- Hört auf, uns einen Nutzen zu versprechen!
Aus der Wirtschaft ist immer wieder zu hören, dass Deutschland langfristig von den Flüchtlingen profitiere. Doch diese Berechnungen seien lückenhaft und falsch, sagt Daniel Stelter. Er fordert, aus Flüchtlingen keine Wirtschaftsfaktoren zu machen. Das verhindere die wichtige Diskussion um Art und Ausmaß der humanitären Hilfe.
Humanitäre Hilfe bedeutet nichts anderes, als seine Ersparnisse dazu zu nutzen, anderen zu helfen. Davon kann und sollte man sich keinen Nutzen versprechen.
Dennoch wird in der aktuellen Diskussion zur Flüchtlingskrise immer wieder der Eigennutzen für uns betont. Als erster hat der Chefvolkswirt der Deutschen Bank den ökonomischen Nutzen der Zuwanderung betont, danach hat der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin ein wahres mediales Feuerwerk gezündet. Welt, Handelsblatt, FAZ und Süddeutsche Zeitung – um nur einige zu nennen – machten mit der Nachricht groß auf: Die Flüchtlinge sind ein gutes Geschäft für Deutschland. Trotz erheblicher Kritik an Methodik und Annahmen hat das DIW damit den Ton gesetzt, sicherlich nicht zum Missfallen der Regierung, unterstützt diese Aussage doch die Hoffnung, dass wir es schon – irgendwie – schaffen.
Um es klar und deutlich zu sagen: Flüchtlingen zu helfen, entzieht sich jeder Wirtschaftlichkeitsbetrachtung, da es sich eine humanitäre Aufgabe handelt. Dies allein wäre für mich schon Grund genug für Kritik. Was aber noch schlimmer ist: Die Berechnungen, die aus Flüchtlingen Wirtschaftsfaktoren machen, sind lückenhaft und falsch. Deshalb muss die ökonomische Betrachtung an dieser Stelle hinterfragt werden – wohl wissend, dass es nur ein Aspekt der Flüchtlingskrise ist.
These 1: Ein Konjunkturprogramm, welches sich selbst finanziert
Das erste Argument derer, die den Nutzen der Flüchtlinge betonen, zielt auf den kurzfristigen konjunkturellen Effekt. Allein die Tatsache, dass der Staat mehr ausgebe, sei positiv für die Konjunktur und damit für Einkommen und Beschäftigung in Deutschland. Das stimmt. Allerdings ist es so, dass dieses Konjunkturprogramm wie jedes derartige Programm erhebliche Verteilungswirkungen hat. Profiteure sind all jene, die über die Vermietung von Unterkünften, Verkauf von Gütern und Dienstleistungen mehr Einnahmen bekommen. Bekanntlich ein sehr gutes Geschäft, ist der Staat doch bereit, in der Notsituation erheblich mehr zu bezahlen als unter normalen Umständen. Nicht selten liegt beispielsweise die Miete für Flüchtlingsunterkünfte deutlich über Marktniveau. Bezahlen müssen das alle Steuerzahler.
Dies ist für die Optimisten kein Problem, gehen sie doch davon aus, dass die Profiteure wiederum mehr investieren und konsumieren, und deshalb die Wirtschaft insgesamt um mehr wächst als die direkte Ausgabensteigerung des Staates. So rechnet Die Zeit vor, dass 50 Milliarden Euro Mehrausgaben doch insgesamt zu 95 Milliarden Euro mehr Wirtschaftsleistung führen könnten. Ökonomen nennen dies den Multiplikatoreffekt. Indirekt würden dann auch jene profitieren, die nicht direkt an der Flüchtlingskrise verdienen.
Positiver konjunktureller Effekt wird mit Schulden erkauft
Dieser Effekt ist jedoch umstritten. Ob er wirklich eintritt, hängt von sehr vielen Annahmen ab, so zum Beispiel der Konsumneigung der Profiteure. Und selbst wenn das eingesetzte Steuergeld wirklich den gewünschten Multiplikatoreffekt erzielen würde, würde das immer noch nicht zu einer Wohlstandserhöhung für die Bürger führen. Zwar steigen in diesem Jahr die Einkommen, zugleich steigt aber die Verschuldung des Staates beziehungsweise sinkt nicht in dem Umfang, um den sie ohne die Ausgaben für die Flüchtlinge gesunken wäre. Das ist so, als würde man einen Kredit aufnehmen, um eine Weltreise zu machen. Im Jahr der Reise geht es einem gut, man kann mehr konsumieren als ohne Kredit. Am Ende des Jahres ist man zwar um Erlebnisse reicher, finanziell jedoch ärmer. Die Schulden müssen schließlich noch bedient werden, was weniger Konsum in der Zukunft bedeutet.
