- Ist Annette Schavan politisch am Ende?
Annette Schavan und ihre Dissertation – nun spricht selbst ein Gutachter von Plagiat. Das ist äußerst unangenehm für die Bildungsministerin, gerade auch, weil sie sich in der Plagiatsaffäre um zu Guttenberg eindeutig positionierte. Läutet das Gutachten das Ende ihrer politischen Karriere ein?
„Person und Gewissen“ – so lautet der Titel der Promotion von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), mit der sie vor 32 Jahren ihren Doktortitel an der Uni Düsseldorf erwarb.
Bereits im Mai hatte ein anonymer Plagiatsjäger auf der Internetseite „Schavanplag“ zahlreiche Stellen der Arbeit offengelegt, an denen die Ministerin plagiiert haben soll. Jetzt wird bekannt, dass auch ein Gutachter aus der Uni schwere Vorwürfe gegen Schavan erhebt, nachdem er die Arbeit eingehend geprüft hat.
Zu welchem Ergebnis kommt das Uni-Gutachten?
An etlichen Stellen weise Schavans Arbeit „das charakteristische Bild einer plagiierenden Vorgehensweise“ auf.
Diese Arbeitweise sei sogar „ein das Profil der Dissertationsschrift wesentlich mitprägendes Element“ – so lautet das Urteil des Gutachters. Schavan habe getäuscht, fasst er seine Analyse in folgendem Satz zusammen: „Eine leitende Täuschungsabsicht ist nicht nur angesichts der allgemeinen Muster des Gesamtbildes, sondern auch aufgrund der spezifischen Merkmale einer signifikanten Mehrzahl von Befundstellen zu konstatieren.“ Über das Gutachten berichten „Spiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“.
Das vertrauliche Gutachten ist demnach 75 Seiten lang. Verfasst hat es Stefan Rohrbacher, seit 2002 Professor für Jüdische Studien in Düsseldorf, und Prodekan der Philosophischen Fakultät. Rohrbacher spielt eine wichtige Rolle in dem Prüfungsverfahren: Er steht dem Promotionsausschuss vor, der sich mit Schavans Dissertation befasst. Seine Untersuchung nahm Rohrbacher „auf der Grundlage der Originaltexte in Autopsie“ vor, wie es in dem Gutachten heißt. Rohrbacher wollte am Sonntag auf Anfrage nichts zu dem Gutachten sagen.
Laut „Spiegel“ beanstandet Rohrbacher Textstellen auf 60 der insgesamt 351 Seiten von Schavans Dissertation. Betroffen sei insbesondere der Teil der Arbeit, in dem sich Schavan mit Theorien über das Gewissen auseinandersetze. So gebe Schavan Ausführungen über bestimmte Philosophen als eigene Gedanken aus, obwohl sie die Ausführungen eigentlich von anderen Wissenschaftlern übernommen habe.
Als Beispiel wird eine Passage genannt, in der Schavan über Thesen der Wissenschaftler Wilhelm H. van der Marck und Josef Fuchs schreibe. Tatsächlich stütze sie sich auf ein Werk eines anderen Autors, das jedoch nicht genannt werde. Das Gutachten erkennt dabei „keine Anhaltspunkte für eine eigenständige Rezeption durch die Verfasserin“. Auch auf „Schavanplag“ wurde Schavan vorgeworfen, sie suggeriere, mit Originalquellen wichtiger Philosophen zu arbeiten, bediene sich tatsächlich aber aus Sekundärliteratur.
Bei ihren Textübernahmen seien Schavan sogar Fehler unterlaufen, heißt es nun in dem Uni-Gutachten. „Die flüchtig angewandte Collage-Technik führt mehrfach zu sprachlichen, sprachlogischen und inhaltlichen Problemen“, urteilt der Gutachter.
War der Autorin womöglich nicht klar, wie man wissenschaftlich richtig zitiert? Das schließt Rohrbacher aus. In der Dissertation würden sich durchaus „beispielhafte Belege für ein der Sache nach korrektes Regelverständnis“ finden, heißt es laut „Süddeutscher Zeitung“. Es sei also „von einer hinreichenden Vertrautheit der Verfasserin mit wesentlichen Regeln“ auszugehen.
Wie geht es mit dem Gutachten weiter?
