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(picture alliance)

Angela Merkel - Sie sagt nicht, was sie denkt, und denkt nicht, was sie sagt

Was haben Angela Merkel und der alte Fritz gemeinsam? Der aufgeklärte Absolutismus und die Methode Merkel orientieren sich an den eigenen Regeln und Maßstäben

Der Mainzer Historikunternehmer Guido Knopp, der via ZDF zu einer Art geschichtspolitischem Chefdeuter des Landes avanciert ist, hat jüngst das Kunststück fertiggebracht, Friedrich den Großen und Angela Merkel in einem Atemzug zu nennen. Nur sie fiel ihm in einer Talkrunde bei Anne Will zum 300. Geburtstag des Potsdamers ein bei der Suche nach einer ähnlichen Leuchtgestalt in der Politik von heute: Die Kanzlerin als „alter Fritz“.

In den Sinn kommt das wieder wegen einer Interviewbemerkung von Angela Merkel über Christian Wulff: „Unser Bundespräsident wird viele weitere wichtige Akzente für unser Land und unser Zusammenleben setzen.“ Ich bin mir ganz sicher, dass die Kanzlerin nicht ernsthaft glaubt, der Amtsinhaber im Schloss Bellevue habe bislang „wichtige Akzente für unser Land und unser Zusammenleben“ gesetzt. Ohne in die Seele einer Regierungschefin blicken zu können, würde ich auch behaupten, sie erwarte keinerlei bemerkenswerte Akzente dieser Art für die Zukunft. Sie sagt nicht, was sie denkt, und sie denkt nicht, was sie sagt. Muss sie auch nicht, denn die Umfragewerte sind gut.

Befassen möchte ich mich bei der Gelegenheit auch nur mit der Frage, was Guido Knopp gemeint haben könnte. Ironie wird es ja nicht gewesen sein, eher schon klang es nach Ehrfurcht wie bei Hofe zu Potsdam, damals. Der große Friedrich, an dem man Verdammenswertes und Bewundernswertes finden mag, wird auch von seinen leidenschaftlichsten Wiederentdeckern bekanntlich nicht als lupenreiner Demokrat gefeiert, sondern in einem herrscht Konsens: Er war ein aufgeklärter Absolutist. Gestritten wird über das Maß der Aufklärung. So, wie die Kanzlerin den Bundespräsidenten verteidigt, erinnert es in der Tat an diesen Herrschaftsstil.

Dabei geht es nicht darum, ob sie ihn belobigt oder beschimpft. Nein, sie dekretiert, ohne zu begründen. Ihr Urteil ist ein Erlass. Sie behauptet ohne Argumente, damit sie die Debatte endlich vom Hals bekommt. So hat sie auch dekretiert, Guttenberg sei kein wissenschaftlicher Assistent, sondern ein guter Minister – bis er stürzte. Das einzige, was ihr vielleicht in den Sinn kommen könnte an Akzenten bei Wulff, wäre sein Wort, dass der „Islam auch zu Deutschland“ gehöre. Wenn Angela Merkel meint, dies sei derart relevant gewesen, für „unser Land und unser Zusammenleben“, wenn sie also mit präsidialer Hilfe eine mutige Islam-Debatte befördern möchte und deshalb sein Verbleiben im Amt trotz der Dauerpeinlichkeiten wünscht, okay, dann soll sie es sagen. Das wäre erlaubt. Aber die Öffentlichkeit mit einem Urteil zu konfrontieren, das ihn in die Meisterklasse erhebt, um ihn im Amt zu halten, das klingt schlicht autoritär.

Hermann Gröhe, offiziell CDU-Generalsekretär, aber de facto auch nur einer der Sprecher Angela Merkels, hat bei einem Parteitag der Präsidentenpartei UMP in Paris angekündigt, die Kanzlerin werde Nicolas Sarkozy im Wahlkampf unterstützen. Er sei für heute und die Zukunft „der richtige Mann im Elysée-Palast“. Sie wird, Gröhe zufolge, im Frühjahr gemeinsame Wahlkampfauftritte mit Sarkozy in Frankreich absolvieren. Denn die beiden müssten auch künftig die Führung in der Schuldenkrise übernehmen. Soll man das als Zeichen für ein zusammenwachsendes Europa nehmen? Ich fürchte eher, auch dieser Gestus hat etwas Absolutistisches. Sicher, Sarkozy hat sich für die Wiederwahl Angela Merkels im Jahr 2009 ausgesprochen, was immer eine Unhöflichkeit gegenüber dem Oppositionskandidaten ist. Vielleicht will sie sich dankbar erweisen. Es ginge aber schon ungewöhnlich weit, sogar gemeinsame Wahlkampfauftritte zu inszenieren.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum die SPD bereits die Waffen gestreckt hat

Ob das französische Publikum das goutiert, ist noch eine Sache für sich. Aber die alte Regel macht schon Sinn, dass Politiker nicht direkt Partei ergreifen sollten bei Wahlen in Nachbarländern. In der Regel verstecken sie das und stellen sich gemeinsam vor die Kameras – so wie Helmut Kohl Ronald Reagan zwang, ihm die Hand über den SS-Offiziersgräbern in Bitburg zu schütteln, damit er zu Hause Pluspunkte als Wahlkämpfer sammeln kann. Amtsgeschäfte, heißt es dann. Gut auskommen allerdings müssen die Regierungen generell untereinander, das sollte erstes Gebot sein.

