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Kapitalismus und Kirche - Papst Franziskus und der Marktgott

„Diese Wirtschaft tötet“, hat der Papst verkündet. Anders als seine Vorgänger verlangt er, die Ökonomie zu verändern. Ein Antikapitalist? Nein. Er ist der Kapitalismus-Reformer der Stunde

Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Weiß Gott, der Papst hat sich etwas gedacht, als er in seinem Lehrschreiben „Evangelii Gaudium“ verkündete: „Diese Wirtschaft tötet.“ Es ist ein absoluter Satz. Wahrhaft päpstlich. Und nicht die einzige Formulierung mit der Kraft eines Bannstrahls. Weitere anklagende Worte des Franziskus seien hier zitiert: „Die Anbetung des antiken goldenen Kalbs hat eine neue und erbarmungslose Form gefunden im Fetischismus des Geldes und in der Diktatur einer Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel.“

„Wir haben neue Götzen geschaffen.“ „Es entsteht eine neue, unsichtbare, manchmal virtuelle Tyrannei, die einseitig und unerbittlich ihre Gesetze und ihre Regeln aufzwingt.“ „In diesem System, das dazu neigt, alles aufzusaugen, um den Nutzen zu steigern, ist alles Schwache (…) wehrlos gegenüber den Interessen des vergöttlichten Marktes, die zur absoluten Regel werden.“ Die Exkommunikation des Marktradikalismus durch den Vatikan erfolgt unmissverständlich, ungehalten, unerbittlich.

Der Zorn Gottes wird auf die Lehre der neoliberalen Apos­tel Friedrich August von Hayek, Milton Friedman, Ludwig von Mises herabbeschworen – und auf deren Gott, den Markt. Doch was heißt da „Lehre“? Diese Ökonomen sind Begründer einer Religion. Franziskus verdammt die Folgen ihres unchristlichen Glaubens, wenn er sagt: „Diese Wirtschaft tötet.“ Der Bischof von Rom lässt keinen Zweifel daran, dass seine Bannbulle sich gegen einen Götzendienst richtet: „Tyrannei eines vergötterten Marktes“ nennt er die herrschenden kapitalistischen Verhältnisse.

„Spätmarxistische“ Theologie
 

Und wie reagieren die Leib- und Liebediener eben jenes unfehlbaren Marktes? „Der Papst irrt“, erklärt Marc Beise mit kühnem Gestus in der Süddeutschen Zeitung. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zeiht Rainer Hank den katholischen Oberhirten erbittert der „spätmarxistischen“ Theologie. Verständlich, dass jetzt in den Wirtschaftsredaktionen der Teufel los ist. Hat man doch über Jahre und Jahrzehnte die Segnungen des Marktes gepredigt, hat man doch Tag für Tag der unsichtbaren Hand des Marktes gehuldigt, hat man doch das Heil beschworen für und für, das anbrechen werde von Ewigkeit zu Ewigkeit, wenn dereinst den Geboten des Marktgottes Genüge getan werde. Und nun dies: Ein Antikapitalist auf dem Stuhle Petri!

So jedenfalls belieben die Wortführer der Marktgläubigen zu behaupten. In der Welt unterschiebt die stellvertretende Chefredakteurin Andrea Seibel dem Papst die Sentenz: „Kapitalismus tötet“, als Zitat wohlgemerkt, in Anführungszeichen. Und Seibel rüffelt den Papst: „Franziskus hätte den Satz besser nicht gesagt.“ Er hat den Satz auch nicht gesagt. Im päpstlichen „Evangelii Gaudium“ ist die Passage nicht zu finden. Dort lautet die Formulierung: „Diese Wirtschaft tötet.“ Mit dem Satz meint der Papst ausdrücklich den Marktradikalismus – nicht etwa den Kapitalismus als Ganzes. Auch dies sagt der Papst: „Eine Finanzreform, welche die Ethik nicht ignoriert, würde einen energischen Wechsel der Grundeinstellung der politischen Führungskräfte erfordern, die ich aufrufe, diese Herausforderung mit Entschiedenheit und Weitblick anzunehmen.“

Finanzreform! Fordert so etwas ein Antikapitalist? Nein, so etwas fordert ein Reformer. Ein Kapitalismus-Reformer. Franziskus hat nichts gegen den Kapitalismus. Doch diagnostiziert er „ein in den Strukturen einer Gesellschaft eingenistetes Böses“, „ein Potenzial der Auflösung und des Todes“. Deshalb seien die kapitalistischen Strukturen zu ändern – ohne den Kapitalismus abzuschaffen.
Von seinen Vorgängern unterscheidet sich Franziskus darin allerdings grundsätzlich. Sie drückten ihr Unbehagen am Kapitalismus bestenfalls in Appellen aus: Die Menschen müssten sich betend bessern, die wirtschaftlichen Strukturen dagegen unangetastet bleiben.

