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Islam-Debatte - Kopftuch und Staatsdienst schließen sich aus

Kisslers Konter: Eine Muslimin darf mit Kopftuch ihr Referendariat auf dem Bezirksamt Neukölln antreten, aber nicht nach außen tätig sein. Der fade Kompromiss wird die Debatte nicht beenden. Letztlich muss der Staat auf einer Loyalität bestehen, die das Kopftuch sichtbar in Zweifel zieht

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Rührende Geschichten sind gefährlich. Wo das Sentiment regiert, schweigt der Verstand. Insofern war die mediale Begleitmusik zum neuesten Kapitel in der endlosen Kopftuch-Saga minder erhellend. Da kämpfe eine – sympathische, hübsche und kluge – Muslimin um ihr kleines Stückchen Gleichberechtigung. Betül Ulusoy sehe im Kopftuch, das sie trage, ein „Zeichen des Fortschritts, der Schönheit sowie der weiblichen Selbstbestimmung und eines rücksichtsvollen gesellschaftlichen Miteinanders“. Das Bezirksamt in Berlin-Neukölln stand von vornherein auf verlorenem Posten. Warum soll eine solch gewinnende Persönlichkeit, Absolventin der Rechtswissenschaft obendrein, nicht ebendort ihr Referendariat beginnen dürfen?

Kopftuch wird zur weltanschaulichen Machtfrage
 

Subjektiv ist das alles nachzuvollziehen, subjektiv fühlt eine bestens ausgebildete deutsche Staatsbürgerin sich aufgrund ihres Glaubens zurückgesetzt, subjektiv gehören unsere Sympathien der beharrlichen Einzelkämpferin und nicht dem Amt. Objektiv ist die derart gefühlsheiter erzählte Geschichte dennoch unwahr – zumindest dann, wenn man das Bündel an Hintergrundannahmen berücksichtigt, die diesen individuellen Fall als weltanschauliche Machtfrage erscheinen lassen. Zur Debatte steht einmal mehr der Streitfall, ob das ostentative Bekenntnis zum Islam mit den Fundamenten einer freiheitlichen Zivilgesellschaft übereinstimmt.

Das Karlsruher Bundesverfassungsgericht entschied sich im März für einen inhaltlich weitgehend entkernten Religions- wie Toleranzbegriff und stellte es in das Belieben der Schulen, ob sie muslimische Lehrerinnen mit Kopftuch das Lehren gestatten. Generelle Verbote, ohne Ansehen der Person und des Einzelfalls, dürfe es nicht geben. Seitdem muss die Frage als massiv unentschieden gelten, ob das Kopftuch die muslimische Frau in die nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft hinein integriert oder aus dieser heraus exkludiert. Für beide Lesarten fanden sich begabte Sprecherrollen.

Der Neuköllner Streit verschärft die Lage. Rechtsprechung, Rechtspflege sind in noch stärkerem Maße als das Schul- und Bildungswesen nicht privatisierbar, sind hoheitliche Aufgaben in des Wortes maximaler Bedeutung. Wer mit einer muslimischen Lehrerin heterodoxer Prägung nicht einverstanden wäre, hätte – zumindest theoretisch – die Auswahl unter anderen Klassen, anderen Schulen. Einen alternativen Staat kann niemand sich wählen. Darum reichen subjektive Gründe hier nicht hin. Um es hart zu formulieren: Private Kompetenzen und Neigungen sind irrelevant, wenn das Grundgefüge der republikanischen Ordnung zur Disposition steht.

Auf den ersten Blick hat das Bezirksamt Neukölln zur salomonischen Lösung gefunden. Betül Ulusoy darf ihr Referendariat antreten, ihr bleibt aber die „Ausübung hoheitlicher Befugnisse“ verwehrt, sie wird das Land nicht „sichtbar nach außen vertreten“. In Lehr- und Schreibstube, heißt das, ist das Kopftuch kein Problem, im Publikumsverkehr wäre es eines: ein fader Kompromiss, der das Problem verlagert und neuen Streit, neue Ansprüche, neue Klagen provozieren dürfte.

Ein Statement wider die Gleichheit
 

Worin liegen die weiter unentschiedene objektive Dimension des Falls und die Rechtfertigung dafür, dass das offensive Bekenntnis zum Islam letztlich nicht mit der Ausübung staatlicher Rechtsakte vereinbar ist? Ulusoy zufolge belege die mit dem Kopftuch markierte Geschlechtertrennung im Islam „ein besonderes Feingefühl“. Sie begrüßt es, auf der Empore in der Moschee unter ihresgleichen zu beten und nicht im Parterre Seite an Seite mit schwitzenden Männern. So einfach ist es nicht. Mit dieser süffigen Begründung stellt sie sich außerhalb eines breiten Stroms islamischer Überlieferung. Der Islam teilt die Öffentlichkeit in einen männlichen und einen weiblichen Bereich nicht aus Courtoisie, sondern aus Gründen der Hierarchie, zur Zähmung des Mannes und „um die Sexualität als Faktor im öffentlichen Leben der Gemeinschaft auszuschalten“. Weiß der muslimische Historiker Tamin Ansary, der folgert: „Ich erkenne nicht, wie eine einheitliche Ge­sellschaft geschaffen werden kann, in der ein Teil der Men­schen der Ansicht ist, die Welt sollte in einen männlichen und einen weiblichen Bereich aufgeteilt werden, und ein anderer meint, die beiden Geschlechter sollten sich in den gleichen gesellschaftlichen Bereichen bewegen.“ Das Kopftuch ist ein Bekenntnis zur Geschlechtertrennung und damit ein Statement wider die Gleichheit.

Mehr noch: Wen der Staat mit der Wahrung der Rechtsordnung beauftragt, der muss deren Kern, die Menschenrechte, ohne jede Einschränkung bejahen, innerlich wie äußerlich. Es gibt aber keine einzige Möglichkeit, die Menschenrechte, wie der Westen sie begreift, islamisch herzuleiten. Saudi-Arabien ließ unlängst verlauten, die Peitschenhiebe für den islamkritischen Blogger Raif Badawi könnten keine Verstöße gegen die Menschenrechte sein, weil die Scharia die Menschenrechte achte. Unter islamischen Vorzeichen bildet die Scharia den Rahmen für jedes Rechtsverhältnis. Menschenrechte im Islam sind Rechte für Muslime unter der Maßgabe der Scharia. Man lese nur die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im Islam“ von 1981 und die „Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam“ von 1990.

Damit ist nichts ausgesagt über die staatsbürgerliche Loyalität von Muslimen, nichts gesagt gegen Religions- und Berufs- und Meinungsfreiheit und erst recht nichts gegen das Recht, sich zu kleiden, wie es einem oder einer beliebt, zu Hause und auf der Straße, auf den Plätzen, jederzeit. Doch im Staatsdienst markiert das Kopftuch die sichtbare Grenze jener fundamentalen Loyalität, auf der der Staat bestehen muss, um frei und freiheitlich zu bleiben.

 

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