- Kreuzigung eines gefallenen Hoffnungsträgers
Hätte Stefan Mappus die Landtagswahl in Baden-Württenberg vor 15 Monaten gewonnen, würde das ganze Land ihn nun als visionären Politiker feiern, der das Zeug zum Kanzler hat. Stattdessen können seine Parteifreunde sich nun gar nicht schnell genug von ihm distanzieren
Der Ministerpräsident handelte innerhalb von 24 Stunden. Eines der wichtigsten Industrieunternehmen seines Landes sollte an einen ausländischen Investor verkauft werden. Und das ausgerechnet mitten in jenem Wahlkampf, der dem ehrgeizigen Landespolitiker das Tor zu einer großen bundespolitischen Karriere öffnen sollte. Also wurde der Staat eilig zum Unternehmer. Das Parlament wurde nicht gefragt, eine seriöse Kaufpreisberechnung gab es nicht. Die Öffentlichkeit erfuhr von dem Milliarden-Deal, mit dem der „Ausverkauf des Landes“ verhindert wurde, aus den Nachrichten. Trotzdem stellte niemand kritische Fragen. Die Opposition stand artig Spalier. Die Arbeiter jubelten.
Nein, die Rede ist hier nicht von Stefan Mappus, jenem unglücklichen CDU-Hoffnungsträger, der im März vergangenen Jahres in Baden-Württemberg eine historisch beispiellose Wahlniederlage erlitten hat und gegen den wegen des umstrittenen EnBW-Deals mittlerweile die Staatsanwaltschaft ermittelt. Die Rede ist vielmehr von Gerhard Schröder.
Im Januar 1998 hatte Schröder als niedersächsischer Ministerpräsident im wahrsten Sinne des Wortes über Nacht für 1,06 Milliarden D-Mark in Salzgitter ein Stahlwerk gekauft. Mit dieser wenig marktwirtschaftlichen Hauruck-Aktion legte der Sozialdemokrat den Grundstein für seine Kanzlerkandidatur, er gewann die Landtagswahl, profilierte sich bei den Wählern als Mann der Wirtschaft. Neun Monate später zog Schröder nach einem glanzvollen Wahlsieg von Rot-Grün ins Kanzleramt ein, das damals noch in Bonn stand.
Es hätte nicht viel gefehlt und Stefan Mappus hätte als Christdemokrat in die Fußstapfen des Sozialdemokraten Gerhard Schröder treten können. Die Wähler mögen Macher, sie mögen Politiker, die mit populistischem Gespür spektakuläre Entscheidungen treffen. Dass sie dabei nicht immer fest auf dem Boden der Verfassung stehen, stört sie nicht. Der Erfolg heiligt die Mittel.
Doch gleichzeitig zeigt der Fall Mappus nun, wie schmal in der Politik der Grat zwischen Karriere und Absturz ist, zwischen „Hosianna“ und „kreuzigt ihn“.
So tief wie der Ex-Ministerpräsident von Baden-Württemberg ist schon lange kein deutscher Spitzenpolitiker mehr gefallen. Der EnBW-Deal wird mittlerweile von einem Untersuchungsausschuss untersucht. Dort führt die neue grün-rote Landesregierung den alten Regierungschef genüsslich vor. Der Kaufpreis gilt mittlerweile als überhöht, dabei ist es gar nicht so einfach, einen solchen zu berechnen. Der SPD-Wirtschaftsminister des Landes spricht trotzdem von einem Schaden in Höhe von mindestens 834 Millionen Euro. Journalisten schreiben derweil den Wirtschaftskrimi zwischen Politik, Finanzwelt und Atomwirtschaft Tag für Tag mit neuen Details fort und die Öffentlichkeit amüsiert sich über bizarre, aber wenig erhellende Zitate aus dem internen Mail-Verkehr.
