- Wie der oberste Staatsanwalt die Medien austrickste
Seit Mittwoch gibt es keinen Zweifel mehr: In der NSA-Affäre ermittelt Generalbundesanwalt Harald Range, ob das Handy der Bundeskanzlerin unerlaubt abgehört wurde. Seriöse Nachrichtenmedien berichteten monatelang das Gegenteil. Der oberste Staatsanwalt narrte sie alle
Als Actionheld in Hollywoodfilm hätte Harald Range wohl keine Chancen mehr. Der 66-Jährige mit der eckigen Brille und dem schütteren weißen Haar würde wohl schon im Casting durchfallen. Trotzdem will er es noch einmal wissen: „James Bond 007 war gestern“, verkündete der enthusiastische Generalbundesanwalt am frühen Mittwochabend vor den Kameras. „James Bond 2.0 ist heute.“ Hat Deutschland in ihm seinen obersten Agentenjäger gefunden?
Der Jurist nimmt es mit einer unsichtbaren Macht im Internet auf: dem US-Geheimdienst NSA. Er ermittelt „gegen unbekannt wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit“ im Zusammenhang mit der Ausspähung von Angela Merkels Handy. Zur massenhaften Ausspähung deutscher Bürger ermittelt er zwar noch nicht. Aber er wird den Vorgang genau beobachten – und weiterhin Beweise sammeln. Weil sich die Bundesanwälte nun mit einer digitalen Großmacht anlegen müssen, hat der Chef sogar eine neue Sondereinheit gegründet: das Ermittlungsreferat „Cyberspionage“.
Wie es sich für Agentenstreifen gehört, wurde diese Spezialtruppe heimlich, still und leise aufgebaut. Ein halbes Jahr lang habe die Planungsphase gedauert, hieß es in einer Pressemitteilung.
Er hat sie überrascht, verwirrt, ausgetrickst
Harald Range hat sie alle überrascht, verwirrt, ausgetrickst. Allen voran: die Journalisten. Sie haben gerätselt, vermutet, kolportiert, spekuliert. Sie haben sich ins Innere der Bundesanwaltschaft gefräst. Sie haben Quellen im Bundesjustizministerium angezapft. Aber viel sprudelte nicht. Zumindest wenig Richtiges. Ein Ausschnitt der Berichterstattung:
7. April 2014. Der Focus meldet: „Jagd auf Agenten abgeblasen“. Nach „genauer Prüfung aller Hinweise und Akten“ werde Generalbundesanwalt Harald Range „wohl kein Ermittlungsverfahren wegen Spionage gegen die NSA und damit gegen das Pentagon in Washington einleiten“.
2. Mai. Georg Mascolo schreibt in der Süddeutschen Zeitung: Wenig spreche dafür, dass es zu einem Ermittlungsverfahren kommen werde. „In Berliner Regierungskreisen ist seit Wochen bekannt, dass in Karlsruhe schon an einer Einstellungsverfügung geschrieben wird. Range muss sie nur noch unterschreiben.“
5. Mai. Der Spiegel beruft sich auf die kursierenden Berichte und notiert: „Tatsächlich scheinen die Karlsruher Ermittler den Plan aufgegeben zu haben, ein Verfahren einzuleiten.“ Es habe ohnehin keine Aussicht auf Erfolg, denn „ohne Rechtshilfe aus den USA sei man machtlos“.
Gegen Range erhebt sich ein Proteststurm
Offiziell äußerte sich der Generalbundesanwalt nicht. Es gab keine Bestätigung, kein Dementi, aus der Pressestelle hieß es dazu stets nur schmallippig: Range werde sich „alsbald“ äußern.
27. Mai. Das Recherchetrio von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR ist sich jetzt aber wirklich sicher: „Generalbundesanwalt will in NSA-Affäre nicht ermitteln“, lautet die Überschrift, und weiter: Harald Range werde „keine Ermittlungen wegen Spionage in der NSA-Abhöraffäre aufnehmen“. Die Meldung geht an die Nachrichtenagenturen.
