Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Rechtsanspruch - Betreuungsgeld oder Kita-Platz?

Von heute an haben Eltern ein Recht auf Betreuungsgeld oder auf einen Kitaplatz. Warum gibt es darüber so viel Streit?

Autoreninfo

Woratschka, Rainer

So erreichen Sie Rainer Woratschka:

Eltern haben jetzt mehr Rechte: Sie haben Anspruch auf einen Kita-Platz für ihre ein- und zweijährigen Sprösslinge oder sie können ihre Kinder zu Hause betreuen und werden vom Staat mit monatlich 100 Euro, später 150 Euro unterstützt. Dieses Betreuungsgeld ist bis heute in den Parteien heftig umstritten.

Warum treten beide Rechtsansprüche am selben Tag in Kraft?

Als die große Koalition auf Druck der SPD im Jahr 2008 im Bundestag beschloss, die öffentliche Kinderbetreuung massiv auszubauen, musste dieser Schritt mit Zugeständnissen an die CSU und konservative Kräfte in der CDU erkauft werden. Sie warnten vor einer Herabwürdigung der traditionellen Familie, in der der Vater als Alleinverdiener die Familie ernährt und die Mutter für die Kindererziehung zu Hause bleibt und auf eine eigene Berufskarriere verzichtet.

Aus der Zusage, die Einführung eines Betreuungsgeldes zu prüfen, machten die schwarz-gelben Nachfolger ein unkonditioniertes Versprechen, die Leistung Anfang 2013 einzuführen. CSU-Chef Horst Seehofer drohte dann mit Koalitionsbruch und setzte gegen Bedenken von FDP und CDU-Frauen durch, dass die Leistung Ende 2012 beschlossen wurde. Weil das zähe Ringen um das Gesetz viel Zeit verschlungen hatte, konnte eine rechtzeitige Auszahlung nicht garantiert werden. Die Einführung wurde um ein halbes Jahr verschoben – auf den Tag, an dem nun auch der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für Ein- und Zweijährige in Kraft tritt.

Warum ist das Betreuungsgeld so heftig umstritten?

Bildungs- und Migrationsexperten warnen, dass es falsche Anreize setze. Besonders Kinder aus bildungsfernen Milieus würden damit Möglichkeiten frühkindlicher Förderung, wie sie in einer Kita garantiert sei, genommen. Die SPD kündigte an, dass sie im Falle eines Wahlsieges das Betreuungsgeld wieder abschaffen und das damit eingesparte Geld in den Kita-Ausbau stecken will. Manuela Schwesig, Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern und stellvertretende SPD-Vorsitzende, stellte dieser Tage einen Drei-Stufen-Plan vor: Erstens wolle man den Kita-Ausbau weiter fortsetzen. Von 2014 an sollen Alleinerziehende einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ihrer Kinder haben, später soll dieser dann auf alle Eltern ausgeweitet werden. Zweitens soll die Qualität der Betreuung besser werden. Die SPD will daher die Ausgaben des Bundes für die Betriebskosten der Kitas auf 840 Euro pro Kind verdoppeln. Und drittens sollen im Laufe der nächsten Jahre die Gebühren für den Kita-Besuch gestrichen werden, Eltern würden dadurch bis zu 160 Euro im Monat sparen. Finanzieren will die SPD all das in erster Linie aus dem Vier-Milliarden-Budget, das die Bundesregierung für das Betreuungsgeld veranschlagt hat.

Wird aus politischen Gründen in den Bundesländern unterschiedlich stark für das Betreuungsgeld geworben?

Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) unterstellt den SPD-regierten Ländern, das Projekt aus politischen Gründen zu torpedieren. Es sei „ein Skandal, dass manche Bundesländer aus Feindseligkeit gegen diese Familienleistung junge Eltern um das Betreuungsgeld bringen“, sagte sie. Im rot-grün regierten Rheinland-Pfalz machen die Zuständigen denn auch kein Hehl aus ihrer ablehnenden Haltung. „Wir tun unsere Pflicht, mehr nicht“, sagte ein Sprecher von Familienministerin Irene Alt (Grüne) dem Tagesspiegel. Will heißen: Die Kommunen haben alle notwendigen Unterlagen erhalten, die Mitarbeiter entsprechende Schulungen. Zusätzliche Broschüren oder eine unaufgeforderte Zusendung von Antragsformularen gibt es nicht. „Wir investieren nur das Nötigste“, so der Sprecher. Das Ergebnis der amtlichen Zurückhaltung lässt sich im Raum Mainz-Bingen besichtigen: 400.000 Einwohner – und bisher nur ein einziger Antrag auf Betreuungsgeld. Und noch nicht mal einen Komplettüberblick über die Antragszahlen hat das Ministerium – weil es sich den Aufwand für die statistische Erfassung ersparen will.

