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FDP - „Nächste Woche tritt Rösler ab”

Ein Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Thorsten Faas über die günstige Ausgangsposition der Kanzlerin, die Bedeutung der Niedersachsen-Wahl für den Bund und die Zukunft der FDP

Autoreninfo

Christophe Braun hat Philosophie in Mainz und St Andrews studiert.

So erreichen Sie Christophe Braun:

Herr Professor Faas, hat Angela Merkel die Bundestagswahl schon gewonnen?
Eine solche Schlussfolgerung wäre sicherlich verfrüht. Von den letzten Bundestagswahlen wissen wir, dass immer mehr Menschen ihre Entscheidung erst relativ spät treffen. Frau Merkels Ausgangsposition ist günstig, ja – aber es kann durchaus noch spannend werden.

Günter Hofmann klagt, die Parteien würden einander immer ähnlicher, eigentlich könne jeder mit jedem koalieren. Teilen Sie diesen Befund?
Wie heißt es immer so schön: Alle demokratischen Parteien müssen untereinander koalitionsfähig sein. Aber der Beweis dafür steht noch aus: Lagerübergreifende Koalitionen sind bislang immer gescheitert. Auf Länderebene hatten wir ein Jamaika-Experiment; das hat nicht funktioniert. Und wir hatten ein schwarz-grünes Experiment; das hat auch nicht lange gehalten. Natürlich kann man das immer auf die jeweiligen Umstände schieben. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass es bislang noch kein stabiles schwarz-grünes Bündnis gegeben hat. Und es deutet derzeit auch nichts darauf hin, dass es in diesem Jahr Entwicklungen in diese Richtung gibt – weder in Niedersachsen noch im Bund. Ich erwarte eher, dass wir im Vorfeld der Bundestagswahl einen klassischen Lagerwahlkampf inklusive entsprechender Koalitionsaussagen erleben werden. Gerade die Sozialdemokraten haben erkannt, dass sie ihre Anhänger so am ehesten mobilisieren können.

Ist Peer Steinbrück dafür der richtige Kandidat?
Ja und nein. Wenn man an die Diskussionen der vergangenen Wochen rund um Peer Steinbrück denkt, so dürften gerade auch viele Anhänger des linken Steinbrücks dadurch irritiert sein. Auch ein Wahlkampffokus auf dem Thema „Soziale Gerechtigkeit“ ist dadurch alles andere als leichter geworden. Aber zugleich ist Peer Steinbrück auch ein Politikertyp, der eine klare Sprache spricht, der Themen besetzen kann. Er kann polarisieren und wird die Konfrontation mit der Kanzlerin nicht scheuen. Das passt sehr gut zu einem Lagerwahlkampf.

Am kommenden Sonntag wird in Niedersachsen ein neuer Landtag gewählt. Wie schätzen sie die Signalwirkung für den Bund ein?
Ausnahmsweise ziemlich groß. In der Regel ist es völlig verfehlt, wenn Landtagswahlen zu „Testwahlen“ für den Bund hochstilisiert werden. Aber in dieser speziellen Situation gibt es erstaunlich viele Parallelen zwischen den Wahlen: In beiden Fällen kandidiert ein äußerst beliebter und angesehener  Amtsinhaber; in beiden Fällen gibt es einen stark schwächelnden Koalitionspartner, dessen Existenz auf der Kippe steht. Die Parteien werden daher genau beobachten, was in Niedersachsen passiert und daraus ihre Schlüsse für die Bundestagswahl ziehen. Einen wichtigen Unterschied gibt es aber: Während der Einzug der Linkspartei in den niedersächsischen Landtag fraglich erscheint, dürfte sie den Einzug in den Bundestag schaffen. Das macht es für die derzeitige Bundesregierung nicht einfacher: Denn gegen drei Parteien – SPD, Grüne und Linke – eine Mehrheit zu erzielen, wird diesmal noch viel schwieriger als 2009.

Der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister und FDP-Parteichef Philipp Rösler haben Unionsanhänger aufgefordert, mit der Zweitstimme FDP zu wählen. Dadurch soll der Fortbestand der schwarz-gelben Koalition in Niedersachsen gewährleistet werden.
Sicher wird der eine oder andere Unionswähler mit diesem Hintergedanken sein Kreuz bei der FDP machen. Aber aus der Vergangenheit wissen wir, dass solche Leihstimmenkampagnen ziemlich problematisch sind. Denken Sie an die Wahl 2005. Damals haben viele Wähler aus dem sogenannten bürgerlichen Lager FDP gewählt statt CDU/CSU – mit der Konsequenz, dass es für Schwarz-Gelb nicht reichte und eine geschwächte Union in die Große Koalition gehen musste. Außerdem wissen wir, dass viele Wähler die Unterschiede zwischen Erst- und Zweitstimme nicht berücksichtigen. Das macht eine Leihstimmenkampagne auch schwierig. Schließlich: Bei Leihstimmenkampagnen frage ich mich immer, wie die Wähler der „Verleiher“-Partei sich koordinieren sollen – wie soll das konkret funktionieren? Die werden sich ja kaum alle an einem geheimen Ort treffen und dann die Verleiher bestimmen.

