Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Landtagswahl - Gut, besser, Bayern?

In Bayern wird am Sonntag ein neuer Landtag gewählt - in dem Freistaat, der vor Selbstbewusstsein strotzt. Was hat das Bundesland, das andere nicht haben? Ein Faktencheck

Autoreninfo

Guyton, Patrick

So erreichen Sie Patrick Guyton:

Am berüchtigten „Mia san mia“-Selbstbewusstsein mangelt es den Bayern nicht. Es gibt unzählige Erhebungen, die belegen sollen, dass der Freistaat an der Spitze der Republik steht. So lieben die Bewohner, auch die Zugezogenen, ihre Heimat mehr als anderswo und sagen gerne: „Ich bin stolz, ein Bayer zu sein.“ Den Freistaat will kaum jemand verlassen. Und in Oberbayern soll es, glaubt man der Statistik, die gesündesten Menschen geben. Am Sonntag wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt. Grund genug, das Bundesland einem genaueren Faktencheck zu unterziehen.

LAND UND LEUTE

Während die Bundesrepublik schrumpft, werden die Bayern immer mehr.

Einen Anstieg von 1,5 Millionen Einwohnern innerhalb von 25 Jahren verzeichnen die Statistiker, mittlerweile leben 12,5 Millionen Menschen im Freistaat. Doch die Verteilung ist ungleich: Die Großstädte und der Süden boomen – mit all den Problemen wie Wohnungsmangel –, im nördlichen und östlichen Teil geht die Bevölkerung hingegen zurück. Das führt auch zu den im Wahlkampf immer wieder beklagten Schließungen von Schulen und Kürzungen in der Infrastruktur.

Bayern ist das Land der "vier Stämme", doch über Migranten wird nicht geredet

Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) teilt die Bevölkerung gern historisch in die „vier Stämme“ ein. Das klingt befremdlich für Nicht-Bayern. Seehofer meint damit die „Altbayern“, die Franken, die Schwaben – und die Heimatvertriebenen, deren gute Eingliederung in den 1950er Jahren auch heute noch auf CSU-Veranstaltungen regelmäßig gelobt wird. Weniger wird über neuere Migranten geredet, etwa aus der Türkei, Süd- und Osteuropa. Deren Anteil liegt, entgegen den Erwartungen, in den Großstädten München und Nürnberg höher als etwa in Berlin.

Bayern gegen Franken gegen Schwaben – es ist ein beliebtes Spiel, auf den anderen herabzublicken und angebliche Charakterschwächen aufzugreifen. Zu beobachten ist aber, dass die Franken sich oft benachteiligt sehen und leicht als beleidigt erscheinen. Balsam für die fränkische Seele: Nach jahrelangen Forderungen wird es in der ARD nun einen eigenen Franken-„Tatort“ geben.

WIRTSCHAFT UND BESCHÄFTIGUNG

Gut, besser, Bayern – so sieht es im Freistaat nach Ansicht der CSU aus. Die Arbeitslosenquote lag im August 2013 mit 3,8 Prozent bundesweit am niedrigsten, während Berlin mit 11,7 Prozent an der Spitze steht. Viele Betriebe vor allem in München und Oberbayern suchen Fachpersonal. Schlechter bezahlte Jobs werden immer seltener von Bayern besetzt, die Bedienungen etwa in den Touristengebieten sprechen meist Sächsisch mit den Gästen. Dennoch hat der Freistaat mit einem Bruttoinlandsprodukt je Einwohner von 36 865 Euro im Jahr 2012 nicht die höchste Wirtschaftskraft unter den bundesdeutschen Flächenstaaten: Hessen liegt als Spitzenreiter 800 Euro darüber. In Berlin sind es 29 455 Euro.

Die Wirtschaft in Bayern wächst nur durchschnittlich

Die Wirtschaft lief 2012 nicht so gut, wie es den Anschein hatte. Verzeichnet wurde ein Anstieg der Wirtschaftskraft um 0,7 Prozent, das ist „nur“ deutscher Gesamtschnitt. SPD, Grüne und Gewerkschaften im Freistaat kritisieren die Zunahme von Billigjobs.

