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Vinzenz Greiner

Reportage-Reihe „Berliner Käseglocke“ (Teil II): Das Café Einstein - So wichtig frühstücken

Schon in aller Herrgottsfrüh feilschen hier Lobbyisten, Journalisten, Bürokraten und Politiker. Besuch im Café Einstein, dessen Inhaber über einige Gäste sagt: „Das sind Körpergeister“

Autoreninfo

Vinzenz Greiner hat Slawistik und Politikwissenschaften in Passau und Bratislava studiert und danach bei Cicero volontiert. 2013 ist sein Buch „Politische Kultur: Tschechien und Slowakei im Vergleich“ im Münchener AVM-Verlag erschienen.

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Schon fünf Minuten, nachdem das Café Einstein aufgemacht hat, wie immer pünktlich um 7 Uhr, wird klar, dass es hier nicht vorrangig ums Frühstück geht. An einem Tisch an der Wand sitzt ein glatzköpfiger Mann mit Einstecktuch. Aus seiner Aktentasche holt er einen Papierstoß. Ein Mann neben ihm – grauer Anzug, graue Haare –  hat schon seine braune Ledermappe auf die weiße Tischdecke geschoben. „Erstmal ein bisschen Smalltalk und bestellen.“

Im Café Einstein Unter den Linden, nicht weit vom Brandenburger Tor, beginnt das Geschäft: Es geht um Informationen und Interessen, um kleine Vorteile und Vorstöße im Spiel um die Macht. Gerade erst hat eine Kellnerin am Eingang zwei mit einem roten Tau verbundene goldene Ständer zur Seite geschoben und damit das Café geöffnet. Die ersten dunklen Jacketts hängen schon an den Kleiderhaken. Das Kaffeehaus ist ein beliebter Treffpunkt im politischen Herzen Berlins. Es liegt nur wenige Gehminuten vom Reichstag entfernt. Andere Bundestagsgebäude erreicht man von hier mit wenigen Schritten, die Interessenverbände sind auch gleich in der Nähe, genau wie die Hauptstadtredaktionen.

Otto Schily hat seinen Stammplatz


1996 wurde das Einstein Unter den Linden eröffnet und avancierte in der Berliner Republik zur Lobby außerhalb der Parlamentslobby. Eine ähnliche Erfolgsstory hat nur das Restaurant Borchardt in Berlin-Mitte vorzuweisen. Im Einstein speisen Interessensvertreter von Wirtschaft und Verbänden, und sie speisen ihre Ideen in das System ein: Auf einen Espresso, der hier 2,60 Euro kostet, auf ein Croissant aus der hauseigenen Bäckerei oder auch zum Mittagessen verabreden sie sich mit Abgeordneten, Parteifunktionären, Ministerialbeamten. Hier führen die Korrespondenten Hintergrundgespräche.

Otto Schily hat seinen Stammplatz. Die stellvertretende Fraktionschefin der Linkspartei im Bundestag, Sahra Wagenknecht, sieht man hier häufiger. Gerade setzt sich der CDU-Generalsekretär Peter Tauber, wie immer mit stoppeligem Bart, zu einem glattrasierten Mann in weißem Hemd, Krawatte, der höflich Bild und FAZ beiseite legt.

Tauber legt die Handflächen wie zum Gebet aufeinander, er hält sie vor den Mund. Er nickt konzentriert. Ein Grauhaariger geht vorbei, zeigt auf ihn. Tauber lächelt, ein Gruß zurück. Hier, in der Kantine der Wichtigkeit, geht es schließlich auch ums Sehen und Gesehen-Werden. Dann wieder volle Konzentration.

Später wird der Grauhaarige im hinteren Teil des Cafés gefragt, ob es ihm gut gehe. Gut... Das Thema hat sich ein bisschen beruhigt... TTIP... Schiedsgerichte... Bürgerbeschwerden.

Amorpher Lärm im Einstein


Das Einstein hat keinen Teppichboden, sondern große Steinplatten. Die kleinen Tischchen stehen eng beieinander. Trotzdem ist nur schwer zu vernehmen, was genau besprochen wird. Aus dem Gemurmel, dem Klappern des Geschirrs, dem Zuklappen von Speisekarten und Ordnern entsteht das, was der Ich-Erzähler im Roman Der Ekel von Jean-Paul Sartre „amorphen Lärm“ nennt. Es ist ein Geräuschvorhang, durch den nur hin und wieder kurze Sätze und Wörter spitzeln.

