will sein „demokratisches Recht“ wahrnehmen und bringt seine Partei damit in Not.

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Jetzt droht Siegfried Kauder der Parteiausschluss wegen parteischädigendem Verhalten. Das Parteistatut lasse ihm keine andere Wahl, sagt der CDU-Kreisvorstand. Besonders pikant wird die Angelegenheit auch deshalb, weil sein älterer Bruder Volker Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag ist. Der große Kauder hat bereits sein OK zum Parteiausschluss gegen den kleinen Kauder gegeben: „Daran führt kein Weg vorbei.“

Eigenwillig sei Siegfried Kauder, autistisch und ein Quertreiber, sagen seine Kritiker. Auch in der Bundestagsfraktion provoziere dieser gerne. Doch Siegfried Kauder fordert nun nicht nur die CDU heraus, sondern auch den Parteienstaat. Seit 45 Jahren ist Kauder CDU-Mitglied. Freiwillig will er seine Partei nun nicht verlassen – und ein Parteiausschlussverfahren kann lange dauern. Und ob das Statut einer Partei über dem durch das in Artikel 38 Grundgesetz garantierte passive Wahlrecht steht, ist für Verfassungsrechtler sicherlich eine sehr interessante Frage.

Vermutlich würde Siegfried Kauder aus jeder Partei herausfliegen. Denn CDU, CSU, FDP, SPD, Grüne und Linke reagieren gleichermaßen allergisch, wenn sich Mitglieder im Wahlkampf gegen sie stellen, wenn sie zur Wahl einer anderen Partei aufrufen oder gar für eine andere Partei kandidieren. Dann findet der innerparteiliche Meinungspluralismus schnell seine Grenzen. Dann lassen alle Parteien ihre Macht spielen und schlagen mit dem Parteistatut zurück.

Der ehemaliger SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement etwa kam vor drei Jahren einem möglichen Parteiausschluss durch Austritt zuvor. Er hatte im Landtagswahlkampf im Januar 2008 in Hessen indirekt zur Wahl der FDP aufgerufen, und sich im anschließenden Parteiausschlussverfahren vergeblich auf die durch das Grundgesetz geschützte Meinungsfreiheit berufen. Aus der aktiven Politik hatte sich Clement zu diesem Zeitpunkt schon zurückgezogen. Auch Siegfried Kauder kann es sich nur leisten, sich gegen die CDU zu stellen, weil er seine politische Karriere hinter sich hat.

Auf seine alten Tage profiliert sich Kauder plötzlich als Kritiker der stromlinienförmigen Parteien. Viele Abgeordnete würden Gesetze nicht lesen, sondern durchwinken, die Gesetzes-Vorschläge der Regierung nur abnicken und damit ihre Kontrollfunktion aufgeben, sagt der Vorsitzende des CDU-Rechtsausschusses. Seine Partei sei zu wenig basisdemokratisch, den einfachen Parteimitgliedern müsse man mehr Rechte einräumen. Außerdem legte er eine beeindruckende Wende beim Thema Abgeordnetenbestechung hin: Während er entsprechende Kontrollvorgaben jahrelang abgelehnt hatte, gab er sich zuletzt als wackerer Anti-Korruptions-Kämpfer im Bundestag.

Wer hingegen in der Politik noch etwas werden will, der wird sich kaum trauen, lautstark auf verkrustete innerparteiliche Strukturen, auf programmatische Fehlentwicklungen oder die Missachtung der Parteibasis zu verweisen. Denn wer Landtags- oder Bundestagsabgeordneter wird, das entscheiden in den allermeisten Fällen nicht die Wähler, auch nicht die einfachen Parteimitglieder, sondern die Parteifunktionäre. Sie nominieren die Direktkandidaten und kungeln die Reihenfolge der Namen auf den Landeslisten aus. Nur selten gibt es Kampfabstimmungen.

So kommt es, dass Monate vor der Wahl bereits ein Großteil der Bundestagsabgeordneten der kommenden Legislaturperiode feststeht. Entweder, weil sie in einem für ihrer Partei sicheren Wahlkreis kandidieren, oder weil sie zusätzlich über eine Landesliste abgesichert sind. Das hat Folgen: Für eine erfolgreiche politische Karriere ist es für Politiker wichtiger, unter Parteifreunden für sich zu werben als unter den Wählern. Es ist wichtiger, innerparteiliche Seilschaften zu pflegen als den Kontakt zu den einfachen Mitgliedern.

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Die Parteien tun sich schwer, sich zu öffnen. Die Rufe nach mehr innerparteilicher Demokratie verhallen vor allem in den beiden großen Parteien. Nach der verheerenden Wahlniederlage bei der Bundestagswahl 2009 dachte der SPD-Vorsitzende Siegmar Gabriel öffentlich über innerparteiliche Vorwahlen nach amerikanischem Vorbild nach – und das nicht nur bei der Kür des Kanzlerkandidaten, sondern auch bei der Wahl der Direktkandidaten. Die Idee wurde schnell wieder fallen gelassen, denn sie hätte die Macht der Parteifunktionäre und innerparteilichen Kungelrunden gefährdet.

Nur die Grünen trauten sich im vergangenen Jahr, ihre beiden Spitzenkandidaten per Urwahl zu nominieren. Das Ergebnis war für alle eine Überraschung, düpierte die Parteispitze und stellte die innerparteiliche Hackordnung auf den Kopf. Nicht die Parteivorsitzende Claudia Roth gewann die Gunst der Parteibasis und auch nicht die Fraktionschefin Renate Künast, sondern die krasse Außenseiterin Katrin Göring-Eckardt. Ob das Experiment wiederholt wird, ist offen.

Siegfried Kauder hat nichts mehr zu verlieren. Dass er als unabhängiger Kandidat das Direktmandat gewinnt, ist ziemlich unwahrscheinlich. Einem Parteiausschlussverfahren will er sich stellen, vermutlich hat er recht, wenn er sagt, ein solches schade der CDU mehr als ihm. Doch die Partei kommt an dem Rausschmiss nicht vorbei: Sie muss verhindern, dass sich andere an Siegfried Kauder ein Beispiel nehmen.

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