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Landtagswahlen - Flüchtlingsfrage entscheidet den „Super Sunday“

Kolumne: Leicht gesagt. Wie die Parteien sich zur Flüchtlingspolitik der Kanzlerin positionieren, wird zum entscheidenden Faktor bei den kommenden Landtagswahlen werden. Trotz Kritik aus den CDU-Reihen steht die AfD mit ihrem Anti-Flüchtlings-Kurs allein da

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Es sagt sich leicht, dass es ja nur Landtagswahlen seien. Es ist gut möglich, dass alles so bleiben wird wie es ist an den Spitzen von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Dennoch ist die Berliner Politik enorm unruhig und zählt die Stunden. Kein EU-Gipfel und kein Duell kann noch etwas herumreißen.

Allein rechnerisch steuern wir am Sonntag auf einen „Super Sunday“ zu. Bei den drei Landtagswahlen werden 20 Prozent der Deutschen eine neue Regierung bekommen − oder die alte behalten. Doch es geht um weit mehr, und zwar für jede der drei Parteien, die in den drei Ländern in der Staatskanzlei sitzen.

Die CDU hat in Sachsen-Anhalt mit Reiner Haseloff ihren zweitletzten ostdeutschen Ministerpräsidenten zu verlieren. Bei der SPD geht es in Rheinland-Pfalz mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer um den Machterhalt eines Landes, das nun seit 25 Jahren rot regiert wird. Historiker nennen das eine Generation – und es ist bis heute der Stolz der SPD, das Ur-Land Helmut Kohls sozialdemokratisiert zu haben.

Eigentlich wird über Bundespolitik abgestimmt
 

Die Grünen wiederum haben in ihrem Geburtsland Baden-Württemberg die Chance, sich als wahre Partei der neuen Mitte zu beweisen. Denn erstmals seit ihrer Gründung vor über drei Jahrzehnten geht es für sie mit Winfried Kretschmann um die Wiederwahl eines Ministerpräsidenten.

Schwarz, Rot und Grün haben bei den Landtagswahlen einen bundespolitischen Anspruch. Insofern passt es, dass bei diesen Wahlen eigentlich über Bundespolitik abgestimmt wird. Auch wenn die Flüchtlingssituation eigentlich Europa-, genauer: Welt-Politik ist.

Die Lage ist nun extrem verdreht. Die Uneinigkeit der EU und die Einigkeit von Schwarz-Rot-Grün stellt all diese Parteien vor massive Probleme. Denn die Etablierten folgen dem politischen Kurs von Kanzlerin Merkel darin, dass ein europäisches Miteinander ausgehandelt werden muss. Und sie hüten sich davor, die Sofortlösung zu fordern oder gar zu präsentieren. Wie gut „Grenze dicht“ funktioniert, ist ja derzeit in Griechenland zu sehen. Kollabiert dieser Staat, verliert die ganze EU das Zigfache dessen, was derzeit das Grenzland Türkei als Summe fordert.

CDU-Spitzenleute verlieren durch ihre Merkel-Kritik
 

Das scheinen immer mehr Deutsche einzusehen. Die „Forschungsgruppe Wahlen“ hat festgestellt, dass die Zustimmung zur Flüchtlingspolitik Merkels wieder steigt und auch das Ansehen der Kanzlerin. Weil sie ohne Rücksicht auf Landtagswahlen weiter um die EU-Türkei-Lösung kämpft. Doch den CDU-Spitzenleuten, die sich gegen Merkel gestellt hatten, scheint das nicht mehr zu helfen.

Am wenigsten leidet – den Umfragen nach – Haseloff. In Sachsen-Anhalt bleibt die CDU stabil bei traditionell 30 Prozent – und damit immerhin stärkste Partei. In Rheinland-Pfalz jedoch ist der Vorsprung für den so sicher geglaubten Sieg von Julia Klöckner dahin. Und die Aussichten zur Regierungsübernahme in Baden-Württemberg waren noch nie so trüb.

Doch nicht allein die Flüchtlingsfrage entscheidet über Sieg oder Niederlage. Baden-Württembergs CDU führt ihren ersten Wahlkampf aus der Opposition heraus und das gelingt ihrem Spitzenkandidaten Guido Wolf nur sehr schlecht. Auch wegen seines Zick-Zack-Kurses in der Flüchtlingspolitik. Erstmals in der Landesgeschichte könnte die CDU nicht mehr stärkste Fraktion im Stuttgarter Landtag werden und 15 Wahlkreise oder mehr verlieren. Spitzenkandidat Wolf spricht schon jetzt von einem „Stahlbad“ für seine Partei.