Im Internet erhebt sich ein Proteststurm. Im Bundestag hagelt es fraktionsübergreifend Kritik, die Grünen bezichtigen Bundesjustizminister Heiko Maas gar der politischen Einflussnahme. In der Satire wird Range karikiert, die Medien zeigen sich pikiert – auch Cicero Online, das keinerlei Auskunft aus Karlsruhe erhält, schimpft mit.
Harald Range wurde sogar persönlich angegangen. Er soll Morddrohungen per Mail, Brief und am Telefon erhalten haben. Im Netz riefen Linksradikale laut Informationen des Focus zu militanten Aktionen gegen den Spitzenjuristen auf.
Und das alles nur, weil eine Zeitung einen Bericht veröffentlicht hatte?
Hans Leyendecker, Investigativ-Chef der Süddeutschen Zeitung, sagte Cicero Online, sein Bericht vom vergangenen Dienstag (27. Mai) enthalte „keine falsche Tatsachenbehauptung“.
Tatsächlich erwähnten die SZ-Autoren auch, dass Generalbundesanwalt Range da noch nichts unterschrieben hatte. „Zu diesem Zeitpunkt lagen die Einstellungsverfügungen aber schon seit sechs Wochen vor“, erklärt Leyendecker. „Es gab keine Änderung der Argumentation, schon gar keinen Anfangsverdacht.“ Für den Freitag habe Range eine letzte Frist für mögliche Änderungen gesetzt. „Mehrere Quellen hatten bestätigt, dass Range zu diesem Zeitpunkt einstellen wolle. Dass es sich am Ende anders gefügt hat, das ist der Lauf der Zeit.“
Am Montag machte der Spiegel dann aber alles richtig. Es sei in der Strafsache NSA noch gar nichts entschieden, meldete das Magazin. „Entgegen Berichten von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR aus der vorigen Woche ist der Vorgang noch offen, und Range und seine Ermittler wollen sich Anfang dieser Woche noch einmal intensiv beraten.“
Gab es eine Kehrtwende bei Harald Range?
Obwohl der Spiegel damit seinem Konkurrenten fundamental widersprach, blieben die Reaktionen in Politik und Medien allenfalls überschaubar. Erstaunlich: Der Meldung des Recherchetrios glaubten sie alle, dem Spiegel wollte niemand folgen.
Sie taten es erst, als am Dienstag auch SZ, NDR und WDR das Richtige meldeten: „Bundesanwalt ermittelt nun doch“. Leyendecker und Mascolo nannten das eine „Kehrtwende“. Sie schrieben über „Irritationen“ in Berlin. Dass sie vielleicht selbst verwirrenden Fährten gefolgt waren, erwähnten sie nicht. Stattdessen der Satz: „Dann gab es doch die Wende, die aus Sicht der meisten Kritiker Ranges eine Volte der Vernunft und aus seiner Sicht vermutlich nur das Ende eines langen Abwägungsprozesses war.“
Oder hat sich Harald Range vielleicht doch dem Druck der harschen Kritik gebeugt? Spiegel-Redakteur Fidelius Schmid, der seit längerem mit dem Thema befasst ist, sagt aber auf Cicero-Online-Anfrage: „Mir ist keine Information bekannt, wonach es sich hierbei um eine Kehrtwende seitens Herrn Range handeln könnte.“ Auch die Bundesanwaltschaft bezweifelt das. In der Behörde herrscht schließlich das Chef-Prinzip: Alle Mitarbeiter arbeiten nur im Auftrag des Generalbundesanwalts – und der heißt Harald Range. Ohne ihn gäbe es auch keine Abteilung „Cyberspionage“. Doch Range wurde in den Berichten nicht persönlich zitiert.
Er hat die ganze Zeit eisern geschwiegen. Sich nicht zu den Meldungen geäußert. Und stattdessen über Monate fleißig gearbeitet. Vielleicht braucht Deutschland genau so einen Mann, um es mit den finsteren Geheimagenten 2.0 aufzunehmen.
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