Seite 2: Stefan Mappus wird jetzt von seinen Parteifreunden politisch hingerichtet
Bislang war Stefan Mappus nur ein gefallener Hoffnungsträger, jetzt wird er ausgerechnet von seinen Parteifreunden politisch hingerichtet. In der CDU ist dieser inzwischen eine Persona non grata. Ehemals enge politische Mitstreiter distanzieren sich reihenweise. Dieselben Christdemokraten, die Mappus bis zum Frühjahr vergangenen Jahres noch bewundert und diesen auf Parteitagen frenetisch gefeiert haben, geben sich nun erschrocken über dessen Politikstil. Erst jetzt beklagen sie sich darüber, dass ihr Ministerpräsident eigenmächtig gehandelt und das Parlament umgangen habe. Dabei hat die CDU das Ländle in diesem Stil über Jahrzehnte regiert. Der Finanzminister, der im Dezember 2011 selbstverständlich seine Unterschrift unter ein Geschäft setzt, über das er erst kurz zuvor informiert worden war, spricht nun von einer „Schweinerei“.
Stefan Mappus selbst hingegen ist sich keiner Schuld bewusst. Er verteidigt den Kaufpreis. Die Vor- und Nachteile des EnBW-Kaufes will er wochenlang abgewogen haben, bevor er das Wagnis einging. Doch der Christdemokrat hatte nicht das Fortune eines Gerhard Schröder, nicht die Chuzpe des Sozialdemokraten, der 1998 über seinen Salzgitter-Deal nicht einmal 24 Stunden nachdachte.
Aber vielleicht hatte Mappus am Ende gar einfach nur Pech. Hätte es drei Wochen vor seiner Landtagswahl nicht den Atomunfall im japanischen Fukushima gegeben, wäre Mappus vermutlich erstens noch im Amt und zweitens ein konservativer Gegenspieler von Angela Merkel. Die Journalisten würden Mappus nicht in Grund und Boden schreiben, sondern vielmehr darüber spekulieren, ob Mappus eines Tages der Kanzlerin nachfolgen könnte.
Kein Politiker würde noch die Höhe des Kaufpreises anzweifeln. Stattdessen würden sich Regierung und Opposition über gesicherte Jobs und günstige Strompreise freuen. Niemand würde sich über forsche Berater und deren Honorare aufregen. Stattdessen wäre das ganze Land froh, dass nicht der französische Atomkonzern EdF eines der wichtigsten deutschen Energieunternehmen kontrollieren und die Energiewende torpedieren kann. Seine Parteifreunde würden Stefan Mappus und seinen Politikstil weiter feiern.
Es kam bekanntermaßen anders und vielleicht müssen ein paar Jahre ins Land gehen, bevor die strategische Weitsicht von Stefan Mappus wieder gewürdigt werden kann. Der Kauf des Stahlwerks in Salzgitter durch das Land Niedersachsen und die Norddeutsche Landesbank zumindest gilt bis heute als Beispiel für eine kluge Industriepolitik und eine gelungene staatliche Intervention. Längst wird in Salzgitter nicht mehr nur Stahl hergestellt, stattdessen hat sich das einst marode Hüttenwerk in ein modernes Stahl- und Technologieunternehmen gewandelt. Derzeit wird die Salzgitter AG im M-Dax notiert, das Land Niedersachsen hält weiterhin 25,5 Prozent der Anteile.
Die dubiosen Umstände des Salzgitter-Deals aus dem Jahr 1998 jedoch, die ähnlich wie der Kauf der EnBW durch das Land Baden-Württemberg das Zeug zu einem bizarren Wirtschaftskrimi zwischen Politik, staatlichen Banken und Wirtschaft hätten, wurden nie parlamentarisch untersucht. Nicht die innerparteiliche Intrige, mit der der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau durch den Verkauf des Stahlwerkes nach Österreich die Kanzlerkandidatur seines Parteifreundes Schröder torpedieren wollte, nicht die Bestechungsvorwürfe, die ein Topmanager in diesem Zusammenhang gegen die WestLB erhob und auch nicht die heiklen Aktiengeschäfte beim späteren Börsengang der Salzgitter AG, die vor allem Kleinanleger schädigten.
So genau wollte es die Öffentlichkeit in Niedersachsen nie wissen. Stattdessen zehrt Gerhard Schröder bis heute von seinem damals begründeten Macher-Image.
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