- Linke sind die neuen Konservativen
Den Gegensatz, der einmal daraus bestand, dass links sein bedeutete, permanent zu verändern und konservativ sein hieß, Altes zu bewahren, gibt es nicht mehr. Der Konservatismus hat längst Einzug ins linke Milieu erhalten
Ernst Jünger, ein Biedermeier auf LSD? Der Autor von „In Stahlgewittern“ schrieb nicht nur über Rauschzustände, er erlebte sie auch. Mit dem befreundeten LSD-Entdecker Albert Hoffmann gönnte er sich schon mal das ein oder andere Portiönchen Acid oder begab sich mit Freude und Freunden auf abseitige Meskalin-Abenteuer. Und so ist dann auch Jüngers Schrift „Zu Besuch auf Godenholm“ Papier gewordenes Resultat halluzinogener Bewusstseinserweiterung. In einem Brief empfahl Jünger seinem Schriftstellerkollegen Gottfried Benn, doch auch einmal das psychedelische Experiment zu suchen. Doch Benn der Eigenbrötler zierte sich.
Der steif-pathetische Kriegsglorifizierer Ernst Jünger, der deutscheste unter den Deutschen, verstand sich mal als Nationalist, mal als konservativer Revolutionär. Er besang den Heldentod und verachtete die Weimarer Republik. Alles Libertäre war ihm verhasst, er schätze Ordnung und Disziplin. Und doch würdigte er die Unordnung und den Kontrollverlust eines handfesten Drogenrausches gleichermaßen. Es ist diese Ambivalenz eines Konservativen, die Jünger zwischen Tradition und progressiver Neugier leben ließ.
Auch wenn Jüngers extrem widersprüchlicher Habitus der eigenen Person geschuldet ist, so finden sich diese Ambivalenzen im Kleinen auch in der Denkrichtung des Konservatismus. Paradoxien sind konstitutiv für ein Denken, dass sich nach keinem Programm, sondern zu aller erst nach einem Gefühl richtet. Und nichts anderes ist Konservatismus: ein Gefühl moralischer Überlegenheit, das aus dem Glauben heraus, Altes zu schätzen und zu bewahren, richtiges Handeln abzuleiten sucht. Ein Gefühl, an dessen Ende eine unveräußerliche Haltung steht. Im Kern geht es dem Konservativen immer um die gleiche Sentenz: das Bewährte vor zweifelhaftem Fortschritt zu schützen.
Konservatismus: So diffus sein Verständnis, so unklar seine Bedeutung
Begreift man diese Widersprüchlichkeit positiv, neigt man schnell dazu, sie als Dialektik zu verkaufen. Fest steht, der Konservatismus bot immer schon Angriffsfläche für beliebige Interpretationen und neigt historisch betrachtet zu allerlei Antagonismen. Seine Kontinuität liegt im Paradoxon: So waren es konservative Geister wie Ernst Jünger oder Carl Schmitt, die die Demokratie oder den Parlamentarismus bekämpften und heute sind es Konservative, die sich als Hüter demokratischer Werte verstehen und die Menschenwürde in die Mitte ihres politischen Denkens rücken. Und die Wahrer von heute finden sich vor allem im politisch linken Spektrum.
Es ist, wie es der Wissenschaftler Andreas Rödder skizziert, das Dilemma konservativen Denkens, dass er heute verteidigt, was er gestern bekämpft hat. Mit anderen Worten: Aus der Logik konservativen Denkens heraus lässt sich argumentativ eine Diktatur genauso wie eine Demokratie bewahren.
Der Ur-Konservatismus, der sich in Opposition zum Rationalismus der Aufklärung und zum Radikalismus der Französischen Revolution erfand (und sich später in Deutschland besonders in der Ablehnung zu Weimarer Republik profilierte) hat sich längst mit der Aufklärung versöhnt. Sieht man einmal von dogmatischen Strömungen und katholischen Hardlinern ab.
Wenn sich aber der heutige Konservative als Wahrer von Demokratie und Rechtstaatlichkeit geriert, muss immer auch bedacht werden, dass die Emanzipation der Frau, der Abbau autoritärer Strukturen, Massenwohlstand und Demokratisierung im 20. Jahrhundert auch und vor allem entgegen konservativer Kräfte erkämpft wurden.