Die Nachbarn sollen sich als Nachbarn ernst nehmen. Kooperieren nämlich muss auch die deutsche Kanzlerin mit dem jeweils Gewählten, egal ob er Hollande oder Sarkozy heißt, und sie sollte auch die nicht verprellen, die ihren Spezi am Ende nicht wählten. Werben sollte sie in Frankreich für ihre Politik, nicht in der UMP, wenn ihr die Sache wichtig ist. Leicht bekommt Wahlhilfe sonst einen Beigeschmack von Erpressung, denn es schwingt mit, dass eine Aufkündigung der guten Beziehungen oder gar der Nachbarschaftshilfe droht, wenn der unliebsame Rivale gekürt würde. Helmut Schmidt hat einmal den großen Fehler gemacht, sich für die Wiederwahl Gerald Fords zu erwärmen, weil er Jimmy Carter nicht ausstehen konnte. Die Amerikaner hielten sich bekanntlich nicht an den Rat des Deutschen und wählten frech Carter. Das Verhältnis zwischen ihm und Schmidt blieb irreparabel beschädigt.

Im Falle Merkel/Sarkozy geht es sogar um mehr. Schon jetzt wird dieses Duo wahrgenommen als eines, das sehr von oben herab „führt“. Und zwar in eine Richtung, die – von Berlin vorgegeben – den meisten Europäern deutlich missbehagt, Italiens Regierungschef Monti sprach gar von den Deutschen als den Anführern der „europäischen Intoleranz“. Schwarzenberg, Asselborn, Juncker, sogar Tusk, man könnte inzwischen viele europäische Deutschland-Freunde anführen, die diese Art Dominanz als Diktat und nicht als Einladung zur Mitsprache oder gar als demokratisches Prozedere empfinden. Aber so, wie es Angela Merkel zu Hause hält – entscheiden ohne legitimierendes Verfahren,  egal, wie wichtig die Fragen sind - , so wird es auch Stil in Europa. Deutschland erdrückt ohnehin sehr mit seiner ökonomischen Macht und der schieren Größe.

Die Empfindsamkeit bei der Regierung erhöht das nicht: Nicht zufällig stammt die Idee mit dem EU-Staatskommissar für Griechenland wiederum aus der Berliner Küche. Dem heimischen Publikum soll – egal, welche Gefühle es in Athen auslöst – vorgeführt werden, wie streng man mit den unfolgsamen Zöglingen ist, und gleichzeitig wird vernebelt, dass die geforderten automatischen Sanktionen nicht kommen werden und auch nicht kommen können. Schon verlangen die Griechen, verständlich genug, Respekt vor ihrer Würde.

Allein schon der Stil, dass und wie Deutschland „Führung“ beansprucht, macht keine Freunde. Zu allem Überfluss sind die Wirtschaftsteile voll mit Schlagzeilen, dass die Deutschen als einzige von der zweijährigen Euro-Krise profitierten – woraus sich leicht folgern lässt, dass sie eine „Lösung“ so lange von Rettungsgipfel zu Rettungsgipfel hinauszögerten, weil es der eigenen Wirtschaft so wunderbar half. Worum es mir hier aber augenblicklich nur geht, ist das Wie: Zu Hause haben wir uns an die nicht-diskursive Methode gewöhnen müssen, Europa musste sich auch darauf einstellen, und dann soll diese Art „Führung“ von oben in einem deutsch-französischen Wahlkampf auch noch beglaubigt werden?

Die SPD hat bereits die Waffen gestreckt und den Wahlkampf ums Kanzleramt beendet, bevor er begonnen hat: Weil man sich nur eine blutige Nase hole, wenn man die Kanzlerin kritisiere. Als würde sich überzeugende Kritik nicht einzig und allein ableiten aus politischen Alternativen, die man formuliert. So aber kann die Dekret-Politik weitergehen: Christian Wulff, Nicolas Sarkozy, setzten Sie weiter wichtige Akzente für unser/ihr Land und unser Zusammenleben . . .

Ach, übrigens: Als Barack Obama sich um das Präsidentenamt bewarb und am Brandenburger Tor in Berlin eine Rede halten wollte, ließ die Kanzlerin das nicht zu, weil es eine unerlaubte Einmischung in den amerikanischen Wahlkampf wäre. Der aufgeklärte Absolutismus orientiert sich an den eigenen Regeln und setzt seine Maßstäbe selber. War es das, was Guido Knopp mit Angela Merkel und dem „alten Fritz“ gemeint hat?

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