BILDUNG

In den allermeisten Schülerrankings belegt Bayern den Spitzenplatz, das lobt vor allem die CSU. Der Wissensvorsprung von bayerischen Kindern im Vergleich zu Bremen oder Berlin wird auf bis zu zwei Jahre geschätzt. Also alles super im „Chancenland Bayern“, wie die Christsozialen werben? Das gilt nicht so sehr für die Chancen von Kindern aus ärmeren Familien. SPD-Spitzenkandidat Christian Ude prangert das immer wieder an. Der Nachwuchs von Akademikern macht im Freistaat sechs Mal so häufig Abitur wie der aus Arbeiterfamilien. In Berlin liegt dieser Wert bei zweieinhalb.

„Das grün-rote Baden-Württemberg streicht Lehrerstellen, wir stocken auf“, jubelt Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU). Der Wettbewerb mit dem Nachbarland ist reizvoller geworden, denn die beiden Länder, die einst die schwarze Südschiene bildete, sind nun politische Gegner geworden.

Der Unmut an den Schulen in Bayern wächst

Konkrete Probleme bei den Schulen gibt es aber in nahezu jeder Gemeinde. Die CSU ist sich bewusst, dass wachsender Unmut unter Eltern, Schülern und Lehrern landespolitisch brandgefährlich ist. Bei der Ganztagesbetreuung baut der Freistaat kräftig aus, allerdings von einem sehr niedrigen Niveau aus. Immer wieder wird der Druck des dreigliedrigen Schulsystems beklagt, vor allem in der 4. Klasse, nach der die Schüler wie eh und je schon in Gymnasium, Realschule und Mittelschule (die ehemalige Hauptschule) aufgeteilt werden.

Ein spezielles Thema ist der permanente Ärger über das vor einem Jahrzehnt eingeführte achtjährige Gymnasium (G 8). Tatsache ist: Für viele Schüler stellt der Lehrplan mit seiner Stofffülle in viel zu knapper Zeit ein großes Problem dar. 40, 50 oder 60 Stunden Arbeit pro Woche werden errechnet, andere Aktivitäten und Freizeit fallen vor allem in den höheren Jahrgängen weitgehend flach. Die Staatsregierung hat sich lange taub gestellt, nun gibt es das sogenannte „Flexi-Jahr“ – ein zusätzliches freiwilliges Jahr für schwächere Schüler vor der Oberstufe, um den Stoff zu vertiefen. Die Opposition sieht dies als Murks an. Sie bevorzugt weniger Stoff in acht Jahren oder die Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9.

ENERGIEWENDE

Eines der wichtigsten Wahlkampfthemen ist die Energiewende. Die Konstellation ist ähnlich wie im Bund: Das Ziel, weg von der Atomkraft zu kommen, ist ehrgeizig. Bei der praktischen Umsetzung klemmt es aber. 30 Prozent des bayerischen Stroms stammen aus regenerativen Energien, bis zum Jahr 2022 sollen es 50 Prozent sein. Speziell mit zwei Ankündigungen hat Horst Seehofer die Opposition verärgert: Die CSU plant, den Neubau von Gaskraftwerken zu unterstützen – sprich zu subventionieren –, um damit den wegfallenden Atomstrom auszugleichen. Das aber würde zu mehr Ausstoß von Treibhausgasen führen. Auch will Seehofer einen großen Abstand von bis zu zwei Kilometern zwischen neuen Windkraftanlagen und bewohntem Gebiet – damit möchte er den Protest der Anwohner eindämmen. Dies würde de facto bedeuten, so kritisieren die Grünen, dass in Bayern keine neuen Windräder gebaut werden. Beim Atomausstieg lässt sich die Staatsregierung Zeit, für die beiden Blöcke des Kernkraftwerkes Gundremmingen wurde eine Leistungserhöhung beantragt und jüngst auch genehmigt. Es darf dort also mehr Atomstrom produziert werden.