Der heutige Konservatismus hat sich ein liberale Kleid übergestreift, um am Leben zu bleiben. Er musste auf die Demokratisierung und Liberalisierung westlicher Gesellschaft mit Liberalität reagieren. Insofern sind auch Pragmatismus, Wandelbarkeit und Anpassungsfähigkeit konstitutive Wesensmerkmale des Konservatismus. Friedrich August von Hayek beschrieb dieses Phänomen wohl am eindrücklichsten, wenn er sagt, das typische Dilemma des Konservativen sei „einen Weg entlanggezerrt zu werden, den er selbst nicht gewählt hat“.
Kein geringerer als der Vorzeigekonservative Strauss formulierte diesen an die Liberale Wirklichkeit angepassten Konservatismus in einem für ihn typischen Duktus: „Konservativ heißt, nicht nach hinten blicken, konservativ heißt an der Spitze des Fortschritts marschieren.“ Bei dieser Formulierung folgte Strauss der Philosophie Edmund Burkes, dem Urvater des Konservativismus, der konservatives Denken nicht als Betonierung des Status Quo verstand, sondern als die behutsame Verbesserung des Bestehenden mit dem klaren Ziel, es so langfristig zu bewahren.
Der neue Konservatismus ist links
So finden wir heute konservatives Gedankengut nicht nur bei denen, die sich selbst zum Konservatismus bekennen – allen voran bei Hardlinern, die gegen Abtreibung und Homo-Ehe wettern –, sondern wir finden ihn strukturell auch dort, wo ihn niemand erwartet: im politisch linken Spektrum. Bei jenen also, die einst antraten, um der Reaktion den Gar auszumachen. Mehr noch: Was einst entgegen konservativer Kräfte erkämpft wurde, wird nun selbst zum Gegenstand konservativen Bewahrens. Die Sicherung der Errungenschaften emanzipatorischer Bewegungen ist längst auch ein konservatives Projekt geworden. Nicht nur, weil der Fortschritt seine Richtung ändert, sondern auch, weil es darum geht, Besitzstände und Privilegien zu wahren. Denn: Die Errungenschaften von gestern sind die Privilegien von heute.
Insofern ist die These vom Rückzug des Konservativen, das gebetsmühlenartig wiederkehrende Klagelied vom Ausverkauf konservativer Werte, falsch. Im Gegenteil: Die deutsche Gesellschaft ist vermutlich so konservativ wie seit Jahrzehnten nicht. Nicht selten ist sie fortschrittsfeindlich und autoritär, gerade nach der Finanzkrise, die den Fortschrittsglaube der Deutschen tief erschütterte.
Der konservative Bewahrerinstinkt ist heute gerade in den grünen Großstadtmilieus stärker denn je. Der Philosoph und Journalist Alexander Grau beschrieb die Grünen jüngst als die neue konservative Partei der Biedermeier. Und es existieren erstaunliche Parallelen. So finden wir bei den Grünen eine Art vormundschaftlicher Herrschaftsordnung, die auf einer, durch Ethik und Moral legitimierte Ideologie des Rechthabens fußt und weniger auf rationale Argumente setzt. Grünes Selbstverständnis basiert klassisch-konservativ auf dem Gefühl moralischer Überlegenheit. Grau dazu: „Bezog der Konservative alt hergebrachter Provenienz die Legitimation seiner Normen aus der Tradition, so beruft sich der grüne Neukonservative hingegen auf eine universale Verantwortungsethik, die scheinbar rational fundiert ist“.
