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(picture alliance) Ein Schnitt für die Gemeinschaft?

Beschneidung - Ja, ich habe beschnitten!

Vor Wochen kochte die Debatte hoch und immer noch wird in Deutschland über die Beschneidung muslimischer und jüdischer Jungen gestritten. Doch was denken jene, die es eigentlich angeht? Einblick in die Seele einer Mutter

Bei Lanz wurde ich unlängst gefragt, wie ich denn als Mutter meine Söhne habe beschneiden lassen können. Das sei ja wohl das Allerletzte! Ich begann zu erzählen, dass ich mich mit der Entscheidung schwergetan hätte, schließlich sei ich eine moderne Frau und lebe ein assimiliertes Judentum … Ich kam nicht weit mit meiner Berichterstattung, denn sofort beherrschten Ekel und Abscheu, aber vor allem ein großes schwarzes Loch an Unwissen die Diskussion.

Juden sind eben nur dann nett, wenn sie Opfer sind. Als Menschen mit eigener Kultur, womöglich noch fremdartigen Ritualen sind sie plötzlich nicht mehr so süß. Ich halte das für Doppelmoral, und da mir jetzt keiner reinbeten kann, werde ich rasch ein paar Gedanken zu Papier bringen.

Ja, auch jüdischen Müttern fällt die Beschneidung schwer – denn auch sie hören ihr Neugeborenes weinen. Tradition und aufgeklärtes, modernes Berufsleben beginnen einen Wettstreit, der meist in schlaflosen Nächten, heftigen Diskussionen mit der Familie, dem Partner und den Freundinnen kulminiert. Ich kenne keine Jüdin, jedenfalls nicht in Berlin, die sich trotz aller Unsicherheit gegen die Beschneidung entschieden hätte. Vielleicht gibt es welche, ich habe sie nicht getroffen.

Für den Jungen beginnt mit der Beschneidung ein Leben nicht nur in einer Familie, sondern in einer Gemeinschaft. Für manchen eine Glaubensgemeinschaft, für mich – die ich, bevor ich Kinder hatte, den Kommunismus, den Sozialismus, den Kapitalismus und vier unterschiedliche Sprachen kennenlernen durfte – Identität. Ein großes Wort, aber ein besseres habe ich nicht dafür.

Natürlich hingen mir meine Freunde in den Ohren: Bist du verrückt? Du beschneidest, wie die Frauen in Afrika beschnitten werden! (Absoluter Quatsch!) Er wird später kaum etwas fühlen, gaben meine schwulen Freunde zum Besten. (Auch Blödsinn!) Wenn Gott die Vorhaut nicht gewollt hätte, hätte er sie doch gleich weggelassen! Die Christen … Da wären wir bei einem wichtigen Punkt: Wir sind keine Christen. Wir haben andere Rituale, Rituale, die mich stärken – auch wenn ich immer noch nicht und wahrscheinlich nie verstehen werde, warum meine Familie dafür verfolgt wurde.

Bei der Brit Mila, der Beschneidung meiner Söhne, waren mehr als 100 Gäste geladen. Sie standen uns bei, sie ersetzten Familienangehörige, die es nicht mehr gibt, sie gaben mir Halt, sie gingen mir auf die Nerven. Sie taten das, was man als Gemeinschaft tut. Bestenfalls. Füreinander da zu sein.

Nein, es gibt keine Betäubung. Aber dem Jungen werden mit dem Finger einige Tropfen koscherer Wein gegeben, und auf einer sterilen Unterlage wird die Beschneidung vorgenommen. Das Kind weint, die Mutter japst, das Baby wird gestillt und schläft ein. Wenn es aufwacht, wird die Wunde angeschaut und neu verbunden, dann geht der Mohel (Beschneider), seine Arbeit ist getan.

Frau von der Leyen, unsere Arbeitsministerin, saß mit mir in der Talkrunde bei Lanz. Bisher, erzählte sie, habe sie keine Ahnung gehabt, was Beschneidung wirklich sei. Aber hygienisch könne es auf keinen Fall sein. Schmallippig, applausheischend blickte sie in die Runde. Seit 5772 Jahren beschneiden Juden auf diese Art. Sie wären ja bekloppt, wenn sie dabei ihre Kinder nachhaltig verletzen würden. Man kann einiges darüber nachlesen, liebe Frau von der Leyen. Man kann Juden und Muslime befragen. Vielleicht sogar bevor man ein Gesetz kommentarlos durchgehen lässt.

Wir jedenfalls haben gefeiert, gegessen und getanzt. Und als vor drei Jahren mein älterer Sohn Barmizwa hatte – in etwa das jüdische Äquivalent zur Konfirmation oder Firmung – waren dieselben Gäste wieder da, und wir feierten weiter, dass es uns noch gibt. Beide Male waren die Gäste Zeugen eines existenziellen Ereignisses: zunächst der Eintritt in die jüdische Gemeinschaft, dann die Feier, im religiösen Sinn erwachsen zu sein, mit dem Versprechen, sein Leben möglichst ehrenwert und gut zu leben. Was auch immer das heißen mag. Sie alle nehmen teil an dem Werdegang meiner Kinder. Geben mir Rat und Kraft: zum Beispiel jetzt, da die Pubertät in unsere Familie Einzug gehalten hat – die einen übrigens länger und härter beschäftigen kann als jede Beschneidung.

