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(picture alliance) Die Gelben werden das Kindchen nicht mehr schaukeln

FDP - Raus aus der Koalition, aber schnell!

In der schwarz-gelben Bundesregierung tut die Kanzlerin alles dafür, dass den Liberalen die Luft zum Atmen fehlt. Jeder Tag an der Seite der Kanzlerin bringt die FDP deshalb ihrem politischen Tod etwas näher. Dabei hätte sie eine Alternative. Ein Kommentar

Mal eine Frage, mit der Bitte um Antwort: Versteht noch einer die FDP?

Nach drei Jahren Merkel, einem beispiellosen Absturz, einem misslungenen Neustart und kurz vor einer absehbar debakulösen Landtagswahl in Niedersachsen verhalten sich die Liberalen so, als hätten sie noch alle Zeit der Welt. Es drängt sich der Eindruck auf, als sähen sie ihrem politischen Tod ohne jedes Aufbäumen entgegen, willenlos, entkräftet, ratlos.

Dabei gilt für die FDP dreierlei. Erstens: Jeder Tag zählt, und jeder Tag des Nichthandelns bringt sie ihrem Ableben einen Tag näher. Zweitens: Ein neuer Vorsitzender allein bringt auch keine Rettung. Drittens: Es gibt eine Lösung, eine radikale. Sie gehorcht dem Gedanken, der dem Märchen von den Bremer Stadtmusikanten zugrunde liegt.

Angela Merkel geht, das hat vor der FDP schon die SPD erfahren müssen, mit ihren Koalitionspartnern nicht sehr zartfühlend um, um es vorsichtig zu sagen. Härter formuliert: Sie lässt ihnen keine Luft zum Atmen, schiebt ihnen die „Baddies“ rüber und lässt ihnen kein einziges „Goodie“. Die SPD steckt bis heute seltsamerweise ganz allein die Prügel für die Rente mit 67 ein. Die FDP hat ganz alleine die unselige Hotelsteuer am Hals, dabei hatte die CSU mindestens genauso engagiert auf deren Einführung gedrängt wie die Liberalen.

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Und wo ist das Thema, das die Kanzlerin der FDP in den drei Jahren zwecks politischer Profilierung gegönnt hätte? Es gibt kein einziges. Steuersenkungen? Nein! Abschaffung des Solidaritätszuschlags? Niemals! Streichung der Praxisgebühr? Nicht dran zu denken. Dafür kommt das Betreuungsgeld, obwohl die FDP gute Gründe hat, dieses zu verhindern. Der CSU tut Merkel jenen Gefallen, den sie der FDP verweigert.

Unverkennbar ist das Bemühen der Union, die FDP kleinzukriegen. Jeder liberale Gedanke wird, kaum wurde er geäußert, von Merkel abgeräumt. Alles, was der FDP bleibt, ist es, sich als Schlimmstverhinderer zu „profilieren“, etwa bei der Vorratsdatenspeicherung.

Helmut Kohl und Gerhard Schröder waren ungleich generöser ihrem Koalitionspartner gegenüber. Kohl ließ einem FDP-Außenminister mehr Raum als Merkel Westerwelle heute. Und Schröder akzeptierte den Atomausstieg, das Dosenpfand und die Gleichstellung Homosexueller, alles drei keine Themen, für die sich der SPD-Kanzler selbst politisch entleibt hätte wie für die Agenda 2010.

Seite 2: Warum ist die FDP nur so lammfromm?

Wenn aber Merkel und die CDU so unerbittlich sind, warum ist die FDP dann so lammfromm? Warum denkt sie nicht darüber nach, sich aus dieser Koalition zu verabschieden, wie die Liberalen das schon einmal in der Geschichte der Bundesrepublik getan haben?

Die Anlässe für eine begründete Trennung von der Kanzlerin sind da. Das Betreuungsgeld sieht nur aus wie eine Petitesse, dahinter steht ein völlig antiquiertes Gesellschaftsbild, von dem man sich erfolgreich und begründet distanzieren kann – sprich: Die FDP könnte es nach dem nächsten Koalitionsgipfel am 4. November zum Anlass nehmen, die Koalition zu verlassen. Auch die murksig erscheinende Energiewende könnte ein Scheidungsgrund sein.

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Wie würde es weitergehen? Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag stünden einem fliegenden Koalitionswechsel via konstruktives Misstrauensvotum im Weg. Die FDP würde in die Opposition gehen, und Merkel ein Jahr lang eine Minderheitsregierung bilden. Sie müsste sich ihre Mehrheit von Abstimmung zu Abstimmung jeweils neu suchen. Als Alternative bliebe der Kanzlerin nur die Vertrauensfrage, um vorgezogene Neuwahlen herbeizuführen. Nur ist Letzteres nicht Merkels Art.

Und was würde es für die FDP bedeuten? Ein Risiko. Natürlich. Schwarz-Gelb wäre sicher keine Option mehr für Niedersachsen. Nur dass die Wähler dort die Landesregierung bei der Wahl im Januar bestätigen, muss derzeit als eher unwahrscheinlich gelten. Mehr noch böte ein Koalitionsbruch der FDP noch eine letzte Chance. Eine Chance, die auch die Bremer Stadtmusikanten in ihrer Verzweiflung suchten: Etwas Besseres als den Tod findest Du überall. Die Liberalen könnten sich grundlegend regenerieren, in der Opposition neu finden, neu erfinden. In Merkels Koalition wird das nicht gehen.

In der Novemberausgabe finden Sie auch ein Interview mit FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle. Der Cicero beschäftigt sich in seiner Titelgeschichte mit dem Streit um Hitlers Propagandaschrift „Mein Kampf“. Das Heft ist am Kiosk und auch im Online Shop ab sofort erhältlich.

 

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