Seite 2: „Auf der Zielgeraden zur Wahlurne tut sich ziemlich viel”

Wie wird es für die FDP nach der Niedersachsen-Wahl weitergehen?
Unabhängig vom Ausgang der Wahl wird es personelle und wahrscheinlich auch ein paar inhaltliche Veränderungen geben. Die personelle Frage, die aktuell im Raum steht, lautet natürlich: Wird es für Philipp Rösler noch eine Chance geben, oder ist sein Ende als Parteivorsitzender längst beschlossene Sache? Seine Rede zum Dreikönigstreffen vor zwei Wochen war keine kämpferische Aufbruchsrede, sondern eine sachliche, nüchterne Rede, für den Anlass kaum angemessen. Sie hatte Züge einer Abschiedsrede. Vor diesem Hintergrund darf man wohl davon ausgehen, dass er nächste Woche abtritt – und zwar unabhängig vom Wahlausgang. Sollten dann Rainer Brüderle und Christian Lindner an Bedeutung in der Partei gewinnen, wird das mittelfristig auch inhaltliche Änderungen mit sich bringen: Die FDP würde sicher offener für einen  eher sozialliberalen oder einen Ampel-Kurs.

Welche Rolle werden die Wechselwähler bei der Niedersachsen-Wahl spielen?
Die Schwankungen bei Landtagswahlen haben ein Ausmaß erreicht, das es früher so nicht gab. Das gilt vor allem für die Länder-, aber durchaus auch für die Bundesebene: Denken Sie an Schröders Aufholjagd im Jahr 2005 oder an den Absturz der SPD vier Jahre später. Auf der Zielgeraden zur Wahlurne tut sich inzwischen ziemlich viel. Die Frage ist: Woran liegt das? An den Wechselwählern – also Wählern ohne feste Parteibindung – oder an der Mobilisierung von Wählern, die zunächst noch zögern, ob sie überhaupt zur Wahl gehen sollen?  Ich denke, dass bei Landtagswahlen Mobilisierungserfolge wichtiger sind als das Überzeugen von strategischen Wechselwählern. Niedersachsen wird von derjenigen Partei gewonnen, der es besser gelingt, ihre Anhängerschaft zu mobilisieren. Die Wahlbeteiligung lag vor fünf Jahren bei 57 Prozent – da ist noch viel Luft nach oben. Die Sache hat freilich einen Haken: Mobilisierung braucht Zuspitzung. Die beiden Spitzenkandidaten Stephan Weil und David McAllister verfolgen aber einen eher pragmatischen, nüchternen Politikstil. Der ist für Zuspitzung kaum geeignet.

Ein anderes wiederkehrendes Problem sind die Nichtwähler.
Wir müssen uns insgesamt stärker mit der Frage der Wahlbeteiligung beschäftigen. Über die Nichtwähler wissen wir fast nichts. Aber natürlich kann man erkennen, dass Parteien das Phänomen der Nichtwahl in ihrem strategischen Kalkül berücksichtigen – mit der Folge, dass sie sich um bestimmte Wählergruppen nicht kümmern.

Sie haben die Einführung einer Wahlpflicht ins Spiel gebracht.
In manchen Ländern gibt es die Wahlpflicht schon seit Langem. Die machen damit sehr gute Erfahrungen. Aber natürlich macht es einen Unterschied, ob eine Wahlpflicht längst besteht oder ob sie erst eingeführt werden muss. Trotzdem sollten wir uns mit dem Thema beschäftigen. Welche Konsequenzen hätte die Einführung der Wahlpflicht – nicht nur für die Bürger, sondern auch für die Parteien? Die müssten sich nämlich um Gruppen kümmern, die sie bisher ignorieren. Das ist eine Überlegung wert.

Herr Professor Faas, ich danke Ihnen für ein Gespräch.

Thorsten Faas ist Professor für Politikwissenschaft im Bereich „Methoden der empirischen Politikforschung“ an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz.

Das Gespräch führte Christophe Braun.

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