DEMOKRATIE UND BÜRGERBETEILIGUNG

Gibt es in Bayern eine Staatspartei namens CSU? Wird von dieser, seit fünf Jahren im Bündnis mit der FDP, alles andere niedergebügelt? Diesen Eindruck erweckt zuweilen das Geschehen im Landtag. Deshalb verlangt Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler (FW), dass eine künftige Regierung sich regelmäßig mit der Opposition an einen runden Tisch setzt und über Sachthemen diskutiert. „Da kommen sinnvolle Vorschläge“, sagt Aiwanger, „die bisher nur deshalb abgelehnt wurden, weil sie von anderen Parteien stammen.“

Die CSU musste bei den Studiengebühren zurückstecken

Auf kommunaler und Landesebene hat die Bevölkerung aber Mitwirkungsmöglichkeiten wie in keinem anderen Bundesland – über Bürger- und Volksentscheide. So wurde die einstige zweite Kammer, der bayerische Senat, von den Wählern im Jahr 1998 kurzerhand als überflüssig abgeschafft. 2010 erhielt der Freistaat nach langem Streit das schärfste Nichtrauchergesetz in der Gastronomie. Und ein Volksentscheid über die Studiengebühren und damit eine drohende Niederlage konnte die CSU nur abwehren, indem sie von sich aus die Abgabe strich. Auch auf kommunaler Ebene wird mit Bürgerentscheiden viel erreicht: Die Münchner etwa kippten die geplante dritte Startbahn am Flughafen. Die Gemeinde Oberammergau, in der alle zehn Jahre die berühmten Passionsfestspiele stattfinden, gilt mittlerweile als nahezu unregierbar, weil die Bürger regelmäßig Beschlüsse der Lokalpolitiker verwerfen.

FLÜCHTLINGE UND ASYL

Bayern pflegt weiterhin bundesweit den rigidesten Umgang mit Asylbewerbern. Nach dem Aufenthalt in der Erstaufnahmeeinrichtung werden sie meist in sogenannte Gemeinschaftsunterkünfte gesteckt, in denen die Zustände oft trostlos sind. Dass der Freistaat nach dem dramatischen Hungerstreik von Flüchtlingen mitten in München weiterhin ein Problem mit Asylbewerbern hat, zeigt sich gegenwärtig im DGB-Haus in München: Etwa 40 Flüchtlinge halten derzeit das Gebäude besetzt. Nach Verhandlungen mit den Gewerkschaftern erklärten sie sich bereit, ihr Quartier am Wahlsonntag zu räumen. Seit langem wird ein humanerer Umgang mit Flüchtlingen verlangt, die etwa aus Syrien oder Afghanistan stammen. Weiterhin gilt die Residenzpflicht – nur mit Genehmigung dürfen sie den Regierungsbezirk verlassen, der ihnen zugewiesen wurde. In vielen Gemeinden werden immer noch Essenspakete verabreicht, auch gilt ein Arbeitsverbot.

SKANDALE

Bayern wäre ja nur halb so prickelnd ohne seine zahllosen Skandale, ohne die Spezl- und Amigo-Affären. Der Kauf der Kärntner Schrottbank Hypo Alpe Adria durch die landeseigene Bayern-LB ist der spektakulärste Fall – er hat den Freistaat neun Milliarden Euro gekostet. Die Schulden wurden aus dem Staatshaushalt ausgelagert, nur so kann sich Bayern als Sparweltmeister präsentieren. Eine Nummer kleiner war die Familienbeschäftigung im Landtag: Abgeordnete durften Ehefrauen, Kinder, Eltern und sonstige Verwandtschaft bis vor kurzem auf Staatskosten anstellen. Nirgendwo anders waren die Richtlinien so lax. Inzwischen gibt es strenge Verbote, angelehnt an die Regeln für den Bundestag.

Der größte Skandal im menschlichen Bereich, der aber in die Justiz, die Psychiatrie und die Politik hineinreicht, ist der Fall Gustl Mollath. Der neue Prozess um den Mann, der möglicherweise sieben Jahre als Gesunder in der Psychiatrie eingesperrt war, steht bevor. Der Fall hat die Justiz und Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) schwer beschädigt.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.