- Steinbrück muss den Genscher machen
Jetzt ist es offiziell: Peer Steinbrück wird Kanzlerkandidat. Dies verkündete die SPD-Troika im Willy-Brandt-Haus. Die Personalie Steinbrück ist nicht nur eine Kampfansage an Angela Merkel, sondern die Weichenstellung für eine Ampelkoalition. Ein Kommentar
Peer Steinbrück selbst sprach von „ungelegten Eiern“. Eine Woche ist das her. Doch nun steht er auf der Bühne im Berliner Willy-Brandt-Haus und will davon nichts mehr wissen. Die ungelegten Eier, sie liegen nun. Der Kanzlerkandidat der SPD ist geschlüpft, Steinbrück tritt gegen Angela Merkel an. Ein letztes Mal trat am Freitag die alte Troika vor die Kamera, um eine neue zu verkünden.
Das Mienenspiel von Parteichef Sigmar Gabriel, dem Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück oszillierte zwischen Anspannung und Entladung, zwischen Erlösung und Aufbruch. Ein letztes Mal führte Gabriel das Trio an. Vor vier Wochen habe Steinmeier ihm signalisiert, dass er nicht antreten würde. Damit war der Weg für Steinbrück frei. Gabriel selbst hatte nach eigener Aussage nie vor, neben dem SPD-Vorsitz auch noch in die Rolle des Merkel-Herausforderers zu schlüpfen. Vor gut zwei Wochen schließlich ließ Gabriel Steinbrück bei einem Treffen in Hannover wissen: Du bist es!
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Eigentlich wollten die drei weiter munter schweigen. Den alten Fahrplan, der vorsah, den Kandidaten entweder Ende Januar oder frühestens im November zu küren, wollten sie eisern durchhalten. „Inhalte vor Personen“ lautete die Formel. Doch nachdem Cicero vor einer Woche das innerhalb der Troika bereits fest stehende Ergebnis verkündet hatte, machten die drei ihre Personalentscheidung nun offiziell.
Gabriel und Steinmeier legten vor. Sprachen vom „besten Kanzler für die SPD“. Steinbrück redete als letzter der drei und nahm die Herausforderung, gegen Merkel antreten zu dürfen, dankbar, fast demütig an. Seine zunächst verkniffe Ernsthaftigkeit entspannte sich zusehends, mit jedem gesagtem Wort, mit jedem Schritt in die neugewonnene Kanzlerkandidatenschaft.
Die Troika in Form gleichberechtigter Akteure ist nun Vergangenheit. Peer Steinbrück wird zum primus inter pares. Die Troika, die im ursprünglichen Sinne ein Dreigespann bezeichnet, in dem das mittlere Pferd trabt und die beiden äußeren galoppieren, wird sich neu formieren. Steinbrück wird sie als Kanzlerkandidat anführen, Gabriel soll auf der linken Seite des Wählerspektrums auf Stimmenfang gehen und Steinmeier die Mitte absorbieren. Er wird, so sagt er heute, in den Wahlkampf ziehen, als sei es sein eigener. Der Treueschwur kommt an.
Auch die Solidaritätsbekundungen aus der Partei ließen nicht lange auf sich warten. Steinbrück sei der personifizierte Versuch, „über die Anhängerschaft der SPD hinaus Zustimmung zu finden“. So formuliert es Münchens Oberbürgermeister Christian Ude. Doch Steinbrück ist noch mehr. Er ist ein Signal über den sozialdemokratischen Tellerrand hinaus in die bürgerliche Mitte, ein Signal an Unentschlossene. Die Personalie Steinbrück ist aber vor allem auch ein Zeichen für die FDP und damit die endgültige Absage an die Linke, die zuletzt der Sozialdemokratie die Hand reichte und wohl auf Gabriel als Kandidaten hoffte.
Und die SPD wird die FDP für einen Regierungswechsel brauchen. In einem Sechs-Parteien-Parlament (vorausgesetzt Linke, Piraten und auch die FDP schaffen den Sprung über die fünf Prozent) wird das von Gabriel, Steinbrück und Steinmeier favorisierte Bündnis zwischen Rot und Grün keine Mehrheit finden. Mit Steinbrück schickt die SPD einen ausgewiesenen Liberalen ins Rennen um das Kanzleramt. Der will sich, wie er im Bankenpapier andeutete, im Wahlkampf so linksliberal wie möglich präsentieren. Doch zugleich hat er nie einen Zweifel daran gelassen, dass er eigentlich ein Mann der politischen Mitte ist.
Steinbrück könnte für FDP die Chance sein, sich zu erneuern, sich aus einer Koalition zu lösen, in der sich die FDP fast bis zur Bedeutungslosigkeit aufgerieben hat. In der FDP indes kommen die Signale an. „Steinbrück ist derjenige, mit dem die Liberalen am ehesten reden können“, sagte Kubicki und fühlte bereits vor.
Die FDP braucht eine neue Machtoption. Seit die Partei in die schwarz-Gelbe Regierung eingetreten ist, verliert sie an Boden. Merkel gelingt es ein ums andere mal, die unpopulären Entscheidungen und Misserfolge der Regierung auf die FDP abzuwälzen. Immer waren die Kleinen schuld. Der politischer Dilettantismus in Gestalt des FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler lud Merkel geradezu dazu ein, den Juniorpartnern die politischen Grabenkämpfe zu überlassen und sich selbst nach außen als überparteilichen Moderator zu stilisieren.
Der angeschlagenen FDP kommt Steinbrück gerade recht. Doch anders als vor 30 Jahren hat die FDP keinen Genscher mehr. Der traute sich die Koalition mit Helmut Schmidt aufzukündigen und Kohl zum Kanzler zu machen. Doch den Genscher könnte nun stattdessen Steinbrück machen.
Vermutlich wird die schwarz-gelbe Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode halten. An vorgezogenen Neuwahlen können die Liberalen kein Interesse haben. Doch Angela Merkel kann seit heute nicht mehr damit rechnen, dass die FDP auch über den Wahltag hinaus treu an der Seite der Union steht. Mit Steinbrück hat die SPD wieder eine realistische Machtoption. Die Kanzlerin wird sich anders als vor vier Jahren auf ein Duell auf Augenhöhe einstellen müssen.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes, wurde darüber spekuliert, ob SPD, Grüne und FDP schon vor der Wahl Merkel stürzen und eine Ampelregierung installieren könnten. Doch verfügen die drei Parteien nicht über die dafür notwendige Kanzlermehrheit. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen
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