- Deutschland tappt in die Afghanistan-Falle
Die Bundesregierung will bis zu 1.200 Bundeswehrsoldaten in den Kampf gegen den „Islamischen Staat“ schicken. Doch das Militärkommando, dem sich Deutschland da anschließt, ist hanebüchen: Es gibt weder einen Plan noch ein Ziel
Zeit für ein paar Zahlen. Mehr als 15 Jahre dauert jetzt der Krieg in Afghanistan, der in eine Besatzung übergangen ist. Er hat Deutschland je nach Rechnung bis hierher zwischen 10 und 47 Milliarden Euro gekostet. Über 3500 Soldaten haben in den Einsätzen von „Enduring Freedom“ und der „International Security Assistance Force“ (ISAF) ihr Leben verloren, darunter 55 Deutsche.
Es ist zwar gelungen, das afghanische Al-Qaida-Nest auszuheben, wobei sich Osama bin Laden am Ende im benachbarten Pakistan befand und dort exekutiert wurde. Die Taliban-Strukturen des Landes am Hindukusch haben sich aber nicht geändert. Der Einsatz hat so gesehen sein unmittelbares Ziel erreicht, sein strategisches aber verfehlt. Allen Mädchenschulen zum Trotz. Wenn es denn je ein klar definiertes strategisches Ziel gab.
Diese Zahlen und diese Erfahrungen sollte man sich jetzt dringend in Erinnerung rufen. Denn im Nachgang zu den Anschlägen von Paris, dem 11/13 Europas, ist Deutschland im Begriff, die gleichen Fehler wie seinerzeit nach 9/11 wieder zu machen. Einem verwundeten Partnerland in dessen Streben nach Vergeltung blind zu folgen, anstatt einen Einsatz besonnen und kühlen Kopfes mit einem strategischen Ziel gemeinsam zu konzipieren. Sonst droht die Afghanistan-Falle in ganz groß.
Hollande bastelt sich ein militärisches FlieWaTüt
Vorweg: Es ist richtig, Truppen und Waffensysteme für einen gezielten Kampf gegen den so genannten Islamischen Staat auf syrischem und irakischem Gebiet anzubieten. Aber dieser militärische Komponente – im Kern wie immer die Aufklärungs-Tornados der Luftwaffe – müssen von einem politischem Bemühen begleitet sein, sich an einem Einsatz zu beteiligen, der Aussicht auf Erfolg hat. Der ein klares Ziel benennt und Wege, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Und wie man sich eine Welt nach diesem Einsatz vorstellt. Nichts davon war in Afghanistan gemacht worden. Und nichts davon ist jetzt zu erkennen.
Dabei war es in Sachen Afghanistan in mancherlei Hinsicht sogar noch besser. Sowohl „Enduring Freedom“, der Kampfeinsatz, als auch ISAF, die Stabilisierungs-Operation, waren Nato-geführte Operationen. Die USA hatten den Beistandsartikel 5 des Nato-Vertrages aktiviert, zum ersten und bisher einzigen Male in der Geschichte des Bündnisses. Die Nato sichert in jedem Fall schon einmal eines: ein operatives Zentrum und Truppenteile, die seit Jahren gemeinsame „Joint operations“, also multinationale Einsätze üben. Die Nato ist eine geölte Maschine.
Was der französische Präsident François Hollande mit den USA, Russland und Deutschland da gerade zusammenschraubt, ist ein militärisches FlieWaTüt: Es erinnert an das gleichnamige fliegende, fahrende und schwimmende Vehikel aus einem Kinderbuch der sechziger Jahre. Es ist eine Ad-Hoc-Allianz, die so heterogen ist, dass dagegen die „Koalition der Willigen“ der USA im Irakkrieg wie eine geordnete Formation erscheint. Aber Hollandes Truppe verdient nicht einmal den Namen „Koalition der Willigen“. Es ist eine Koalition der Misstrauischen, wie nicht nur der Abschuss des russischen Kampfjets durch die Türkei gezeigt hat. Schon die Frage: Wie hältst Du es mit den Truppen des Baschar al-Assad? enzweit dieses wackelige Bündnis, bevor es angefangen hat, gemeinsam zu operieren.
Dieser Kampf wird ungleich schwerer
Nochmal: Der IS muss mit militärischen Mitteln bekämpft werden. Dieser Kampf wird ein ungleich schwererer sein als jener gegen al-Qaida in Afghanistan. Denn erstens hat sich der IS in den Strukturen der Region schon breit gemacht, während die Al-Qaida-Kämpfer damals noch in ihren Höhlen saßen. Zweitens ließ sich mit dem Geröll von Afghanistan nicht so viel Kriegsgeld erzielen wie mit dem Öl der Region.
Aber bevor der Bundestag einen Blankoscheck für die Recce-Tornados, die Tankflugzeuge und die Fregatte ausstellt, müssen die Abgeordneten und muss die deutsche Bevölkerung genauer wissen, auf welcher Grundlage und mit welchem Ziel man sich hier mit wem in einen gemeinsamen Krieg begibt.
Mindestens fünf Jahre hatte der IS schon Zeit, seine Strukturen in der Region aufzubauen. Es kommt also auf einen Monat hin oder her nicht an. Es geht nicht um schnelle Vergeltung, sondern um effektive Vernichtung. Deshalb geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit.
Mit diesem geflickschusterten FlieWaTüt ist der IS indes nicht zu besiegen. Die Wurstigkeit, mit der die Bundesregierung über diese essenziellen Fragen hinweggeht, ist atemberaubend. Kein Abgeordneter, der sein Mandat verantwortungsbewusst wahrnimmt, kann auf dieser Grundlage guten Gewissens der Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Syrien zustimmen.
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