 

Auch im Grün-Rot regierten Baden- Württemberg macht das Sozialministerium alles andere, als fürs Betreuungsgeld zu werben. Doch bei den Antragszahlen ist das Bundesland bislang nichtsdestotrotz bundesweiter Spitzenreiter. Es lässt sogar das Nachbarland Bayern weit hinter sich, das den infrage kommenden Eltern schon seit Anfang April Antragsformulare ins Haus schickt. Die sind praktischerweise bereits vorausgefüllt. Das sei „bürgerfreundlich“, sagt Michael Neuner vom zuständigen „Zentrum Bayern Familie und Soziales“, schließlich habe man ja schon einen gewissen Datenstand durch die Anträge auf Elterngeld. Rund 3100 vorausgefüllte Antragsformulare und 55.000 Flyer zum Betreuungsgeld hat man bereits unters Volk gebracht. Beim Bildungspakt für Hartz-IV-Empfänger und Geringverdiener habe Bayern „diesen Aufwand nicht getrieben“, ärgert sich SPD-Vizechefin Manuela Schwesig.

Wie groß ist insgesamt die Nachfrage nach dem Betreuungsgeld?

Sie ist bislang gering. Mit rund 1300 Anträgen auf diese Leistung liegt Baden- Württemberg bisher bundesweit vorne. Im Nachbarland Bayern sind bislang 912 Anträge eingegangen – gemessen am großen Aufwand ein eher mäßiges Ergebnis. Die Opposition nahm dies denn auch zum Anlass, um über den „Ladenhüter“ Betreuungsgeld zu spotten. Wenn es schon dort so wenig Interesse dafür gebe, wo das Projekt derart massiv propagiert werde, stelle sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit, lästerten die Kritiker.

Bayerns Sozialministerin Haderthauer konterte sogleich: Die bisherigen Antragszahlen ließen noch keinerlei Rückschlüsse auf das Interesse der Eltern zu, da die meisten Familien erst ab Oktober leistungsberechtigt seien, sagte sie. Denn das Betreuungsgeld wird erst für Kinder gezahlt, die nach dem 31. Juli 2012 geboren sind. Und da das Betreuungsgeld erst nach Auslaufen des Anspruchs auf Elterngeld – also in der Regel nach 14 Monaten – gezahlt wird, werden die ersten Beträge erst im Oktober fließen. Haderthauer geht davon aus, dass „so gut wie jede Familie“ mit kleinen Kindern das neue Betreuungsgeld beantragen werde. Schließlich würden Kleinkinder oft nicht gleich mit 14 Monaten in Krippen untergebracht, sondern erst einige Monate später – und zumindest für diese Übergangszeit würden die Eltern dann allemal das Betreuungsgeld beantragen.

In Sachsen haben landesweit bislang 200 Eltern Betreuungsgeld beantragt. Der Freistaat habe über die neue Leistung „informiert, aber nicht dafür geworben“, sagte eine Sprecherin des sächsischen Sozialministeriums. Es gebe zwischen den Kommunen große Unterschiede: So wurden in Chemnitz mit seinen reichlich 240.000 Einwohnern nur vier Anträge gestellt, in Dresden und Leipzig hingegen je 30. In Meißen, wo nur knapp 28.000 Menschen leben, gingen 50 Anträge ein. In Sachsen kommen pro Jahr etwa 34.000 Kinder zur Welt. Erfahrungsgemäß würden davon etwa 46 Prozent ab dem ersten vollendeten Lebensjahr in Kinderkrippen angemeldet. Das hieße, dass die Eltern der übrigen 54 Prozent, also reichlich 18.000 Eltern, nach Auslaufen eines eventuellen Elterngeldes theoretisch antragsberechtigt für das Betreuungsgeld wären.

 

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.