- Das Lobby-Kompott
Stachelbeeren, Pfifferlinge und Wildreisrouladen – im Sommer feiert der politisch-publizistische Komplex nahezu allabendlich seine Wichtigkeit. Nach welchen Gesetzen funktioniert so eine Politparty?
Die Barkeeperin wienert schon mal das Metall der Espressomaschine, aber die Berliner Republik ist noch nicht endgültig versackt. Die Musik ist aus, Getränke gibt es auch nicht mehr. Kein Ding, jedenfalls nicht für den jungen Mann im blauen Anzug. Er beugt sich auf dem Sofa sitzend nach vorn, packt ein stehengebliebenes Glas und schüttet den Weißwein in seines. Die anderen haben noch was, die Nacht wird ja jetzt erst angenehm kühl, hier in dem Garten des Hamburger Bahnhofs in Berlin Mitte.
Hinter dem Sofa scheint der Vollmond auf das Wasser des Spreekanals. Ein Laster ist zwar schon vorgefahren, um die Partymöbel aufzuladen, die Warnblinker leuchten auf. Egal. Es ist erst 2.06 Uhr. Einer der Männer auf dem Sofa sagt gerade: „Du musst das historisch sehen.“
Es kommen Politiker, Korrespondenten, Lobbyisten, Beamte
Das „Sommerfest für Politik und Presse“ des Verbands Bitkom. Der vertritt die Interessen von über 2.300 Unternehmen, etwa vier von zehn sind Mittelständler. Bitkom setzt sich laut Website ein für eine „innovative Wirtschaftspolitik“ und eine „zukunftsorientierte Netzpolitik“. Im Sinne der Mitglieder wie des Geldautomaten-Herstellers Wincor Nixdorf, der Musikvideo-Plattform tape.tv aber auch Google Germany. Klassisches Lobbying.
Gerade jetzt im Sommer werden unter der Berliner Käseglocke beinahe täglich Feste gefeiert. Es kommen: Politiker, Korrespondenten, Lobbyisten, Beamte und Spätpensionäre, die irgendwann einmal in einem dieser vier Berufe eine Rolle gespielt haben. Vergangene Woche lud der Regierende Bürgermeister Berlins, die SPD-Bundestagsfraktion am ersten Juli zum Hoffest. Die EnBW gibt diese Woche ein Sommerfest. Die Landesvertretung von Niedersachsen auch. Und eben der Digitalverband Bitkom.
Hat der publizistisch-politische Komplex nicht genug zu tun? Was soll die Sause? Nach welchen Gesetzen funktioniert so eine Party?
Alle lassen den Blick über die Kleider, Blousons und Anzüge streifen
Wie bei vielen Partys geht es darum, dass sie gut besucht ist. Gut heißt erstens: viele Gäste. Um 22.45 Uhr haben die Laptops am Eingang des Hamburger Bahnhofs 1.648 Partygäste gezählt. Gut heißt zweitens: Wer kommt? Ohne einen Bundesminister könnte der Veranstalter sich den ganzen Wein und die Lachs-Wildreisrouladen mit Sauerampfer-Pesto gleich ganz sparen. Wirklich wichtig fühlen kann sich nur, wo Merkel vorbeischaut. Wie lange ein Erstliga-Poltitiker bleibt, ist relativ egal. Rein, Händeschütteln, Journalistentraube anziehen, Fotos, raus.
Oben auf der Treppe, auf der sich schon eine Schlange für den Eiswagen gebildet hat, steht der Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur Alexander Dobrindt. Er geht an einen Tisch. Drei junge Frauen lächeln ihn gleichzeitig an. Seine Prominenz ist relativ, ein Startup-Mensch mit Mickymausmütze hat keine Ahnung, wer der Typ drüben am Tisch ist. Sie kennen Dobrindt nicht? „Ich kenn hier niemanden. Ich schau kein Fernsehen, ich bin im Internet.“
Am Eingang spucken Drucker für jeden Gast ein Erkennungsschildchen mit Name und Firma aus. Sie sind die Eintrittskarte zu manchen Gesprächsgruppen, die sich um die weißen Stehtische scharen. Und sie sind ein Magnet, der Blicke anzieht. Kaum jemand, der nicht in einem Gespräch die Augen vom Gegenüber nimmt. Alle lassen den Blick über die Kleider, Blousons, die Reverse der blauen und schwarzen Anzüge streifen. Ein ständiges Taxieren der Wichtigkeit. Siemens...da könnte ich doch...Schweizer Botschaft...naja. Deutsche Telekom...kenn ich schon genug...Air Berlin...egal...Nordsee-Zeitung...zu weit weg. Zurück zum Gespräch.
„Die Halbwertszeit des Wissens beträgt nur wenige Monate“
Das lila-bläuliche Licht lässt die weißen Schirme wie Fliederblüten aussehen. Der DJ begleitet einen Querflötisten und einen Mann an der Posaune mit Elektro-Beats. Um die Büsche in der Hofmitte verteilen sich Stehtische mit ledernen Hockern. Auf einem sitzt ein Vertreter des Landes Sachsen-Anhalt. Er schaut durch seine dünne Brille über sein Weißweinglas. Er sammelt Infos, in seinem Bundesland sei Breitband-Ausbau ein großes Thema. Und Industrie 4.0 erst!