Merkel: Wähler können Unzufriedenheit an der Nasenspitze ansehen
 

Die Kanzlerin ist nun fast täglich in den Ländern im Wahlkampf. Doch mit landespolitischen Befindlichkeiten hält sie sich nicht auf. Sie vergleicht Helmut Kohls Kampf um Europa mit ihrem – und sie mahnt die Wahlkämpfer der CDU, jetzt im Endspurt nicht an ihr zu zweifeln. Vielleicht könnten die Wähler nicht jedes detaillierte Argument verstehen, erklärt sie den Verunsicherten. „Aber ihnen an der Nasenspitze ansehen, ob sie zufrieden sind oder unzufrieden, das können die ziemlich gut.“

So klingt ihre Abrechnung mit Wolf und Klöckner. Denn die waren mehr als „unzufrieden“ mit Merkel. Sie hatten in einem gemeinsamen Papier „tagesaktuelle Kontingente“ gefordert, also eine Art Obergrenze für Flüchtlinge. Und das sehen ihnen die Wähler nun an der Nasenspitze an, wie die Umfragen zeigen. Diese Wähler wandern ab. Und sehr viele davon zu den flüchtlingspolitischen Loyalisten Merkels.

Die SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer geriert sich Merkel-nah. Ihrer Gegnerin Klöckner konnte sie im Duell einen Tiefschlag verspassen mit dem Satz: „Da stehe ich aus meiner Sicht erheblich deutlicher hinter der Strategie von Kanzlerin Merkel als Sie, liebe Frau Klöckner.“

In Baden-Württemberg aber könnte die mitregierende SPD dramatisch einbrechen – trotz Merkel-Lob. Denn hier räumt schon ein anderer als „Merkelianer“ ab: Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Dass er für Merkel bete, lobte jetzt der frühere Außenminister Joschka Fischer öffentlich mit der Frage: „Wenn Angela Merkel eben Europa nicht mehr zusammenhält. Wer denn dann?“ Kretschmann führt die Umfragen an in Baden-Württemberg.

Auch Linke und FDP stehen auf Merkels Seite
 

Die Regierungschefs also profitieren. Doch Rot und Grün rauschen ab, wo sie nicht an der Spitze stehen: die SPD in Baden-Württemberg und die Grünen in Rheinland-Pfalz. Denn landespolitische Debatten dringen nicht durch. Und Unterschiede in dem Flüchtlingsthema herzustellen, verfängt nicht. Gabriels Versuch, das Ur-SPD-Thema soziale Gerechtigkeit auch in der Flüchtlingsdebatte zu fordern, bringt kaum Beifall. In Baden-Württemberg fordert er die Wähler nur noch resigniert dazu auf, „zwei Dinge zu machen: am 13. hinzugehen und ´ne demokratische Partei zu wählen“.

In allen drei Ländern sind in der Flüchtlingsfrage auch Linke und FDP mehr oder minder auf Linie der Regierenden. Die Linke sah mit Wulf Gallert in Magdeburg schon Deutschlands zweiten linken Ministerpräsidenten. Doch er verliert seit der Flüchtlingskrise mit seinem Merkel-Kurs, weil er eben nicht regiert.

Von den Altparteien, die keinen Ministerpräsidenten stellen, profitiert in der Flüchtlingsfrage einzig die FDP etwas, weil sie sich rechts von Merkel positioniert. Allerdings lehnt auch sie nicht total den Flüchtlingskurs ab.

AfD bei 20 Prozent
 

Das macht nur die AfD und könnte so zweistellig werden in allen drei Ländern. Und sie nennt unverblümt ihr bundespolitisches Ziel: vorgezogene Bundestagswahlen. Die Vorsitzende Frauke Petry sagte dem ZDF: „Je dramatischer die anderen Parteien verlieren, desto eher stellt sich die Frage, wann die Bundestagswahlen tatsächlich stattfinden sollen.“

Aber ist mit einem absehbaren Erfolg der AfD tatsächlich die Flüchtlingspolitik durchgefallen? Denn selbst bei einem 20-Prozent-Ergebnis der AfD stünden dem immer noch 80 Prozent Wähler anderer Parteien gegenüber, die in einem weitgehend monothematischen Wahlkampf Partei für Merkel ergriffen haben. Besser gesagt: Parteien, denn es sind fünf. Und die AfD nur eine.

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