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Julia Klöckner

Julia Klöckner zur Flüchtlingsdebatte - „Asyl kann nicht die Antwort auf Armut sein“

Zuletzt polarisierte Julia Klöckner mit ihrem Vorstoß für ein Burka-Verbot. Jetzt spricht die Landesvorsitzende der CDU Rheinland-Pfalz in dem Buch „Zutrauen! Ideen statt Ideologien - Was mir in der Politik wichtig ist“ über entschiedenere Abschiebung, Einwanderungsgesetze und darüber, was sich in der Flüchtlingspolitik ändern muss. Ein Buchauszug

Autoreninfo

Resing, Volker

So erreichen Sie Volker Resing:

Martin Rupps ist Politikwissenschaftler, Historiker und Journalist. Er leitet die ARD-Koordination 3sat beim Südwestrundfunk.

Volker Resing ist Journalist und Buchautor. Seit Oktober 2014 ist er Chefredakteur der "Herder Korrespondenz". Zuvor war Resing Redakteur der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin. Seit 2002 war er als Hauptstadt-Korrespondenz in Berlin für verschiedene Tageszeitungen sowie katholische Kirchenzeitungen tätig. Gemeinsam haben Rupps und Resing Julia Klöckner interviewt.

Sie haben einmal gesagt, nach Hause zu kommen hat für Sie etwas von einem Gänsehaut-Moment ...


Ja. Heimat bedeutet für mich Menschen, die mich lieben und die ich liebe. Aber Heimat hat für mich ebenso eine geografische Komponente, was vielleicht mit meinem Großwerden auf einem Weingut zu tun hat. Scholle klingt sicher pathetisch. Aber der Boden hat etwas Unverrückbares. Ich bin mir sicher, dass wir Menschen Orte des Erinnerns brauchen, Orte des Zu-sich-kommens. Wie schwer muss es sein für Menschen, die diese Orte nicht haben – oder nicht mehr haben, wie etwa Flüchtlinge?

Für Sie ist Heimat ein Ort?


Auch. Und es ist schön, dass es ihn noch immer gibt und hoffentlich lange geben wird. Drei Generationen wohnen auf dem Guldentaler Hof.

Sie gaben schon das Stichwort, auch zuvor sprachen wir kurz darüber: Derzeit kommen viele Menschen nach Deutschland, die ihre Heimat verlassen haben. Und es ist kein Ende abzusehen.


Ja. Das Wichtigste sollten wir dabei nie vergessen: Wer geht schon freiwillig dahin, wo man seine Sprache nicht spricht, wo das Ungewisse auf ihn wartet? Es sind schon massive Gründe, die Flüchtlinge die Heimat verlassen lassen: der Schutz des eigenen Lebens und das der Familie und Kinder, der Wunsch nach einem Verlassen einer Situation mit Not und Elend und der Wunsch nach einem besseren Leben.

Brauchen wir eine grundlegend andere Flüchtlingspolitik?


Die beste Politik wäre eine, die die Gründe überflüssig macht, aus denen Menschen fliehen müssen aus ihrer Heimat, in der sie gerne leben wollen, aber nicht können. Weil sie nicht sicher sind, weil sie um ihr Leben fürchten. Aber eine Politik, die diese Gründe schnell verschwinden lässt, ist nicht von heute auf morgen zu entwickeln und umzusetzen. Islamischen Fundamentalisten etwa ist nicht so einfach beizukommen. Das liegt auch an der Brutalität, mit der diese Terroristen vorgehen, wie sie Frauen als Ware betrachten, sie verkaufen und missbrauchen, anderen die Kehle durchschneiden. Ich kann wirklich jeden verstehen, der weg will von diesem Irrsinn und in Europa Sicherheit sucht.

Die Lage spitzt sich dramatisch zu. Müssen wir nicht viel mehr Menschen aufnehmen?