4.0 – das bedeutet smarte Fabriken, vernetzte Geräte, Internet der Dinge. Es ist aber auch das Doppelte vom Web 2.0. Ja sogar das Quadrat. „Die IT-Branche ist die Schlimmste, weil sie sich so schnell verändert“, sagt ein Mittelständler mit Unternehmen in Karlsruhe, Unterlippenbärtchen und Igelfrisur. „Die Halbwertszeit des Wissens beträgt nur wenige Monate.“ Die digitale Welt braust davon und ist doch auf die Politik angewiesen, die langsam hinterhertuckert. Ein Herr mit dichtem grauen Schnauz. Auf seinem Schildchen steht Bundeswirtschaftsministerium – streift beinahe teilnahmslos an den Tischen vorbei.
Der Unternehmer aus Karlsruhe schaut auf den Schreibblock des Reporters. „Sie sind noch analog?“ Aus seiner Nase fließt milchiger Rauch. In der Hand hält er etwas, das aussieht als wüchse jeden Moment ein Star-Wars-Laser-Schwert heraus. Seine E-Zigarette. Die gäbe es auch mit Knoblauch- oder Schokoladengeschmack. Den Nikotingehalt kann man ganz einfach mit einem Fingerdreh nach unten oder oben schrauben. Ein paar Meter weiter steigen duftende Zigarren-Schwaden nach oben. Ein Beamten-Tisch?
Leute kommen hierher, um anderen Leuten zu zeigen, dass sie da sind
Ein Sommerfest eines Lobby-Verbandes ist nur zweitrangig ein Ort für Deals zwischen Politik und Wirtschaft. Die ließen sich ja auch ganz diskret bei einem Cappuccino im Café Einstein unter den Linden aushandeln. Leute kommen hierher, um anderen Leuten zu zeigen, dass sie da sind.
Schon kurz vor acht – da läuft die Party eine gute Stunde – sind die ersten Köfferchen nach draußen gerollt. Hauptsache: Präsenz gezeigt. Der Eindruck zählt.
Golden funkeln das Oberteil und die Handtasche. Hohe Hacken, geflochtenes Haar. Rot-schwarze Krawatte zu einem dunkelblauen Anzug. Sportlich geschnittenes Jacket.
Läuft die Party? Einer vom Bitkom, der den Abend mitorganisiert hat, sagt, die maximale Wartezeit am Eingang habe zehn Minuten betragen. „Besser geht es einfach nicht.“ Im östlichen Flügel des Bahnhofs duftet es nach Fisch. Es gibt Lachs in Wildreisroulade, sautierte Pfifferlinge mit Ricotta Ravioli, ein Mitarbeiter hobelt so viele feine Schinken-Scheiben, dass seine Stirn zu glänzen beginnt.
Zwei Männer setzen sich an einen Tisch. Der eine, von der Nordsee-Zeitung, löffelt Stachelbeer-Kompott mit Vanille-Sauce. „Der Stachelbeeranteil ist ziemlich hoch.“ – „Mmhh“, sagt der ältere Mann mit Vollbart gegenüber, der noch an seinem Obstsalat arbeitet. Apple Crumble und Stachelbeerkompott hat er noch vor sich. „Schön säuerlich. Als Kind mochte ich das nicht.“ – „Ich schon. Wissen Sie wie man Stachelbeeren erntet?“ – „Nein.“ – „Die müssen noch grün sein. Rot-braun sind sie, wenn sie reif sind. Wenn man sie erst dann erntet, dann war’s das nach drei Tagen. Das kann man logistisch gar nicht schaffen.“ – „Mmhh.“ – „Deswegen werden die grün geerntet.“
Zum Sound der Sommerfeste gehört ein inhaltsfreies Gequatsche, das aber auf einer pseudo-privaten Ebene stattfindet, die auf offiziellen Terminen nicht so leicht zu erzielen ist. Wird daraus ein Kontakt, besteht die Möglichkeit, später mal darauf zurückzukommen.
Um 0.04 Uhr surren die Lautsprecher nur noch leise
Auf solchen Festen geht es nicht unbedingt darum, worüber man spricht, sondern dass man überhaupt miteinander spricht. Einer prahlt mit seinen Eroberungen im Urlaub, der andere spricht über die Griechenlandkrise. Zwei Frauen sitzen still nebeneinander. Sie sind in der Minderheit. „Frauen interessieren sich einfach nicht so für die Themen“, sagt eine blonde PR-Beraterin. Eine andere glaubt, dass Frauen in IT-Unternehmen nur die „neutralen“ Jobs machen würden. Sie ist Assistentin der Geschäftsführung.
Immer mehr Tische bleiben leer zurück. Eine Frau sitzt vor einem halbvollen Bier, streicht apathisch über das Display ihres Smartphones. Um 0.04 Uhr surren die Lautsprecher nur noch leise. Die Bühne wird abgebaut.
Ein Kellner schleppt kurz nach eins einen Müllsack ins Dunkel. Zwei Pärchen schmusen auf den Gartensofas. Ein dicker Mann starrt auf den Spreekanal.
Teil I: Ankommen mit Armin Laschet - Wie ein Provinzfürst den Berliner Machtmorgen genießt
Teil II: Das Café Einstein - So wichtig frühstücken
Teil III: Polit-WG – Parlament und Pumpernickel
Teil IV: Sommerfest der Digitalwirtschaft – Das Lobby-Kompott
Teil V: Expansion der Demokratie – Sie bauen, bauen und bauen
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