- Warum Merkel die SPD jetzt fürchten muss
„Es ist die Gerechtigkeit, Dummkopf!“ Wenn der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück in seinem Wahlkampf die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich thematisiert, könnte er für Angela Merkel im Bundestagswahlkampf 2013 sehr gefährlich werden. Ein Kommentar
Wer wollte, konnte den Kandidaten in ihm schon hören, bevor er überhaupt Kandidat war. Denn den Schlüsselsatz seines Wahlkampfes führt Peer Steinbrück schon seit einigen Tagen im Munde. Bisher ist dieser überhört worden, obwohl er so viel sagt. Peer Steinbrück sagt, er wolle es nicht nur besser, sondern anders machen als die amtierende schwarz-gelbe Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel.
Dieser Satz klingt vertraut. Er ist die Umkehrung der entscheidenden Aussage von Gerhard Schröder im Wahlkampf 1998. Damals hatte Schröder immer wieder betont, die SPD wolle in der Regierung nicht alles anders, aber vieles besser machen. Im Kanzlersessel saß Helmut Kohl, den man eher respektvoll vom Thron schieben als stürzen musste. Es gab eine Wechselstimmung, man brauchte keinen konfrontativen Wahlkampf. „Ist schon Recht, Helmut, es war nicht alles falsch. Aber jetzt ist es mal gut.“ Das war die sanfte Methode Schröder gegen einen verdienten Patriarchen im Herbst seiner Macht.
Jetzt ist alles anders. Es gibt keine Wechselstimmung. Merkel ist nach sieben Jahren Kanzlerschaft nicht im gleichen Stadium wie Kohl nach 15 Jahren. Deshalb kann Steinbrück sie nicht generös in die Ahnengalerie wegloben, wie es einst Schröder mit Kohl gemacht hat. Steinbrück muss Merkel stürzen. Er muss die Bundesregierung frontal angreifen, einen Politikwechsel versprechen. Daher stützt er sich nun in den „Anders“-Wahlkampf statt in den „Besser“-Wahlkampf.
Für Manche steht bereits fest, dass das nicht klappen kann. Die „Zeit“ weiß ausweislich des aktuellen Titels schon genau: Die SPD wird den Kanzler im kommenden Jahr nicht stellen – und die Partei wisse dies auch.
[gallery:Merkels Gegner für 2013 steht fest – Peer Steinbrücks politische Karriere]
Diese Behauptung ist doppelt kühn. Denn so gelaufen ist die Sache für Merkel auch wieder nicht. Ja: Sie sitzt fest im Sattel der Macht. Aber: Mit Steinbrück und einer klugen Wahlkampfstrategie kann ihr die SPD gefährlich werden.
Die Kanzlerin hat bereits erklärt, welches Thema ihr am liebsten wäre: Europa. Das ist weniger eine Prognose als ein Wunsch, ein frommer Wunsch. So hätte es Angela Merkel gerne, weil sie da als Amtsinhaberin beim Wähler mit einem großen Bonus rechnen kann. Ohne durchzublicken, haben die meisten Deutschen das Gefühl, in Sachen Eurokrise bei ihr gut aufgehoben zu sein. Je mehr Griechen und andere mit mehr oder weniger geschmackvoll historischen Analogien über das deutsche Spardiktat schimpfen, umso mehr fühlen sie sich in diesem Gefühl bestärkt.
Deshalb hat Steinbrück für seine erste Attacke als SPD-Kanzlerkandidat auch eine weiche Flanke für dieses Thema gesucht: Er ist nicht auf Merkel und ihre Krisenpolitik los, sondern auf die Banken und deren Domestizierung, die so dringend notwendig erscheint. Sein Bankenkonzept sagt in Kürze: Die Banken dürfen nicht länger das Geld der anständigen Leute einsammeln und damit an den globalen Roulettetisch zum Zocken gehen, das Risiko dieser Zockerei aber wieder den kleinen Bankkunden in ihrer Eigenschaft als Steuerzahler aufbürden.
Das zieht. Und das zieht dann auch gegen die Kanzlerin. Steinbrücks Bankenkonzept wohnt ein unmoderner Gedanke inne, den man schon lange nicht mehr gehört hat. Gerade deshalb ist er so gefährlich für die Amtsinhaberin: Gerechtigkeit, es geht um Gerechtigkeit. „It‘s the economy, stupid!“ haben die Wahlkampfstrategen des Ex-US-Präsidenten Bill Clinton einst in dessen Kampagne das zentrale Thema benannt.
„Es ist die Gerechtigkeit, Dummkopf!“: Das ist die Variante dieses Satzes, mit dem die SPD gegen die Kanzlerin antreten möchte.
Der Boden für eine solche Kampagne ist bereitet. Die Bundesregierung selbst hat gerade einen Reichtumsbericht vorgelegt, der das belegt. Die Schere zwischen Arm und Reich geht in der Gesellschaft immer mehr auf. Ein Zehntel der Bevölkerung verfügt inzwischen über die Hälfte des Privatvermögens. Die Mittelschicht (früher bekannt als: die Mitte) guckt in die Röhre, und die Ärmsten haben abzüglich der Inflation in den vergangenen zehn Jahren unterm Strich zehn Prozent weniger in ihrem Portemonnaie. Man muss schon ein hartgesottener Konservativer sein, in seinen Ansichten und Feindbildern unerschütterlich gefestigt, um aus dieser Entwicklung die Parole „Mehr Wohlstand für alle“ ableiten zu können.
Darauf wird die SPD mit Peer Steinbrück abheben: Es geht nicht mehr gerecht zu in dieser Welt. Es geht nicht mehr gerecht zu in diesem Land. Und da können Partei und Kandidat einen Nerv treffen – bis weit in eine frustrierte Mittelschicht hinein.
Und damit bis weit in die FDP hinein. Vor ein paar Tagen hat Wolfgang Kubicki, der Liberale von der Küste, ein Buch über Peer Steinbrück vorgestellt und eine Anhebung des Spitzensteuersatzes für richtig und geboten erachtet (eine Wiedereinführung der Vermögensteuer wegen schädlicher Nebeneffekte übrigens nicht). Natürlich ist Kubicki nicht die FDP. Aber er ist auch die FDP.
Wenn es der SPD darüber hinaus gelingt, über Themen wie das Betreuungsgeld, der Union ein antiquiertes Gesellschaftsbild anzuhängen, was schon in Steinbrücks Wort von der „spießigen Biedermeieridylle des vorigen Jahrhunderts“ anklang, dann könnte bei aller Popularität der Kanzlerin in den kommenden zwölf Monaten auf alle Fälle ein sehr spannender Wahlkampf auf uns zukommen. Der Ausgang der Bundestagswahl ist mit der Kür von Peer Steinbrück zum SPD-Kanzlerkandidaten offener, als sich dies mancher derzeit vorstellt.
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