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Korte/Linksfraktion

Jan Korte - Der rot-rot-grüne Strippenzieher

Die Grünen verließ er aus Protest gegen den Bundeswehreinsatz im Kosovo. Bei den Linken hat Jan Korte es zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gebracht – obwohl er dort nicht nur Freunde hat. Denn er gehört zu jenen Jungreformern, die ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis vorbereiten

Autoreninfo

Vinzenz Greiner hat Slawistik und Politikwissenschaften in Passau und Bratislava studiert und danach bei Cicero volontiert. 2013 ist sein Buch „Politische Kultur: Tschechien und Slowakei im Vergleich“ im Münchener AVM-Verlag erschienen.

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„Ich brauch jetzt erst mal ne Zigarette“, sagt Jan Korte, wirft seinen Mantel über und tritt aus dem Reichstag in die kalte Aprilsonne. „Mir dreht’s die Birne!“

Dabei ging es zuvor im Plenum eigentlich um eine Routineentscheidung. Der Bundestag hat am Mittwoch dieser Woche beschlossen, bis zu 300 Marinesoldaten ins Mittelmeer zu entsenden. Zum Schutz eines US-amerikanischen Schiffes, das syrische Chemiewaffen unschädlich machen soll. Doch für die Linke war die Abstimmung mitnichten Routine, sie erschüttert die Partei in ihren Grundfesten. Erst nach heftigen Diskussionen hatte die Linke den Fraktionszwang aufgehoben. 18 Linke enthielten sich –  fünf stimmten für den Militäreinsatz. Es waren die ersten linken Stimmen im Bundestag für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr. Jan Korte nennt dies „historisch“.

Eigentlich befürwortet auch Korte diesen Bundeswehreinsatz, schließlich schützt er eine Abrüstungsmission der Vereinten Nationen. Doch als Mitglied der Fraktionsspitze hatte er im Vorfeld für eine kollektive Enthaltung geworben. Deshalb habe er nicht mit „Ja“ gestimmt, erklärt der 37-Jährige sein Stimmverhalten. Und „wegen meiner grünen Geschichte“, fügt er schnell hinzu.

Die Grünen waren Kortes erste politische Heimat. Dort hat er sich bereits als 16-Jähriger engagiert, später saß er für die Ökopartei im Stadtrat seiner niedersächsischen Heimatstadt Georgsmarienhütte. Doch dann begann der Kosovo-Einsatz, an dem sich unter Rot-Grün auch Deutschland beteiligte und der auch vom grünen Außenminister Joschka Fischer befürwortetet wurde. Aus Protest verließ er die Partei. 15 Jahre ist das her.

Längst hat Jan Korte bei den Linken Karriere gemacht. In seinem Berliner Bundestagsbüro hängen zwei Life-of-Brian-Poster. Der Abgeordnete schmunzelt. Manch eine Auseinandersetzung bei der Linken erinnere ihn an eine berühmte Szene aus dem Film: Die „Volksfront von Judäa“ sitzt konspirativ beisammen. Wie habe der Feind jemals das verbreitete Leid wieder gutgemacht, fragt der Anführer. „Was, frage ich euch, haben die Römer je für uns getan?“ „Aquädukt, Wein, Straßen, Schulwesen, Frieden“, antworten seine Anhänger.

Kortes Lehrer: Brian und Bisky


Mitunter geht es bei den Linken zu wie bei Monty Python. Auf ihrem Europaparteitag im Februar etwa schilt ein Genosse nach dem anderen die EU einen „imperialistischen Block im Aufrüstungswahn“. Verbalkeulen wie „Wohlstandschauvinismus“ und „Fassadendemokratie“ beschwören Beifallsstürme im Hamburger Congress Centrum herauf. „Was bringt die Europäische Union außer neoliberalem Kapitalismus und Militarismus?“, ist die Frage, die zwischen den Zeilen der Reden steht. Der Blondschopf Korte eilt im braunen Cord-Jackett auf die Bühne, legt seine Zettel aufs Pult und sofort mit der Antwort los. Begeistert spricht er über die offenen Grenzen in Europa, schwärmt von länderübergreifenden Freundschaften und von europäischem Geld, mit dem der „Lenin-Platz“ in seinem Wahlkreis saniert würde.

Die Linke könne von „Life of Brian“ viel lernen, sagt er mit leichtem Lispeln, „für die Selbsterkenntnis.“ Es ist die Erkenntnis, dass Dogmen von der Welt entfremden und dass man sich nicht zu wichtig nehmen sollte. Sich nicht so wichtig nehmen lautet Kortes Rezept im Politik-Alltag und ist eine Voraussetzung für die Annäherung von Linken, SPD und Grünen.

Kurz vor dem Europaparteitag schien diese wieder einmal in Gefahr. Im ersten Entwurf zum Europawahlprogramm bezeichnete die Linke die EU als „neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht“. „Das ist doch nicht dialektisch!“, braust Korte auf. Auf seinem Schreibtisch steht still eine Büste von Karl Marx. Er habe sofort einen Änderungsantrag unterschrieben. „Ein proeuropäischer Kompromiss wäre in Biskys Sinne“, sagt Korte. Er schaut zum Bücherregal, wo zwischen Foucaults „Kritik des Regierens“ und der „Geschichte zur KPD“ der ehemalige Parteichef von einer Trauerkarte in den Raum blickt. „Er fehlt in der Partei.“ Und ihm persönlich.