Rohrbachers Gutachten soll dem Vernehmen nach an diesem Mittwoch erstmals im Promotionsausschuss diskutiert werden. Der achtköpfige Ausschuss, in dem Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter und ein studentischer Vertreter sitzen, kommt auf der Grundlage des Gutachtens zu einem Urteil und legt dann dem Fakultätsrat eine Empfehlung vor.
Die Entscheidung, ob Schavan ihr Doktortitel entzogen wird, trifft der Fakultätsrat, in dem neben Dekan und Prodekan Professoren, wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Mitarbeiter, Studierende sowie die Gleichstellungsbeauftragte vertreten sind. Einen Zeitplan hat die Universität Düsseldorf bislang nicht bekannt gegeben.
Zu dem Gutachten wollte sich ein Sprecher am Sonntag nicht äußern. Die Freie Universität, an der Schavan eine Honorarprofessur hat, will sich mit dem Gutachten befassen, sobald es offiziell ist, erklärte FU-Präsident Peter-André Alt auf Anfrage. Kommt die FU zu dem Schluss, dass Schavan massiv Regeln übertreten hat, kann sie ihr die Professur auch wieder aberkennen.
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Wie könnte Schavan sich verteidigen?
„Ich habe sorgfältig gearbeitet“, ließ Schavan am Sonntag über ihren Sprecher mitteilen: „Hier und da hätte man auch noch sorgfältiger formulieren können. Heute merke ich zum Beispiel, dass ich damals bei Freud noch ziemlich verdruckst war.“ Das geht in die Richtung eines großen Artikels in der „FAZ“ im Mai, mit dem ihr Heinz-Elmar Tenorth und Dietrich Benner zu Hilfe kamen, zwei emeritierte Erziehungswissenschaftler von der Humboldt-Universität.
Schavan habe aufgrund der Breite ihres Themas auch breit auf Forschungsliteratur zurückgreifen müssen. In „diesem See von Literatur“ habe sie sich dann „einige handwerkliche Fehler eingehandelt“, allerdings „weniger, als man bei dieser Gattung (von Dissertation, Anm. d. Red.) befürchten muss“.
Die Professoren hatten auch die Meinung vertreten, Schavan seien von „schavanplag“ fast nur Verstöße in dem Teil ihrer Dissertation nachgewiesen worden, in dem sie sich mit der Forschungsliteratur auseinander gesetzt hat. In anderen Teilen habe sie aber völlig eigenständige Gedanken entwickelt.
So sieht es auch ein Parteifreund Schavans, der Rohrbachers Gutachten nach eigener Aussage gelesen hat. Rohrbacher habe bei seiner „formalistischen Zitatsucherei“ Schavans „eigenständigen wissenschaftlichen Beitrag total aus den Augen verloren“. Sollte die Universität Schavan den Doktortitel aberkennen und sollte sich Schavan dazu gezwungen sehen, ihr Ministeramt aufzugeben, „würde das in keiner Relation zu ihrer Lebensleistung stehen“.
Schavan kann auch den Rechtsweg einschlagen, sollte ihr der Titel aberkannt werden. Sie hat ihr Studium direkt mit der Promotion abgeschlossen, hätte also ohne den Doktor keinen Studienabschluss mehr.
Was bedeutet das für die Bundeskanzlerin?
Schon was aus dem Gutachten bekannt ist, lädiert Schavan in dem von ihr gepflegten Image der bildungsbürgerlichen Leistungsträgerin. An den Hochschulen könnte der Eindruck entstehen, die Bundesbildungsministerin habe das Ansehen der Wissenschaft als Doktorandin beschädigt.
Unvergessen ist in der Öffentlichkeit auch die Rolle, die Schavan beim Rücktritt von Verteidigungsminister zu Guttenberg spielte. Sie schäme sich für ihn, hatte sie im Interview erklärt und hämisch grinsend gemeinsam mit der Bundeskanzlerin die SMS gelesen, in der er seinen Rückzug ankündigte.
Würde Schavan der Doktortitel aberkannt, müsste sich die Kanzlerin von ihrer Ministerin trennen. Merkel würde dann ein zweites Mal ein Kabinettsmitglied durch eine Plagiatsaffäre verlieren. Schavans politische Zukunft ist ohnehin begrenzt. Sie hat angekündigt, Anfang Dezember nicht mehr als CDU-Vizechefin zu kandidieren.
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