Richtige Optimisten rechnen gar vor, dass der Staat einen großen Teil der Ausgaben als Steuereinnahmen wieder zurückbekommt. Dazu nehmen sie eine durchschnittliche Abgabenquote von 44 Prozent auf das zusätzliche Einkommen an. Dies ist eine optimistische Annahme, ist es doch möglich, durch Rechtsformen- und Firmensitzwahl die tatsächliche Steuerbelastung zu senken.
Damit bleibt das ernüchternde Fazit: Ja, es gibt einen positiven konjunkturellen Effekt. Doch diesen erkaufen wir uns mit mehr Schulden verglichen mit dem Zustand ohne „Konjunkturprogramm“. Das hätten wir übrigens auch ohne Flüchtlinge haben können, indem wir zum Beispiel unsere maroden Schulen und unsere Infrastruktur auf Vordermann gebracht hätten.
Nachdem die Kosten des Konjunkturprogramms zu einfach zu durchschauen sind, wird lieber mit dem mittel- und langfristigen Nutzen argumentiert. Die Aufwendungen für Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge seien demnach als Investitionen anzusehen, die sich über die künftigen Erträge bestens verzinsen würden.
Zunächst ist festzuhalten, dass diese Betrachtung im Prinzip richtig ist. Wie bei einer Investitionsrechnung bei Unternehmen kommt es allerdings darauf an, dass man die richtigen Annahmen trifft. Liegt man falsch, kann dies erhebliche Konsequenzen haben, man denke nur an die Investitionen von ThyssenKrupp in Brasilien.
19.000 Euro kostet ein Flüchtling im Jahr
Da sind zunächst die laufenden Kosten. Je tiefer man diese ansetzt, desto eher lohnt sich eine Investition. Im Falle der vielzitierten Studie des DIW beispielsweise hat der Präsident des Instituts, Professor Fratzscher, in jedem Interview die Notwendigkeit für Investitionen in Bildung und Spracherwerb betont, in seiner Rechnung jedoch mit Null angesetzt. Mittlerweile wissen wir, dass die von mir an anderer Stelle angesetzten Kosten von 7.000 Euro pro Kopf und Jahr nicht zu hoch gegriffen sind. Insgesamt lagen die Kosten für Unterbringung, Verpflegung, Deutschkurse, Ausbildung und Verwaltung im letzten Jahr nach Berechnungen des ifo-Instituts bei rund 19.000 Euro pro Kopf.
Der weitaus wichtigere Hebel in jeder Wirtschaftlichkeitsrechnung sind jedoch die künftigen Einnahmen. Diese hängen von zwei Faktoren ab: Wie hoch ist der Anteil der Flüchtlinge, die arbeiten? Und wie hoch sind die realisierten durchschnittlichen Einkommen?
Vergleich der Flüchtlinge mit den hier lebenden Migranten hinkt
Das DIW geht in seiner Berechnung davon aus, dass nach einer Anlaufphase von 11 Jahren 42 Prozent der Zuwanderer eigenes Einkommen erzielen. Diese Quote entspricht der Beschäftigungsquote der bereits in Deutschland lebenden Migranten. Auf den ersten Blick ist dies eine plausible Annahme. Auf den zweiten weniger. Die Migranten, die heute hier leben, kommen aus verschiedenen Regionen der Welt, sind über einen längeren Zeitraum zugewandert und mit einem breiten Spektrum an Qualifikationen ausgestattet. Gerade in den letzten Jahren gab es eine wahre Zuwanderungswelle aus den Krisenländern des Euroraumes wie Spanien und Griechenland. Diese Zuwanderer waren zudem überdurchschnittlich qualifiziert. Legt man nun eine Erwerbsquote von 42 Prozent zugrunde, unterstellt man, dass die Flüchtlinge in Qualifikation und Integrationsbereitschaft dem Durchschnitt der bereits hier lebenden Migranten entsprechen. Wir wissen nicht, ob dies der Fall ist, jedoch ist es eher unwahrscheinlich. Das DIW selbst hält fest, dass „der Anteil der Erwerbspersonen syrischer Herkunft, die einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, bei nur 30 Prozent“ liegt. Auch die Erwerbsquote der Personen mit türkischer Herkunft liegt unter dem Schnitt der Migranten insgesamt.
