- „Ami go home“ ist für Merkel ein Geburtstagsgeschenk
Die Geheimdienstaffäre hat Angela Merkel kurz vor ihrem 60. Geburtstag die Chance gegeben, sich beim Volk beliebt zu machen. Doch wie sieht eigentlich die Alternative zu einer engeren Zusammenarbeit mit Amerika aus?
Das ist wirklich ein überraschendes Geschenk der Amerikaner an die Bundeskanzlerin. Am Donnerstag wird sie sechzig, und viele ihrer Gäste werden sich schwer tun, ihr etwas zu schenken, das sie noch nicht hat. Den USA ist das gelungen. Noch dazu so pünktlich, dass Angela Merkel an ihrem Festtag davon profitiert.
Sie hat die Chance zum offenen „Nein“ bekommen, zur Ablehnung amerikanischer Politik. Und sie hat sie umgehend für sich genutzt, indem sie den Repräsentanten der CIA in Deutschland zur Ausreise aufgefordert hat. Die Kanzlerin weiß, dass man damit in Deutschland bestens ankommt. Was für Gerhard Schröder der Golfkrieg war, ist für Merkel die NSA.
Bravo, Frau Bundeskanzlerin, jubeln die Deutschen. Lob sagt sich jetzt leicht von links bis rechts. Es erscheint vielen wie eine Befreiung, dass Merkel den Amerikanern klipp und klar zu machen versucht: bis hierhin und nicht weiter. Wie einst Schröder bekommt nun Merkel viel Beifall von ihren Landsleuten dafür, Deutschland in gewisser Weise von den USA emanzipiert zu haben. Wie einst Schröder geht auch Merkel davon aus, dass dies der eigenen Popularität nur nützt, den Beziehungen zu den USA aber nicht grundsätzlich schadet.
Allerdings gibt es beachtliche Unterschiede. Schröder handelte aus großer Not heraus. Im Juli 2002 schien seine Wiederwahl im September aussichtslos. Wirtschaftlich sauste Deutschland auf der Rutsche abwärts. Das beunruhigte. Angst machte den Deutschen dann anderes: Im August 2002 wurde ein möglicher Irak-Krieg immer mehr Thema. Deutschlands Rolle wurde von der SPD ins Zentrum des Wahlkampfs geschoben. Schröder wetterte sein deutsches „Nein“ – unter Applaus auch von ganz links und ganz rechts. Die Flut half zudem – und er konnte Kanzler bleiben.
Merkel regiert in weltmeisterlichen Zeiten
Im Rückblick wurde ihm selbst von politischen Gegnern Recht gegeben, sich – anders als die damalige Oppositionsparteichefin Merkel – von Bushs USA und dessen falschen Kriegsgründen distanziert zu haben. Schröder lässt sich immer noch gern als „Friedenskanzler“ feiern, obgleich er keinen Krieg verhindert hatte. Er war beliebt als Amerikakritiker, obwohl er nur abtrünnig gewesen war von der gewohnten transatlantischen Loyalität.
Merkel handelte nicht aus der Not heraus. Sie regiert das Land fast ohne Opposition in wirtschaftlich weltmeisterlichen Zeiten. Anders als es 2002 erschienen haben mag, soll Deutschland heute nicht von den USA in einen möglichen Flächenbrand hineingezogen werden. Was immer die NSA bei uns ausspioniert, Deutschlands Sicherheit ist dadurch nicht in Gefahr – manche sagen sogar: im Gegenteil.
War schon das Abhören des Kanzlerinnenhandys wirklich eine Überraschung? Merkel tat ja so. „Das Ausspähen von Freunden geht gar nicht“, sagte sie Ende Oktober. Damit zeigte sie erstmals Verständnis für ihr empört hochgefahrenes Volk, das durch Edward Snowden von der Sammel- und Spitzelleidenschaft der USA en Detail erfahren hatte. Bis zum Bekanntwerden ihres Handy-Leichtsinns hatte die Regierung den Deutschen noch weismachen wollen, alles werde gut durch ein „No spy“-Abkommen.