Lothar Bisky war sein politischer Ziehvater. Vielleicht rührt daher Kortes Abneigung gegenüber radikaler Apodiktik. Bisky habe ihn gelehrt, jedem Menschen empathisch zu begegnen, „egal wie merkwürdig“ er sei. Bisky war es auch, der Korte ermunterte, für den Bundestag zu kandidieren. Dafür zog er nach dem Studium in den deutschen Osten. Seit 2005 sitzt er für einen Wahlkreis in Sachsen-Anhalt im Bundestag, wo er sich als Datenschutzexperte der Linksfraktion einen soliden Ruf erarbeitet hat. Als Reformer habe er in seinem „eher linken“ Heimatverband Niedersachsen keine Chance gehabt.

Doch nicht nur als Fachpolitiker hat sich Korte im Bundestag einen Namen gemacht, sondern auch als rot-rot-grüner Strippenzieher. Die Verbindung zu seinen ehemaligen Parteifreunden ist nie abgerissen. Schon vor sechs Jahren begann er, sich mit ein paar Grünen in der Kneipe „Walden“ im Prenzlauer Berg in Berlin zu treffen. Zur „Walden-Connection“ gehören weitere Linke und mittlerweile auch Sozialdemokraten. Die Gruppe ist auch als „r2g“ bekannt, was für Rot-Rot-Grün steht. Und als „Oslo-Gruppe“ – angelehnt an die einstige norwegische rot-rot-grüne Koalition.

„Auf den Treffen lernt man einander kennen und verstehen“, sagt Korte. Auf guter Grundlage: Die jungen Politiker eint nicht nur ihr Alter. Es sei doch so, „dass wir ähnliche Bücher lesen, ähnliche Initiativen und Demos besuchen und in ähnliche Kneipen gehen“, sagt ein r2g-SPDler in einem Zeitungsinterview. Vor allem aber schleppen die Nachwuchspolitiker keine ideologischen Altlasten mit sich herum. „Ich bin erwachsen geworden und habe Politik gemacht, als die Mauer längst gefallen war“, sagt Korte. „Jetzt helfen wir, den Kitt anzurühren“ – um Rot-Rot-Grün zusammenzukleben.

Einfach ist das für keine Partei. Korte sagt, man müsse einander über konkrete Projekte näher kommen. Beispiel Mindestlohn: „Wir fordern zehn Euro, die SPD will 8,50 Euro. Da wären zum Beispiel neun Euro ein guter Kompromiss.“

Und Militäreinsätze? „Da muss man sich jeden einzelnen Fall anschauen.“ Korte weiß: Will er eine Machtoption freilegen, muss er in seiner Partei an den Fundamenten des Unverhandelbaren rütteln – vor allem in der Außenpolitik. Damit macht er sich nicht nur Freunde. „Es wird Gegenwind geben. Wir müssen uns warm anziehen“, sagt Korte.

Rock statt Volksmusik


Aber nicht nur die eigenen Hardliner erschweren die Annäherung. Auch die gegenwärtige Machtkonstellation im Parlament. Die SPD muss in der Regierung konservative Politik mitverantworten. Die Grünen suchen an der Seite der CDU nach Profilierungsmöglichkeiten. Die Linke wiederum müsse „auf der einen Seite harte Opposition betreiben“, sagt Korte. „Auf der anderen müssen wir Gesprächsfäden aufbauen.“ Der Kitt ist ein empfindliches Gemisch.

Wenn jemand hineinspuckt, wird Korte sauer. Dass die SPD Deutschland für „zu groß und zu wichtig“ hält, um eine aktive Außenpolitik zu unterlassen, behagt ihm überhaupt nicht. Das schwarz-grüne Bündnis in Hessen lässt ihn zweifeln, wie links seine einstige Partei noch ist.

Und als auf dem linken Europaparteitag die eigenen Genossen pauschal gegen die EU keilen, platzt ihm der Kragen. Nicht mit der Radikalität der Parole, sondern mit der Differenziertheit der Analyse müsse man überzeugen, ruft er in den Saal. Sein Kopf ist schon ein wenig rot. „Wir dürfen keine Volksmusik-Linke sein, sondern eine Rock-Linke!“, schließt er fast schreiend. Unter den verhaltenen Applaus mischen sich viele Buh-Rufe und Pfiffe.

Auf dem nächsten Parteitag wird Korte wieder kämpfen. Er rechnet damit, dass die Sache mit dem Militäreinsatz dann zum Thema wird. „Dann melde ich mich halt wieder zu Wort“, sagt er. Er weiß, der Widerstand gegen eine linke Reformpolitik und gegen ein rot-rot-grünes Bündnis ist unter seinen Genossen noch groß. Korte selbst jedoch ist als stellvertretender Fraktionsvorsitzender längst in eine Schlüsselposition aufgerückt, genauso wie seine Mitstreiter bei Grünen und SPD. Der Chef der grünen Bundestagsfraktion Anton Hofreiter gehört genauso zu den Osloern wie der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Niels Annen

Ob es allerdings 2017 tatsächlich für Rot-Rot-Grün reichen wird, das hängt auch davon ab, was die Linke aus der Abstimmung über den Auslandseinsatz gelernt hat. Die vielen Enthaltungen und die fünf Ja-Stimmen wertet Korte dabei als „positives Signal“.

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