Neben der Erwerbsquote ist das durchschnittlich erzielte Einkommen wichtig. Das DIW geht von 24.000 Euro jährlichem Durchschnittseinkommen der erwerbstätigen Zuwanderer aus. Dieses liegt wiederum auf dem Niveau des Durchschnitts der bereits in Deutschland lebenden Migranten, weshalb die angesprochene Kritik auch hier zutrifft. Die bereits hier lebenden Migranten sind nicht mit der Gruppe der Neu-Zuwanderer zu vergleichen.
Das laufende Defizit liegt bei 7 Milliarden Euro pro Jahr
Eine weitere Indikation ergibt sich aus einer anderen Studie des DIW, die sich mit der Arbeitsmarktintegration von Migranten befasst. Demnach liegt das Einkommen von Migranten aus arabischen/muslimischen Ländern heute bei 16.512 brutto pro Jahr.
Ein besonderer Grund, weshalb das Gehaltsniveau der neu hinzukommenden Flüchtlinge höher liegen sollte, ist nicht ersichtlich. Zweifellos gibt es die gut qualifizierten Zuwanderer, es gibt aber auch die Analphabeten. Die tatsächliche Zusammensetzung kennt niemand, wenngleich erste Studien ein eher ernüchterndes Bild zeigen. So hat das Ifo Institut basierend auf Erhebungen in den Flüchtlingslagern in der Türkei ausgerechnet, „dass 16 Prozent der syrischen Flüchtlinge Analphabeten sind und acht Prozent gar keinen Schulabschluss haben. Ein Viertel der syrischen Flüchtlinge ist also als unqualifiziert einzustufen. Der Rest der Befragten gab an, über einen Schulabschluss zu verfügen. 35 Prozent haben demnach die Grundschule beendet und 22 Prozent die Hauptschule.“ Zudem ist davon auszugehen, dass die besser qualifizierten Flüchtlinge einen anderen, weniger riskanten Weg finden, ihre Heimat zu verlassen, stehen doch Länder wie Kanada qualifizierten Zuwanderern für einen direkten Zuzug offen.
Arbeitet man mit etwas vorsichtigeren Annahmen zu Erwerbsbeteiligung (35 Prozent), Einkommen (18.000 Euro) und laufenden Kosten für die Betreuung der nicht-erwerbstätigen Flüchtlinge (15.000 Euro) muss man festhalten, dass wir weit davon entfernt sind, dass die Flüchtlinge ihre Kosten decken. Bei einer angenommenen Zahl von einer Million Flüchtlingen läge bei diesen Relationen das laufende „Defizit“ bei über sieben Milliarden Euro pro Jahr. Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich halte humanitäre Hilfe auch bei diesen Kosten für geboten. Selbst bei fünf Millionen Flüchtlingen wären die 35 Milliarden pro Jahr verkraftbar. Nur es ist eben falsch, einen ökonomischen Nutzen zu versprechen.
Bis jetzt haben wir eine sogenannte Deckungsbeitragsrechnung durchgeführt. Dabei werden nur die direkten zusätzlichen Kosten und Erträge betrachtet. Also die zusätzlichen Steuereinnahmen und die zusätzlichen Aufwendungen für Verpflegung, Unterkunft und Deutschkurse. Dies genügt jedoch nicht, um dauerhaft unser Gemeinwesen zu finanzieren. Letzteres benötigt auch Mittel für die allgemeine Verwaltung, Investitionen in Infrastruktur, Landesverteidigung, um nur eine Auswahl zu nennen. Die Gesamtkosten des Staates belaufen sich auf rund 25.000 Euro pro Kopf. Legt man diese Kosten zugrunde, die zur langfristigen Finanzierung unseres Gemeinwesens unumgänglich sind, vergrößert sich das Defizit aus der Zuwanderung deutlich.
Darauf angesprochen hat Professor Fratzscher in einem Interview entgegnet, dass auch die Mehrheit der Deutschen unter diesem Gesichtspunkt ein Verlustgeschäft für den Staat sind. Nur ein Teil der Steuerzahler würde die Finanzierung des Gemeinwesens stemmen.