Es hat schon immer Flüchtlinge gegeben, es wird auch weiterhin Flüchtlinge geben. Denken Sie nur an die vielen Menschen, die in den Neunzigerjahren zu uns kamen. Viele sind geblieben und integriert, gehen Berufen nach, sind eine Bereicherung für unsere Gesellschaft. Warum soll das nicht bei dieser neuen Flüchtlingsbewegung wieder geschehen? Keiner sagt, dass das leicht ist, aber wie meinte die Kanzlerin? »Wir schaffen das!«

Was sagen Sie zu den fremdenfeindlichen Angriffen auf Bewerberunterkünfte

und die Menschen selbst?


Es ist nicht nachzuvollziehen und auch unbegreiflich, dass sich Menschen über Menschen erheben, ohne sich auch nur irgendwie für deren Schicksale zu interessieren. Dieser Hass zerstört Frieden, Freiheit und Gemeinschaft. Flüchtlinge sind Menschen, die zu uns kommen, denen wir helfen müssen. Und wenn sie bleiben dürfen, wie jene, die aus Gründen politischer Verfolgung kommen oder weil Krieg in ihrer Heimat herrscht, dann sollten wir sie schnell zu unseren Kollegen, Nachbarn, Vereinskollegen machen.

Sie sprechen von denjenigen, die dableiben dürfen. Was ist zu tun?


Zunächst müssen wir die Asylverfahren drastisch beschleunigen und den Ländern helfen, die Erstaufnahmeeinrichtungen auszubauen; und generell müssen wir die Unterbringungsmöglichkeiten verbessern. Daneben sollten wir den Mut zur konsequenten Differenzierung aufbringen: Wer politisch verfolgt wird oder als Kriegsflüchtling, etwa aus Syrien, zu uns kommt, der sollte unverzüglich als schutzbedürftig identifiziert, als Flüchtling anerkannt und integriert werden. Wer offenkundig nicht schutzbedürftig ist, muss ebenso rasch abgelehnt und schnell in seine Heimat rückgeführt werden. Asyl kann nicht die Antwort auf Armut in der Welt sein. Wir müssen diese Unterscheidung unbedingt beibehalten, sonst schaden wir der gesellschaftlichen Akzeptanz all unserer humanitären Aufnahmen berechtigter Asylbewerber und damit den Menschen, die durch Krieg und Gewalt alles außer ihrer Würde verloren haben. Nicht jeder, der zu uns kommt, wird auch bleiben können. Nicht jeder, der Asyl bei uns beantragt, ist automatisch ein Flüchtling.

Sondern?


Jemand, der – meist aus wirtschaftlichen Gründen – einwandern will. Darüber sprachen wir schon.

Was ist daran problematisch? Schließlich wird Menschen in Not geholfen.


Wie schon gesagt: Problematisch am wachsenden Anteil von Zuwanderern aus den Westbalkanstaaten ist, dass mit ihnen die Unterbringungsmöglichkeiten, der Ehrenamtseinsatz und die Geldmittel, die eigentlich ausschließlich für die politisch Verfolgten und vom Krieg Bedrohten zur Verfügung stehen müssten, stark gebunden werden. Wenn das so weiter geht, wenn also nicht weitere Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsländer eingestuft werden, wenn nicht die Asylanträge von Zuwanderern aus diesen Ländern umgehend bearbeitet werden und die Rückführung konsequent durchgeführt werden, sondern weiter die Bewerber auf die Kommunen verteilt werden, dann bleiben falsche Anreize bestehen, aus einem Nichtasylgrund zu uns kommen zu wollen.

Das klingt populär ...


Mir sind Fakten, Logik und Realität wichtig. Und ein Teil dieser Fakten und Realität sind die Bundesländer. Zum Beispiel Rheinland-Pfalz. Wenn sich etwa die aktuelle Regierung unseres Bundeslandes weiter weigert, Länder, die gerade mit der EU über einen baldigen Beitritt verhandeln und die Mitglied in der Nato sind, als sichere Herkunftsstaaten ohne politische Verfolgung anzuerkennen, dann ist das unredlich.

Warum?


Weil sie zulässt, dass die Kommunen und Helfer mit den auf sie zukommenden Aufgaben überfordert sind, und weil immer weniger Raum für die wirklich Hilfsbedürftigen, die politisch und vom Krieg Verfolgten bleibt. Meine Landtagsfraktion hat als erste einen Flüchtlingsgipfel veranstaltet mit einem enormen Zuspruch Betroffener, und weitere folgten. Ohne Koordinierung geht nichts, und schon gar nicht mit nur warmen Worten.