Insofern hat sich der traditionelle Konservatismus auch hier angepasst, hat sich verlagert, sich neue Inhalte gesucht und ist sich dennoch im Kern treu geblieben. „Seinen Grundimpuls, die moralische Entrüstung, haben auch die grünen Neukonservativen beibehalten. Statt über laxe Sitten, eine verlotterte Sexualmoral und schlechte Erziehung erregt sich der neue Konservative über zu stark motorisierte Autos, Konsumgeilheit und sozialen Egoismus. Beide Konservativismen eint jedoch – und das ist der Kern jedes Konservativismus – die Idee allgemeingültiger Werte, die wiederum politische Eingriffe in die Lebensentwürfe jedes Einzelnen legitimieren.“, formuliert Grau und ergänzt: „Die gemeinsame emotionale Basis von traditionellen und neuen Konservativen ist Angst. Genauer: die Angst vor der Unberechenbarkeit moderner Lebenswelten. Diese Angst zeigt sich bei Traditionskonservativen etwa in der Furcht vor Kriminalität, bei Grünkonservativen in der Panik vor Klimakatastrophen oder einem atomarem GAU. Das neue Biedermeier ist ökologisch, sozial, kinderfreundlich und verantwortungsvoll.“
Schnittmenge Bürgerlichkeit
So ist es kein Zufall, dass ausgerechnet im konservativsten aller Länder, im Ländle Baden-Württembergs, ein grüner Ministerpräsident regiert. Wilfried Kretschmann ist der Prototyp der grünen Konservativen. Seine politische Selbstverortung fällt dann auch folgendermaßen aus: „Meiner Meinung nach sind die Grünen in Baden-Württemberg inzwischen die einzige im echten Sinne konservative Partei. Wir wollen die Schöpfung bewahren und gute alte Werte ebenso.“
Gerade in der Atomfrage zeigt sich das grün-konservative Profil: Wer für die Erhaltung und Bewahrung der Schöpfung ist, kann schlechterdings für lebensfeindliche Technologien eintreten. Der neue Konservatismus findet seine Schnittmenge im linksliberalen Milieu vor allem in der Bürgerlichkeit. Denn bürgerliche Schichten neigen immer schon im Besonderen dem Konservatismus zu, da sie etwas zu verteidigen haben: Besitz, Einfluss, Wohlstand. Die Grünen, die sich aus einer Protestbewegung heraus formierten, die wiederum einer bürgerlichen Mittelschicht entstammt, haben auch heute eine fast ausschließlich bürgerliche Klientel.
Die Bewahrer von heute finden sich vor allem auch in der politischen Linken. Ob in der SPD oder in der Linkspartei: Die Wahrung ur-sozialdemokratischer Werte hat Konjunktur. So verteidigte die SPD-Linke die alte Sozialdemokratie gegen Schröders Agendapolitik. Auch die Gewerkschaften zeigten sich fortschrittlich als sie Arbeitzerrechte erkämpften und konservativ, als sie den Status Quo bewahren wollten.
Gerade auch die als progressiv geltende 68er Bewegung hatte etwas zutiefst Konservativ-bürgerliches. Im Besonderen die Radikaleren, die sich in der Neuen Linken formierten, übernahmen ur-konservatives Vokabular: In den unterdrückten „Völkern“ fand die Neue Linke eine Art Ersatznationalismus. Im Zuge einer einseitigen Identifikation im sogenannten Trikont opferte die Neue Linke in den 1970er Jahren ihre anationale Positionierung zugunsten eines Selbstbestimmungsrechts der Völker. Die Glorifizierung völkischer Befreiungsmythen ging einher mit einer unreflektierten Glorifizierung der Begriffe „Nation“, „Staat“, „Volk“. Auch heute fußt das immer wieder gerade von linker Seite propagierte „unverhandelbare“ Recht auf die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge nicht selten auf einem völkischem Blut- und Boden-Pathos .
Auch nimmt es nicht wunder, dass sich der konservative Peter Gauweiler und der linke Oskar Lafontaine politisch in vielen Feldern doch sehr nahe kommen. Sei es in Fragen nach der europäischen Integration oder in ihrer Kapitalismuskritik. Beide teilen nahezu identische Inhalte. Wirtschaftsfeindlichkeit und Konservatismus waren seit jeher eng miteinander verzahnt. Es wundert daher nicht, dass sich konservatives Denken – und das war es vor dem Krieg fast immer – antikapitalistisch geben kann.
Den Gegensatz, der einmal daraus bestand, dass links sein bedeutete, permanent zu verändern und konservativ sein hieß, Altes zu bewahren, gibt es nicht mehr. Auch die Mode hat unlängst reagiert. So kann der rechtschaffende Konservative statt in biederer Sonntagsmontur mittlerweile auf hippes Merchandise zurückreifen. Ein findiges Internetunternehmen verkauft T-Shirts mit den konservativen Konterfeis von Jünger, Stauffenberg oder wahlweise dem Alten Fritz. Ché Guevara war gestern.
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