Es wäre töricht anzunehmen, eine transatlantisch erfahrene Bundesregierung und deren Dienste hätten nicht gewusst, wie die Amerikaner vorgehen seit ihrem Terrorschock zu Beginn des Jahrtausends. Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses Wolfgang Bosbach hat es in einem hübschen Bild dargestellt: Die USA spürten nach Nadeln im Heuhaufen, in dem sie versuchten, alles Heu der Welt zusammenzukehren. Also auch deutsches Stroh, sprich, den Mitschnitt von Abermillionen Telefonaten.
Niemand draußen weiß, welch´ spitze Nadeln so entdeckt und gebrochen wurden – zur Sicherheit Deutschlands und der Welt. Klar dürfte aber Merkel und ihren Leuten schon gewesen sein, dass sie keine Bloßstellung fürchten müssen durch die Mitschnitte. Der russische Geheimdienst scheint im Veröffentlichen peinlicher Telefongespräche ja ein großer Meister zu sein.
Obama Verehrung in Deutschland war nur eine Episode
Seitens der USA gibt es das nicht, wie Merkels Verehrerin Hillary Clinton den Unterschied im ZDF-Gespräch deutlich macht. Zugleich verteidigt sie die Methode des Abhörens und Spionierens unter Freunden als ganz selbstverständlich: „Zweifellos wollen wir unsere Freunde und Politiker wie Angela Merkel nicht in peinliche Situationen bringen. Aber wissen wir denn, ob derzeit jemand in Berlin, Hamburg oder Frankfurt ist, der etwas gegen sie oder uns plant? Diese ausländischen Kämpfer, die in Syrien und im Irak sind – da kommen über 2000, so meinen wir, direkt aus Europa.“ Clinton macht glaskar, dass auch sie als Präsidentin nichts grundsätzlich an den Spionagemethoden ihres Landes ändern würde: „Wir können nicht einseitig abrüsten.“
Die transatlantischen Dinge so zu erklären, wie sie nun einmal sind, wäre selbst für die außerordentlich beliebte Kanzlerin schwierig gewesen. Denn gerade ihre Partei hat ja über Jahrzehnte erfahren, wie schwer die Notwendigkeit der engen deutsch-amerikanischen Partnerschaft einem Volk zu vermitteln ist, das auf die USA traditionell kritisch, in manchen Phasen sogar mit Verachtung sieht.
Selbst Obamas Verehrung in Deutschland war nur eine Episode. Wie sehr das deutsch-amerikanische Verhältnis schon vor den jüngsten beiden US-Spionage-Angriffen im BND und im Verteidigungsministerium angeknackst war, zeigt eine Umfrage der Körber-Stiftung. Gefragt wurden die Deutschen, welches Land sie für besonders wichtig halten für die deutsche Außenpolitik und mit welchem Staat Deutschland künftig enger zusammenarbeiten sollte. Was da herausgekommen ist, lässt schaudern: Die USA liegen hinter China und nur knapp vor Russland. China, das seinen Milliarden Menschen die digitale Freiheit blockiert? Und Russland, das mal eben die Krim gestohlen hat? Das also sind uns demnach gleichliebe Partner.
Wer hätte das je gedacht? Dazu passt das unfreiwillige Geschenk aus Amerika ganz wunderbar. Zum Sechzigsten darf die ostdeutsche CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin auch mal rufen, was auf jeder westdeutschen Friedensdemo seit Kriegsende die beliebteste Parole der Linken war und bis dato vom politischen Establishment für ziemlichen Schwach-, zumindest Leichtsinn gehalten wurde: Ami go home!
Auch wenn es nur einen Ami betrifft, der sich zudem Zeit lässt – die Kanzlerin hat sich damit bei ihrem Volk noch beliebter gemacht.
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