Was schlagen Sie konkret vor?


Menschen, die eine Bleibeperspektive haben, müssen ganz schnell Klarheit und Perspektive bei uns bekommen, Integrationskurse, Sprachunterricht, Ausbildung, Arbeit, Teilhabe. Ich bin in einigen Aufnahmeeinrichtungen gewesen und habe gespürt, dass zum Beispiel Familien aus Syrien ganz schnell raus wollen aus der Aufnahmeeinrichtung. Sie wollen schnell ein selbstständiges Leben führen, um sich so schnell wie möglich zu integrieren und ihre Talente einbringen zu können. Es ist doch klar, dass die Menschen aus Syrien zum Beispiel bei uns bleiben werden, ihr Fluchtgrund wird so schnell nicht obsolet sein, im Gegenteil. Also wäre jedes Warten und Hinauszögern schlecht für uns und die Neuankömmlinge.

Was also brauchen wir? Brauchen wir ein Einwanderungsgesetz?


Lassen Sie mich noch einmal betonen: Die Politik im Umgang mit Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen ist etwas anderes als die Politik im Umgang mit Flüchtlingen, die politisch verfolgt und vom Krieg bedroht werden. Wir haben bereits heute Regelungen zur Einwanderung, die sich bewährt haben. Die OECD nennt sie vorbildlich. Wenn Deutschland die Schotten für Einwanderung angeblich so dicht macht, wie manche im linken politischen Spektrum behaupten, dann frage ich mich, warum Deutschland das beliebteste Einwanderungsland nach den USA ist. Der größte Teil der Wanderungsbewegungen innerhalb Europas ist übrigens frei von jeder Reglementierung. Innerhalb der EU herrscht ja Freizügigkeit. Außerdem wird oft vergessen, dass etwa die Grenzen für den Mindestverdienst für Menschen aus Drittstaaten gesenkt oder auch die Anerkennung ausländischer Abschlüsse vereinfacht wurde.

Brauchen wir Kontingente für Flüchtlinge?


Was verstehen Sie darunter? Die Verteilung auf alle europäischen Staaten? Da sage ich Ja. Denn Europa darf sich nicht entsolidarisieren, indem sich einige Staaten wegducken und keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Wenn wir eine Wertegemeinschaft bleiben wollen, müssen wir auch gemeinsam handeln und dürfen nicht sagen: Schweden, Deutschland und Österreich, die Flüchtlinge sind euer Problem.

Brauchen wir Kontingente, also eine Deckelung des Zustroms von Flüchtlingen?


Das ist inhuman. Wie wollen Sie denn Flüchtlinge quotieren, wenn doch der Fluchtgrund das Entscheidende ist? Was machen Sie, wenn das Kontingent eines Jahres bereits Ende März erschöpft ist, aber die menschenverachtenden Massaker in den betroffenen Ländern weitergehen? Wollen Sie dann keinen mehr aufnehmen? Ich meine, wir fahren gut damit, wenn wir das Bleiberecht eines Flüchtlings von seinem Fluchtgrund abhängig machen, und dieser Fluchtgrund hat sehr mit der Frage zu tun, aus welchem Land der Flüchtling kommt. Im Übrigen gilt: Wenn wir, wie aktuell, von rund jährlich 800.000 Flüchtlingen ausgehen und wenn die Hälfte davon eine Bleibeperspektive hat und bei uns Fuß fasst, dann haben wir bereits eine Zuwanderung von 400.000 Menschen. Auch sie bringen Qualifikationen, Abschlüsse und Ausbildung mit.

Deutschland bekommt jetzt, wie die Bundeskanzlerin angekündigt hat, ein Einwanderungsgesetz ...


Rot und Grün sind sich nicht einig, was sie unter einem Einwanderungsgesetz verstehen wollen. Im Zweifel versteht jeder etwas anderes, da hilft es auch nicht, den Gesetzesnamen ständig mit sich herumzutragen. Ich denke: Ein mögliches Einwanderungsgesetz wird im Wesentlichen die bisherigen Regelungen zusammenfassen, wird sie verständlicher machen. Und das genügt.