Wir brauchen einen Mix an Zuwanderung
Dies ist zweifellos richtig. Bedeutet aber auch, dass wir auf Dauer einen Mix an Zuwanderung brauchen, der der heute gegebenen Struktur entspricht. Gelingt das nicht, ist ein absinkender Lebensstandard die zwangsläufige Folge.
Wie wichtig dies ist, haben frühere Studien zur Migration, die lange vor der aktuellen Flüchtlingskrise erstellt wurden, bereits aufgezeigt. So die Bertelsmann Studie aus dem Jahr 2014: „Stellt man alle allgemeinen Staatsausgaben, etwa für Verteidigung oder Straßenbau, mit in Rechnung, schlägt für jeden lebenden Ausländer ein langfristiges Staatsdefizit von 79.100 Euro, für jeden lebenden Deutschen von 3.100 Euro zu Buche. Wegen dieses Defizits weist das Staatsbudget, wenn nicht gehandelt wird, langfristig eine Tragfähigkeitslücke von fast 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf.“
Ökonomisch sinnvoll wäre die Zuwanderung qualifizierter Einwanderer
Konsequent fordern die Autoren der Studie auch einen besonderen Fokus auf qualifizierte Zuwanderer: „Eine Wiederholung der Gastarbeitereinwanderung ist weder hinsichtlich der erwähnten Tragfähigkeitslücke noch mit Blick auf den Arbeitsmarkt im 21. Jahrhundert ökonomisch sinnvoll. Wissend um die demografischen Entwicklungen, ist es mit Blick auf die Wohlstandssicherung in Deutschland hingegen sinnvoll, ja geradezu geboten, qualifizierte Einwanderer ins Land zu holen.“
Jene Wissenschaftler, die angesichts der Struktur der Zuwanderung der letzten Monate vor Kosten von über einer Billion Euro warnen, liegen deshalb so falsch nicht.
Naturgemäß ist eine Flüchtlingskrise etwas anderes als geordnete Zuwanderung. Nur müssen wir uns darüber klar sein, dass es unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht das ist, was wir brauchen.
Wie eingangs erwähnt, bedeutet humanitäre Hilfe, den eigenen Wohlstand mit anderen zu teilen. Dabei sollten wir uns allerdings folgende Fragen stellen:
- Wie hoch ist die finanzielle Gesamtbelastung durch die Flüchtlinge?
- Sind wir dauerhaft in der Lage und bereit, diese Kosten zu tragen?
- Gibt es effizientere Wege, die humanitäre Hilfe zu erbringen?
Die Beantwortung dieser Fragen wird uns nicht leicht gemacht, weil uns die Kosten nur zum Teil präsentiert werden und zudem die Hoffnung eines künftigen Nutzens dagegengestellt wird. Wir drücken uns aus falsch verstandener politischer Korrektheit um die erste Frage und stellen deshalb die zweite Frage nicht. Dabei wird die zweite Frage mit der Zeit immer deutlicher zu Tage treten, wenn die Verteilungskonflikte in unserer Gesellschaft zunehmen. Stellt sich dann immer mehr heraus, dass der postulierte Nutzen mehr theoretisch als praktisch zu realisieren ist, wird dies das politische Klima unseres Landes fundamental verändern. Ein Blick nach Frankreich genügt.
Wir legen die Grundlage für massive Enttäuschung, Verteilungskonflikte und Radikalisierung.
Dabei wäre eine andere Vorgehensweise deutlich besser: eine nüchterne, vorsichtige, also eher etwas zu großzügig bemessene Kostenrechnung nicht nur für die kurzfristigen, sondern auch für die langfristigen Lasten. Sobald der Betrag feststeht, sollten wir uns als Gesellschaft fragen, ob wir diese Last auf Dauer schultern wollen und danach, wie unsere Mittel am effizientesten eingesetzt werden können. Angenommene 50 Milliarden pro Jahr würden beispielsweise als Investition für Befriedung und Wiederaufbau in der Region mehr Menschen helfen als nur jenen, die es bis zu uns geschafft haben. Genau diese Diskussion sollten wir schnell führen, im Interesse der sozialen und politischen Stabilität unseres Landes und im Interesse der Menschen, die unsere Hilfe benötigen und auch bekommen sollen. Aussagen, die einen Nutzen der Flüchtlingskrise postulieren, verhindern diese wichtige Diskussion.
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