Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

EZB-Studie - Die Mär vom armen Deutschen

Die EZB-Studie zur Einkommensverteilung im Euroraum vergleicht Äpfel mit Birnen. So entsteht das Bild des armen Deutschen, der kaum Vermögen besitzt und noch dazu die reichen Zyprer retten muss. Deutschland rechnet sich reich und arm - je nachdem, wie es gerade passt

Autoreninfo

Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

So erreichen Sie Eric Bonse:

Wir sind die Ärmsten, zahlen am meisten und werden dafür auch noch verhöhnt: dies ist das Selbstbild, das der deutsche Michel im Jahr vier nach Beginn der Eurokrise pflegt. Die Europäische Zentralbank wußte offenbar um den typisch deutschen Hang zum Selbstmitleid und zögerte ihre brisante Studie zur Einkommensverteilung im Euroraum bis nach der provisorischen „Rettung“ Zyperns hinaus.

Doch was die EZB-Statistiker nun zu Tage förderten, scheint das Bild vom „armen deutschen Retter“ noch zu unterstreichen. Das Medianvermögen beträgt hierzulande 51.400 Euro – in Zypern hingegen 266.900 Euro. Das Nettovermögen liegt bei uns bei 195.000 Euro, in Zypern sogar bei 670.000 Euro. Arm rettet Reich, heißt die flotte Zeile, die sich aus diesen Zahlen scheinbar zwingend ableitet. Doch sie ist falsch.

Das liegt nicht nur an methodischen Fehlern der Erhebung - die Zahlen sind alt, sie berücksichtigen nicht die größeren Haushalte, den bedeutenderen Immobilienbesitz und die schwächeren Sozialsysteme im Süden. Es liegt vor allem daran, dass man Äpfel mit Birnen vergleicht. Es ist schlicht nicht zulässig, den absoluten finanziellen Beitrag eines Landes zur Euro-Rettung mit dem mittleren, also relativen Vermögen der Bürger zu vergleichen.

[gallery:20 Gründe, warum sich Reichtum lohnt]

Wenn überhaupt, ließe sich der Pro-Kopf-Beitrag dem Pro-Kopf-Vermögen gegenüberstellen. Diese Zahlen hat die EZB jedoch nicht erhoben. Vom Vermögen wissen wir nur, dass es in Deutschland besonders ungleich verteilt ist - wenigen Superreichen stehen viele relativ Arme gegenüber.  Das können wir aber weder den Zyprern noch den anderen Krisenländern vorwerfen - es ist unsere eigene Schuld.

Und das zweite Kriterium, der Pro-Kopf-Beitrag zur Euro-Stützung, ergibt ein völlig anderes Bild als das, das die EZB-Studie vermittelt. Dabei steht nämlich nicht der deutsche, sondern der luxemburgische Steuerzahler an der Spitze. Nach einem Bericht des „Handelsblatts“ trägt jeder Luxemburger, gemessen am Beitrag seines Landes zum neuen dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM, ein Risiko von 3,506 Euro - mehr als jeder andere Euro-Bürger.

Nächste Seite: Deutschland steht relativ gut da

Auf den Plätzen zwei und drei liegen das Euro-Krisenland Irland und die Niederlande. Deutschland folgt mit 2,317 Euro erst an fünfter Stelle, noch nach Österreich. Frankreich und Italien schultern mit 2,179 bzw. 2,070 Euro ähnlich hohe Lasten wie die Bundesrepublik. Von einer krassen Benachteiligung der deutschen Steuerzahler kann also keine Rede sein. Im Gegenteil: wir stehen, nüchtern betrachtet, vergleichsweise gut da. 

Man sollte von der Bundesregierung erwarten, dass sie auf diese Hintergründe hinweist und das verzerrte Selbstbild des deutschen Michels korrigiert. Vor allem Finanzminister Schäuble ist hier in der Pflicht, denn falsche Wahrnehmungen können im aufgeheizten Klima der Eurokrise gefährlich werden, worauf sogar Außenminister Westerwelle immer öfter hinweist. Wenn sich die Deutschen nur noch als Opfer betrachten und die Fakten ignorieren, kann Schäuble nicht mehr lange den „Retter“ spielen.

Aber auch Wirtschaftsminister Rösler ist gefragt. Schließlich war er es, der den Armutsbericht der Bundesregierung schönfärbte und dreist behauptete, den Deutschen gehe es so gut wie nie und sowieso besser als allen anderen. Also müsste der FDP-Chef jetzt auch der Erste sein, der Berichten über die „armen“ Bundesbürger widerspricht und den Unterschied zwischen Median und Mittel, Vermögen und Einkommen oder Nord und Süd erklärt.

[gallery:Elf Typen der Superreichen – Wo die Piepen und Moneten sitzen]

Doch beide Minister schweigen, genau wie die Kanzlerin. Sie lassen einfach beide Behauptungen im Raum stehen: „Wir sind die Ärmsten“ und „uns geht‘s am Besten“. Und sie lassen den Mythos unwidersprochen, wonach „wir“ am meisten für die Euro-Rettung zahlen. Das zeugt nicht nur von politischer Unverfrorenheit, sondern auch von einem taktischen Verhältnis zur Wahrheit, nach dem Motto: Wenn es um die Wirtschaft geht, geht es uns Deutschen Gold. Wenn es aber um den Euro geht, sind wir ganz arme, überstrapazierte und nicht mehr belastbare Menschen.

Deutschland rechnet sich reich und arm - je nachdem, wie es gerade passt. Im Grunde genommen hätten wir die EZB und ihre irreführende Statistik für diese Einsicht nicht gebraucht. Was wir wirklich bräuchten, sind Studien über Kosten und Nutzen des Euros und seiner Verteidigung. Schließlich gibt es ja auch die These, dass Deutschland nicht nur mit am meisten für die Euro-Rettung bezahlt, sondern auch am stärksten davon profitiert.

Man darf gespannt sein, wann sich die EZB diesem heißen Thema zuwendet. Vielleicht nach der Bundestagswahl?

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.