Ja, bei der Beschneidung entscheiden die Eltern für ihre Kinder. Tun das Eltern nicht immer? Eigentlich schon ab der Schwangerschaft. Das ist wahrlich nicht leicht. Man übernimmt Verantwortung, in vielen Bereichen. Und genau das wollte ich. Ich wollte meinen Kindern eine Basis geben, einen festen Boden, von dem aus sie in die Welt gehen können. Ich glaube nicht daran, dass alles „später“, „aus freien Stücken“ sozusagen „buchbar“ ist. Meine Kinder haben ein Fundament, aus dem heraus sie handeln können, gegebenenfalls „umbuchen“. Es gibt beschnittene Hindus, Buddhisten – war Christus nicht auch beschnitten und hat sich dann für eine andere Religion entschieden?

Natürlich ist auch das Judentum eine alte, an vielen Punkten überalterte Religion. Ich wäre sehr für eine Renovierung. Ein Thema, das langsam wieder Einzug findet in rabbinischen Kreisen. Aber die vergangenen 60 Jahre war das jüdische Volk damit beschäftigt, die Schoah zu verkraften. Es ist müßig, Vergleiche zu ziehen: Aber der Ausschluss der Frauen aus den religiösen Handlungen in der katholischen Kirche, der Zölibat – da hätte ich auch noch einige Fragen … So lange schon toleriere ich diese merkwürdig verklemmte, christliche Religion und erhoffe mir eine ähnliche Toleranz für meine eigene.

Ja, es gibt jüdische Mütter, die nicht beschnitten haben. Meist handeln sie aus dem Druck der Verhältnisse, aus Angst, man würde am Penis ihres Sohnes erkennen, dass er „staatsfeindlich“ ist, und ihn der Universität oder des Landes verweisen. Angst vor Verfolgung war meistens der Grund: in Polen, in Ungarn noch in den fünfziger Jahren. Auch während des Holocausts war man vorsichtig, handelte aus Not gegen die jüdischen Gesetze. Man wollte unerkannt bleiben, kein identifizierendes Zeichen tragen – verständlicherweise.

In meiner Umgebung hatten wir alle das Glück, uns nicht verstecken zu müssen. Und so haben orthodoxe, reformierte oder liberale Frauen ihre Söhne beschneiden lassen, meist zu Hause von einem Mohel am achten Tag nach der Geburt. Nein, wir konnten nicht klagen, bisher. Danke der Nachfrage: Meinen Söhnen geht es bestens, ihr Schmock sieht vorbildlich aus, sie sind gesund, übertragen weniger Krankheiten. Das hat sich bei den Amerikanern schon herumgesprochen, aber leider noch nicht in Deutschland.

Ja, ich würde wieder beschneiden. Ich würde mich neun Monate den Zweifeln aussetzen, mich mit der Entscheidung quälen – und am Ende den Mohel anrufen. Die Angst vor dem jetzt kriminellen Akt würde mich weniger sorgen als das Gefühl, nach Holland zu müssen, um gegebenenfalls die Wunde zu versorgen. Denn eine deutsche Klinik würde mich beziehungsweise meinen Sohn nicht mehr behandeln. Müsste ich nach Holland wie unzählige Frauen, als das Abtreibungsgesetz, Paragraf 218, in Kraft trat? Ja, Frau von der Leyen, ich habe abgetrieben, ich habe beschnitten!

Parallel zu Herrn Lanz saßen bei Frau Will der Berliner orthodoxe Rabbiner, eine Muslima und eine Psychologin. Der Rabbiner hatte seine Kippa auf, seine Schläfchenlocken kräuselten sich perfekt. Die Muslima war maßvoll, aber doch verhüllt. Die Psychologin hingegen hatte eine fesche Fönfrisur und elegante, schwarze Kleidung. Schon ohne Ton konnte man der Dämonisierung beiwohnen: Hier hält das Mittelalter Einzug in die modernen Wohnzimmer der Republik. Was auch immer die beiden Religionsvertreter zu sagen hätten: Ihr Äußeres sollte für sich sprechen – für eine Welt, die wir Aufgeklärten doch alle längst hinter uns gelassen haben sollten. Die Begegnung des Abendlands mit dem Morgenland findet auf dem abendländischen Spielfeld und nach abendländischen Spielregeln statt.

Schade, dass Herr Müller, frisch gebackener Chef der Vatikanischen Kurie, nicht auch eingeladen war (ebenfalls in pittoreskem Outfit)! Er verteidigt die Beschneidung als religiöses Ritual – und religiöse Rituale seien unantastbar. Die Front verläuft nicht mehr zwischen Kirche contra Islam oder Judentum. In der Frage der Beschneidung verläuft sie anders als bisher. Interessant. Ob religiöse Rituale unantastbar sind, das vermag ich nicht zu beurteilen. Aber ich weiß, dass es nicht verkehrt sein kann, wenn unsere Kinder ein wenig Spiritualität in ihren Umhängetaschen haben, wenn sie ganze Nachmittage lang in den Einkaufszonen umherstreunen.

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