- Ministerin auf dem Schleudersitz
Als Frau hat sie sich in der Männerbranche der Elektrotechnik bewiesen. Mittlerweile kümmert sich Ilse Aigner um Lebensmittelskandale und Probleme beim Verbraucherschutz. Ein Portrait der stärksten Frau der CSU, die als Nachfolgerin von Horst Seehofer gehandelt wird
Hubschrauber findet sie toll. Wenn sie mal dienstlich mit so einem Teil unterwegs ist, lässt sie sich die elektronischen Geräte zeigen. Denn davon versteht Ilse Aigner, die Bundesministerin für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz, mehr als die Kanzlerin und jedes andere Kabinettsmitglied. Von 1990 bis 1994 arbeitete die staatlich geprüfte Elektrotechnikerin nämlich bei der „Eurocopter Group“ an der Entwicklung der Systemelektronik für Militärhubschrauber. Natürlich hat sich seitdem viel getan. „Aber die Grundausstattung ist ja in jedem Gerät noch die gleiche“, sagt die Ministerin. „Und das freut einen dann, wenn man sieht: Ah, da ist ja der Dreifach-Drehzahlanzeiger.“'
Sie sagt: „Dreifoch-Drehzohl-Onzeiga“, weil sie aus Oberbayern kommt. Und in ihrem sonoren Bariton klingt das noch etwas geheimnisvoller, als es ohnehin ist. Das brauche man, „weil die beim Hubschrauber verschiedene Drehzahlen haben, die sie beobachten müssen“. So ein Helikopter mit neuester Technik, erzählt sie fröhlich beim Plausch im Berliner Café Einstein, macht ihr genauso viel Spaß wie ein Hightech-Trecker, den man manchmal auf modernen Bauernhöfen antrifft, wenn man als Landwirtschaftsministerin unterwegs ist.
Von der Agrarministerin hört man in letzter Zeit wenig, von der Verbraucherschutzministerin umso mehr. Doch das kann sich jeden Tag ändern. Ein neuer Lebens- oder Futtermittelskandal – und schon steht sie wieder im Rampenlicht, wie Anfang 2011, als es dreimal hintereinander knüppeldick kam: erst dioxinversetzte Futtermittel, dann das Seebeben vor Fukushima, dessen Ausläufer auch das Verbraucherschutzministerium erreichten, weil hunderte Bürger per E-Mail anfragten, welche Gefahren von verstrahlten japanischen Fotoapparaten oder Lebensmitteln ausgingen. Und dann die EHEC-Seuche, die 50 Menschenleben kostete. Aigner war zwar nicht zuständig. Überwachung und Kontrolle der Lebensmittel sind Sache der Länder. Aber politisch haftet sie für jeden Dioxinskandal, jede Vogelgrippe, jede EHEC-, Rinder- oder Schweineseuche.
Die 47-jährige, gut aussehende und meistens gut gelaunte Frau mit den Rehaugen und der Löwenmähne nahm auf einem Schleudersitz Platz, als sie 2008 in Berlin Nachfolgerin Horst Seehofers wurde. Damals meuterten die Milchbauern gegen zu niedrige Erzeugerpreise. Aigner setzte einen Fonds durch, der den drohenden finanziellen Absturz ganzer Dörfer in einen Gleitflug verwandelte. Ihr erster Erfolg.
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Inzwischen hat sie Routine und kümmert sich um nahezu alles, was Otto Normalverbraucher im täglichen Leben widerfährt: um (überhöhte) Überziehungszinsen und (schludrige) Anlegerberatung der Banken, um die Ausstattung von Kaninchenställen, um die „Daten-Kraken“ Facebook und Google, um „Nepp und Betrug im Internet“, um Legehennen-Käfige und Schweineställe, um das Abkommen Acta, gegen das Netzwerkaktivisten zu Felde ziehen. Auch um das Urheberschutzrecht, das der Piratenpartei nicht passt. Nebenbei wettert sie gegen die Verschwendung von Lebensmitteln, verspricht den Deutschen ausreichend Ostereier (dioxinfrei), will Pferdezüchtern das schmerzhafte Einbrennen von Brandzeichen verbieten, wirbt für mehr Bioprodukte und ein Siegel für den Fischkauf – und alles möglichst lächelnd und freundlich.
Ihr Aufstieg verlief geräuschlos und stetig. „Als Frau können Sie sich in einem Männerberuf, wie ich ihn ausgesucht hatte, nur durchsetzen, wenn Sie besser sind – und deshalb habe ich als Beste abgeschlossen von hundert.“ Ähnlich ging es auch in der CSU: Gemeinderats- und Kreistagsmitglied in Rosenheim, später Landtagsabgeordnete in München. Seit 1998 sitzt sie, direkt im Wahlkreis Tegernsee gewählt, im Bundestag. Und seit 2011 ist sie Vorsitzende des immer noch mächtigsten CSU-Bezirks Oberbayern. Wolfgang Schäuble, der erfahrene Kabinettskollege, hält sie heute für eine der stärksten Personen der CSU auf dem Berliner Parkett. Wenn in CSU-Kreisen über die Nachfolge von Horst Seehofer geredet wird, fällt häufig ihr Name – neben dem von Markus Söder.
Grüne und Sozialdemokraten kritisieren sie. Aber mattsetzen konnten sie Ilse Aigner bisher nicht. Als die SPD-geführten Bundesländer, die man die „A-Länder“ nennt, im vorigen Herbst den von Aigner vorgelegten Entwurf eines Verbraucherinformationsgesetzes (VIG) zulasten der Verbraucher ändern wollten, flehte die SPD-Abgeordnete Elvira Drobinski-Weiß ihre SPD-Länderkollegen an, das Gesetz passieren zu lassen.
Begründung: „Bisher ist es uns gelungen, von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner in der Öffentlichkeit ein Bild als zögerliche und durchsetzungsschwache ‚Ankündigungsministerin‘ zu zeichnen.“ Dieses „Bild droht zu kippen“. Aigners VIG?Novelle sei „relativ verbraucherfreundlich“. Wenn es jetzt verwässert würde, „hätten wir die Situation, dass die Bundesregierung verbraucherfreundlicher agiert als die A-Seite.“ Die Intervention hatte Erfolg. Das Gesetz ging durch. Und Ilse Aigner verwahrt den Brief der Sozialdemokratin – den irgendjemand ihr zugespielt hat – wie ein Zertifikat.
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