Wenn das läuft, ist das gute Öffentlichkeitsarbeit… Rührei mit Schnittlauch… Nach drei Stunden Schlaf… Unsere Außenpolitik… Eiweiß… Schlachthäuser – Lachen.

Ein Witz von Leuten, die bloß einen Kaffee trinken? Ein Lobbygespräch von Vertretern der Fleischindustrie? Oder geht es hier um Metaphern für irgendein Ränkespiel?

Das Kaffeehaus soll ein Ort sein, an dem vieles möglich ist. „An dem alle Fragen gestellt werden können“, sagt Gerald Uhlig, der Inhaber. „Leute kommen miteinander ins Gespräch. Hier kommen Politik, Kunst, Wirtschaft und Literatur zueinander.“ Der 61-Jährige mit dem schütteren Haar und blauen Augen trägt als einziger im Kaffeehaus einen Schal um den zarten Hals. Nebenan blubbert ein Fleischberg bayerische Sätze in sein Handy. Sagt „Servus“. Legt es mit seinen dicken Pranken auf den Tisch.

Feine Hände ragen aus Uhligs aufgeknöpften Hemdsärmeln, greifen selten zum Cappuccino, der längst kalt sein muss. Genau wie das Rührei. Denn Uhlig redet gern.

Nicht nur über sein Einstein. Auch über andere Kaffeehäuser. Es gebe nicht viele auf der Welt, die diesen Namen verdient hätten. „Ein Kaffeehaus ist ein Salon, in dem geistig gearbeitet wird und auch die Sinne trainiert werden“, sagt er. Als Regie- und Schauspiel-Student in Wien hat er viele Kaffeehäuser studiert.

Die Intelligentsia ist weg, die Diskussion im Netz


Das Einstein Unter den Linden ist zwar in einem modernen Gebäude untergebracht. Doch irgendwie sitzt man hier nicht nur im hitzigen Berlin-Mitte, sondern auch im unaufgeregten Habsburg. Glasbälle auf dunklen Holzpfosten werfen ihr Licht unaufdringlich auf die weißen Stoff-Servietten. Die Stühlen sind mit braunem und grünem Leder beschlagen. Ein Mann prüft den Scheitel in einem der breiten, holzeingefassten Spiegel, die dem Café Weite schenken.

Die Früchte auf Peter Taubers Joghurt scheinen geradezu feinfühlig platziert. Selbst die Butter ist im Einstein diskret drapiert: in Porzellan-Töpfchen, die mit einem dünnen Papier verschlossen sind, auf dem ein grüner Baum zu sehen ist. Die Jalousien sind heruntergelassen, aber quergestellt – man sieht gut hinaus aus dem Einstein, aber schlecht hinein.

Viele mögen das. Einige Gäste kämen seit der Eröffnung regelmäßig, sagt Uhlig. Zu den Stammgästen zählt auch Dieter Zetsche von Daimler. Andere finden das aufgesetzt. Das Einstein sei ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, wo man hingehe, um gesehen zu werden, sagt ein langjähriger Politjournalist. „Eitelkeiten entstehen, wo Menschen zusammenkommen. In der Politik geht es natürlich um Show“, sagt Uhlig.

Dabei sollte das Einstein ursprünglich gar kein Laufsteg werden. Und auch kein Handelsplatz mit politischer Ware. „Mein Ziel als Künstler war es nicht, ein Kaffeehaus nur für die politische Schicht oder Klasse zu eröffnen.“ Hier sollten „existenzielle Fragen“ erörtert werden. Wie einst in Wien, Prag, London, Paris, wo sich die Intelligentsia austauschte, aber auch normale Menschen. Aber sie ist weg die Intelligentsia. Günter Grass sitzt nur noch auf einem Foto vor seinem Bier im Einstein.

Und findet das Gespräch nicht im Netz statt? In den vielen Netzwerken, einer Art Weltsalon. Das Kaffeehaus wird weiterleben, sagt Uhlig. „Denn es ist ein absolut menschlicher Ort.“ Man schaue einander in die Augen, was der Inhaber selbst ständig tut. „Es ist kein virtueller, digitaler, sondern ein realistischer Ort.“

Französische Revolution oder Konterrevolution im Kaffeehaus?


