- Gabriels gefährliche Kanzlerstrategie
Die SPD will auf ihrem Parteitag in Leipzig den Weg für ein rot-rot-grünes Bündnis freimachen. Es ist die einzige Machtoption der SPD – und für Sigmar Gabriel. Es ist eine Option mit Risiken
Jetzt also doch. Das rot-rote Tabu fällt. Die SPD will auf ihrem am Donnerstag beginnenden Parteitag eine Koalition mit der Linkspartei künftig nicht mehr ausschließen. „Wir wollen uns als linke Reformpartei, als linke Volkspartei so aufstellen, dass wir in Zukunft keine Koalition außer mit Rechtspopulisten und rechtsextremen Parteien ausschließen wollen“, erklärte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, ein entsprechender Passus wurde in den Leitantrag aufgenommen.
Damit ist der Weg für Rot-Rot-Grün frei. Bisher war eine solches Bündnis undenkbar: Weil die SPD-Spitze ein solches zwei Jahrzehnte lang kategorisch ausgeschlossen hat und weil in den Punkten Außenpolitik, Europa sowie Lafontaine vor allem mit der Linken kein Konsens bestand. Doch spätestens nach der herben Wahlniederlage der SPD bei der Bundestagswahl ist auch dem allerletzten Sozialdemokraten klar geworden: Die SPD ist aus eigener Kraft nicht konkurrenzfähig, und sie besitzt ohne die Linke keine bundespolitische Machtoption. Der Versuch, die SPD nach links zu rücken, um die Linkspartei aus dem Spiel zu nehmen, war abermals gescheitert. Nicht einmal aus dem Westen verschwand die ungeliebte Konkurrenz. Eine neue Strategie musste her – und ward nun gefunden.
[[{"fid":"59374","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":337,"width":247,"style":"width: 140px; height: 191px; margin: 4px 10px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]Doch wirklich überraschend ist das nicht: Der Cicero skizzierte bereits in seiner Septemberausgabe die heimliche Strategie des Sigmar Gabriel. Seine stillen Pläne, die eine Öffnung für ein rot-rot-grünes Bündnis vorsehen. Seit Jahren feilt er an dieser Machtoption. Es ist seine Kanzleroption.
„Science Fiction“ hat das Gabriel seinerzeit, auf den Cicero-Titel angesprochen, genannt. Doch die Fiction ist längst Realität.
Bei den gar nicht mehr fiktiven Koalitionspartnern rennen die Sozialdemokraten mit ihrer bündnispolitischen Kehrtwende indes offene Türen ein. Bereits Ende September schloss Grünen-Chef Cem Özdemir auf dem kleinen Parteitag ein rot-rot-grünes Bündnis nicht mehr aus. Und die Linkspartei freut's umso mehr: Gregor Gysi, Katja Kipping und Bernd Riexinger haben nie einen Hehl aus ihren rot-roten Bündnisplänen gemacht. Allerdings werden sie einige Mühe haben, ihre Genossen auf Linie zu bringen. Es gibt in der Partei noch genügend Sektierer, die von Bündnissen mit SPD und Grünen nichts wissen wollen.
Gabriels Frontenkrieg: Bismarcks Bündnispolitik ein Witz dagegen
Doch was bedeutet Gabriels Kanzlerstrategie für Schwarz-Rot? Mitten in die Koalitionsverhandlungen platzt die rot-rote Bündnisbombe. Noch bevor also die Große Koalition steht, wird dieser quasi von oberster SPD-Stelle die Nichtzukunftsfähigkeit attestiert. Noch bevor der Weg in die Koalition so richtig beschritten wurde, verkünden die Roten bereits ihre Exit-Strategie.
Dieses Spiel könnte Gabriel allerdings auf die Füße fallen. Er hat zwar kaum noch eine andere Wahl, als jetzt die rot-rote Büchse zu öffnen. Noch vor der Mitgliederbefragung muss er der Basis signalisieren, dass sie ruhigen Gewissens für Schwarz-Rot stimmen kann, weil ja bereits eine andere Machtoption gefunden sei, ein solches Bündnis also keinen Ewigkeitscharakter habe.
Aber Gabriel steht zugleich im Gravitationszentrum dieses SPD-Dilemmas. Retrospektiv könnte es später einmal heißen: Da hat der Gabriel dann doch auf einer Hochzeit zu viel getanzt. Denn: Im Grunde kämpft der SPD-Vorsitzende sogar an drei Fronten gleichzeitig: Er muss die Parteimitglieder in der anstehenden Befragung besänftigen, er muss sich der Linken widmen, und er darf gleichzeitig die CDU nicht vergrämen. Die Bündnispolitik Bismarcks war ein Witz dagegen. Gabriel könnte zwischen den vielen Fronten zerrieben werden. Das Risko, das er geht, ist hoch. Steht er die Herausforderung durch, könnte er als gefeierter Dompteur spätestens 2017 den Koalitionskäfig verlassen.
Angela Merkel ist gewarnt. Aber zahnlos ist sie bekanntermaßen auch wieder nicht.
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