Der Argentinier Franziskus hat in der Auseinandersetzung mit der südamerikanischen Befreiungstheologie gelernt, dass sich Ausbeutung und Armut, Entfremdung und Elend nicht durch einen Exorzismus der „Gier nach Macht und Besitz“ beseitigen lassen. Sondern nur durch die Veränderung des ökonomischen Unterbaus. Per Gesetz. Ist der Papst deshalb inkompetent? Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hält seine Thesen für „kaum haltbar“. Etwas anderes war von diesem Osservatore Romano des bundesdeutschen Finanz-Vatikans auch gar nicht zu erwarten. Die neoliberalen Kleriker kämpfen mit allen Mitteln um ihre Deutungshoheit: Sie allein wissen, was Kapitalismus ist – und niemand sonst. Sie allein wissen, was Liberalismus ist – und niemand sonst. Schon gar nicht ein Argentinier in Rom.

Echter Liberalismus bedeutet auch soziale Solidarität
 

Das aber ist gerade das Problem von Kapitalismus und Liberalismus: Ihre Prinzipien werden durch einen Pulk von Politikern, Publizisten und Professoren bis zur Perversion verengt. Alles sei Markt – Markt! Markt! Markt! Wer das einfältige Dogma zu durchbrechen sucht, ist Häretiker. Und sei es der Papst. In Wahrheit ist Kapitalismus ein segensreicher Teil der Demokratie, die ja unteilbare Freiheit voraussetzt: Denn freies Wirken als Bürger umfasst auch freies Wirken als autonomes Wirtschaftssubjekt, mit eigenem Besitz, mit eigenen materiellen Mitteln, immer eingebunden allerdings in eine gesellschaftliche Verantwortung, also nicht außer- oder gar oberhalb der Demokratie, vielmehr der Gestaltung durch die demokratische Politik unterworfen.

Ähnlich umfassend wäre die Kultur des echten Liberalismus zu verstehen, die als Gesellschaftsentwurf – und eben nicht allein als Wirtschaftsentwurf! – stets auch soziale Solidarität bedeutet. Wie sagt es der Papst? „Das Geld muss dienen und nicht regieren!“ Der Marktradikalismus dagegen erniedrigt den Menschen zum „homo oeconomicus“, zu „human resources“, zum Rohstoff Mensch: zum Rohstoffmenschen – zum Objekt von Markt und Wirtschaftsmacht. „Evangelii Gaudium“ verurteilt diese „Degradierung der Person“ mit den Worten: „Der Mensch an sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann.“ Der Bischof von Rom predigt damit gegen die brutale Dogmatik des herrschenden Markt-Mystizismus an, wonach der Mensch sich in einem nie endenden Überlebenskampf zu bewähren und durchzusetzen habe – schafft er das nicht, wird er als Sozialmüll entsorgt. Ja, er verliert sogar, nach der bigotten Interpretation von Hayeks, das Anrecht, ein wahl- und stimmfähiger Bürger zu sein.

Naives Vertrauen in die Reichen
 

Der Neoliberalismus spielt dabei unverfroren mit faschistoiden Kategorien: das Leben als Kampf, als Krieg, als Wirtschaftskrieg; Ausmerzen alles Unterlegenen, alles ökonomisch Besiegten; Verachtung alles Schwachen; Anbetung alles Starken; Degradierung der Demokratie zum „Fetisch“; Hass auf den bürgerlichen Staat; Usurpation von Staatsmacht durch Wirtschaftsmacht; Herrschaft über ökonomische Imperien; schließlich Neofeudalismus statt Bürgergleichheit. Franziskus weiß, wovon er spricht. Er zitiert sogar die marktradikale Trickle-down-Theorie, derzufolge vom Tisch der Reichen stets etwas hinabtropfe zum Segen derer ganz unten: „Diese Ansicht, die nie von den Fakten bestätigt wurde, drückt ein undifferenziertes, naives Vertrauen auf die Güte derer aus, die die wirtschaftliche Macht in den Händen halten, wie auch auf die vergötterten Mechanismen des herrschenden Wirtschaftssystems.“

Dem Stellvertreter in Rom geht es um die Glaubensfrage dieser Zeit: Welchen Kapitalismus wollen wir? Die Fratze? Oder das menschliche Antlitz?

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