Nebenan, am Tisch des dicken Bayern, lässt sich ein ziemlich analoges, ziemlich realistisches Trumm auf den Stuhl plumpsen. Anton Hofreiter, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, ist auch von hinten gut erkennbar. Griechenland... Krise... Referendum... Tsipras. Wortfetzen.

Von seinem Lieblingsplatz, am Tisch in der Ecke, tut Uhlig gern das, was er liebt: beobachten. Jetzt sitzt er am Rand im hinteren Teil des Einsteins.

Er hat in all den Jahren ein Gefühl für die Menschen bekommen. Schaut auf die Aura, die Körpersprache. Auch für Hierarchien und Machtverhältnisse. An einem an einem Tisch an einer anderen Wand sitzt ein Mittvierziger in Kurzarmhemd einem älteren Herrn gegenüber, der zum klingelnden Handy greift. „Wir haben hier eigentlich extra einen Raum zum Telefonieren. Er scheint sich vor dem anderen wichtig zu nehmen“, sagt Uhlig.

An einem Nachbartisch sitzen sich vier Männer gegenüber. Fragen und antworten einander. Es scheint sachlich zu sein. Was Uhlig hier herauslesen könne? Er dreht sich um, dreht sich wieder zurück. „Einige Leute, die hier morgens den Lobby- und Politik-Geschäften nachgehen, sind Körpergeister. Sie nehmen ihre Umgebung gar nicht mehr wahr. Sie sind so eingezwängt in die Machtstrukturen, sind so angespannt, dass sie sich gar nicht mehr in ihren Körpern zu Hause fühlen. Das merkt man, die dünsten das aus“, sagt Uhlig. Und fügt dann hinzu: „Sie haben kein poetisches Ich.“

Drei Männer stehen auf. Einer schaut müde herüber, der Arm mit der Golduhr hängt schlaff herab. Ein Körpergeist.

Uhlig stellt die Infrastruktur für den Lobbyismus bereit. Und ist doch Künstler und ein Mann des Salons. Das Hinterzimmer des Einsteins, über das im politischen Berlin viel gesprochen wird und das man von hier durch eine Tür betreten kann, nennt er „poetischen Rückzugsort für neue Ideen“. Ins Kaffeehaus kämen auch „wunderbare Borderline-Studentinnen mit verrückten Frisuren“. Touristen, Genießer. „Das ergibt zusammen einen Bienenkorb.“

Kaum eine Frau sitzt jetzt im Café, was bei den Polit-Frühstücken normal sei, wie eine Kellnerin sagt. Aber was ist das dann für ein Bienenkorb? Es wäre ein Volk von Drohnen.

Ist das Einstein ein Salon, in dem milieuübergreifend diskutiert und philosophiert wird? Ein Kaffeehaus wie eines derer, in denen sich „die Französische Revolution auch angebahnt hat“, wie Uhlig findet? Oder findet hier gerade nicht die Konterrevolution gegen die Demokratie statt, wie Lobbyismus-Kritiker fürchten?

„Ein Kaffeehaus entsteht nicht aus sich selbst heraus“, erklärt Uhlig. Es würde geadelt durch die Menschen, die daran teilhaben und sich darin treffen. Und durch diese Menschen veränderte es sich auch. Das sagt einer, der sein Leben lang Künstler ist. Doch der Künstler ist nur der Anfang, ein kleiner Teil eines Kunstwerks. Den Rest übernimmt der Leser, der Zuschauer, der Betrachter, der Café-Besucher. Auf der Website des Einsteins steht „A Social Artwork“ – ein soziales Kunstwerk.

Lesen Sie auch die weiteren Teile der Reportage-Reihe „Berliner Käseglocke“:

Teil I: Ankommen mit Armin Laschet - Wie ein Provinzfürst den Berliner Machtmorgen genießt

Teil II: Das Café Einstein - So wichtig frühstücken

Teil III: Polit-WG – Parlament und Pumpernickel

Teil IV: Sommerfest der Digitalwirtschaft – Das Lobby-Kompott

Teil V: Expansion der Demokratie – Sie bauen, bauen und bauen

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