Müssten wir nicht einfach großzügiger sein und unseren Wohlstand teilen?


Sie formulieren einen Anspruch, den ich nachvollziehen kann. Ich finde ihn persönlich sympathisch. Und auch als Christin weiß ich, dass ich aus ethischen Gründen keinen Menschen von der Schwelle weisen darf. Aber als jemand, die politische Verantwortung trägt, muss ich neben dem Anspruch auch die Wirklichkeit mit ihren wahrscheinlichen Entwicklungen sehen. Ich muss aufpassen, dass die Akzeptanz der Flüchtlinge in der Bevölkerung nicht schwindet.

Welche Lösungen schweben Ihnen vor? Zum Beispiel auf europäischer Ebene ...


Gut, also Beispiele: ein dauerhaft gerechtes Verteilungssystem für Asylsuchende und für anerkannte Flüchtlinge etablieren, die vereinbarten großen Registrierungszentren einrichten, die EU-weite Verständigung auf eine einheitliche Liste sicherer Herkunftsstaaten, die weitere Umsetzung des gemeinsamen Europäischen Asylsystems in allen Mitgliedstaaten. Und wir müssen die EU-Kommission ermuntern, dass sie als Hüterin der Europäischen Verträge auch die Einhaltung der Vorschriften im Flüchtlings- und Asylbereich sicherstellt, etwa durch konsequente Prüfungen und Vertragsverletzungsverfahren.

Den Menschen in den maroden Booten hilft das aber nicht ...


Dass so viele Menschen im Mittelmeer sterben und dabei Opfer skrupelloser Schleuser werden, ist unerträglich. Deshalb muss die Mittelmeermission zur Rettung Schiffbrüchiger weiterentwickelt werden. Und es geht um die Unterbringung in noch aufzubauenden Aufnahmezentren in Afrika oder um die Aufnahme Schutzbedürftiger über ein EU-weites Resettlement- Programm.

Was ist mit den Fluchtursachen?


Um der Flüchtlingsthematik ganzheitlich gerecht zu werden, müssen wir über symptombezogene Maßnahmen hinaus die Fluchtursachen angehen. Deshalb müssen wir die Zusammenarbeit mit Drittstaaten unter Einbeziehung der Entwicklungszusammenarbeit auf nationaler und europäischer Ebene deutlich verstärken. Hierzu gehört auch, mehr Mittel für Versorgung von Flüchtlingen und Bekämpfung von illegaler Migration in Jordanien, Libanon und besonders der Türkei bereitzustellen. Unser Ziel kann nur sein, angemessene Lebensbedingungen für die Flüchtlinge in der Region zu schaffen und die Türkei bei der Bekämpfung der illegalen Migration zu stärken.

Heiner Geißler hat in der eigenen Partei früher einmal viel Prügel dafür gekriegt, als er sagte: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Hatte er recht?


Deutschland ist ein attraktives Land, in das Menschen aus allen Teilen der Welt persönlich große Hoffnungen setzen. Es ist ein Einwanderungsland in dem Sinn, dass es Menschen aus anderen Ländern integriert. Ich spreche daher lieber von Deutschland als einem Integrationsland. Denn mit der Einwanderung alleine ist es ja nicht getan. Menschen müssen sich verständigen, die Sprache sprechen können, eine Ausbildung machen, einen Arbeitsplatz finden.

Würde eine mögliche künftige CDU-geführte Landesregierung in Rheinland-Pfalz Menschen ohne Bleiberecht entschiedener abschieben, als es die aktuelle SPD-Regierung tut?


Als Ministerpräsidentin würde ich mich konsequent an die Regelungen und Gesetze halten, die es hierzu gibt. Eine Rückführung nach Ablehnung eines Asylantrages gehört dazu.

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Rupps, Martin/Resing, Volker/Klöckner, Julia

Zutrauen! Ideen statt Ideologien - Was mir in der Politik wichtig ist

Verlag Herder, ca. 192 Seiten

ISBN 978-3-451-31114-7

 

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